Skip to content

1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland: Aktuelle Dokus im TV und im Kino

Drei Dokumentationen im Oktober im Ersten, ein dreiteiliges Filmprojekt in der ARD Mediathek sowie zwei brandneue Dokumentarfilme im Kino.



Anlässlich der Auszeichnung mit dem Prädikat "wertvoll" durch die Deutsche Filmbewertung, wollen wir auf den aktuell im Kino laufenden Dokumentarfilm "WALTER KAUFMANN - WELCH EIN LEBEN!" von Karin Kaper und Dirk Szuszies aufmerksam machen.

Der in Berlin geborene jüdische Schriftsteller Walter Kaufmann verstarb im April dieses Jahres ebenda im Alter von 97 Jahren.

Kaufmann war ein Mann, der mit seinen Worten die Welt begreifen und beschreiben wollte - und dazu auch bereisen. Seine Biografie führte ihn auf alle Kontinente und in unzählige Länder. In Co-Regie portraitieren Karin Kaper und Dirk Szuszies in "WALTER KAUFMANN - WELCH EIN LEBEN!" das außergewöhnliche Leben dieses außergewöhnlichen Mannes, indem sie mit ihm gemeinsam eine Bilderreise in seine Erinnerung unternehmen.

Hier der Trailer:



In Gedenken an Walter Kaufmann, der nach seiner Flucht vor den Nazis und seinem Exil in Australien, sich Mitte der 50iger Jahre als überzeugter Kommunist für ein Leben in der DDR entschied, gab es nach der Festivalpremiere beim Jüdischen Film Festival Berlin-Brandenburg (JFBB) bereits Ende September im Berliner Kino Babylon die offizielle deutsche Kino-Premiere, unter der Moderation von Knut Elstermann, zu der Gregor Gysi als Gastredner eingeladen war.

Wenige Jahre zuvor stand der Politiker Gregor Gysi mit dem schon betagten Walter Kaufmann gemeinsam auf der Bühne des Deutschen Theaters, um mit ihm im Interview über sein abenteuerliches Leben zu sprechen.

Diese Szene ist zugleich der Beginn der Doku über den jüdischen Schriftsteller, der sogar als Kleindarsteller bei der DEFA in einigen Filmen zu sehen war. Schwerpunkt der Doku sind aber unter anderem seine Kindheitserinnerungen und das Traumata, dass seine Adoptiveltern im Konzentrationslager Ausschwitz umgekommen waren.

Die Filmbewertungsstelle schreibt:
"Ein großes Lob verdienen die Filmemacher für die sicher überaus aufwendige Recherche zum Archivmaterial unterschiedlichster Art. Ein Lob, das sich aber auch auf die gelungene Auswahl des Archivmaterials erweitern lässt. Durch die herausragende Montagearbeit wurde dies alles in diesem außergewöhnlichen Lebensbericht zu einer Einheit geformt - vielschichtig, vielseitig, spannend und der These von Gysi entsprechend: »Ein Leben, das es so nicht mehr gibt«."


Die beiden Filmemacher*innen, die eigentlich vom Theater kommen, haben in den letzten zwei Jahren vor Kaufmanns Tod unendlich viele Gespräche mit dem Schriftsteller geführt und dies filmisch dokumentiert. An einigen Stellen wird zudem aus seinen Büchern zitiert und versucht dies mit Bildern zu unterlegen, die angesichts des abenteuerlichen Lebens des Protagonisten als zwangsrekrutierter Soldat, Seemann, Hochzeitsfotograf und später preisgekrönter Schriftsteller, leider manchmal etwas einfallslos wirken und oft keine eindeutige zeitgeschichtliche Einordnung erkennen lassen.

Mit seiner sonoren, fast eintönig klingenden Stimme, bleibt Walter Kaufmann aber bis zuletzt kämpferisch, um auch noch im Film einen Appell gegen jede Form von Rechtsruck und Antisemitismus zu verbreiten. Trotz seiner Ost-Berliner Wahlheimat behielt er seinen australischen Pass, durfte somit seinerzeit die DDR als Journalist und Schriftsteller jederzeit verlassen, besuchte Japan, Kuba, Israel und die USA, um diese Erfahrungen in zahlreichen Reportagen und Büchern zu verarbeiten, die in der DDR in hohen Auflagen erschienen sind.

Von 1985 bis 1993 stand er als Generalsekretär dem PEN-Zentrum vor. Hochrangige Auszeichnungen wie der Fontane-Preis, der Heinrich-Mann-Preis sowie der Literaturpreis Ruhr wurden ihm später zugesprochen.

Der Kinofilm ist seit 30. September 2021 bundesweit in ausgesuchten Filmtheatern zu sehen. In Berlin-Wilmersdorf wird er erneut in den Eva Lichtspielen am 11. Oktober 2021 gezeigt. Am heutigen 6. Oktober 2021 läuft er in Berlin im Hackesche Höfe Kino und im Kunst- & Kulturzentrum Brotfabrik in Weißensee.

++++++++++++++



Im Rahmen von 1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland, zu dessen Jubiläumsjahr auch der oben genannte Film rechtzeitig fertig gestellt werden konnte, präsentiert das »Erste« der ARD im Oktober 2021 darüber hinaus drei weitere Dokumentationen, die die historischen Wurzeln und vielfältigen Facetten jüdischen Lebens in Deutschland beleuchten. Eine davon ist bereits vorab in der ARD Mediathek zu sehen.

"Wir sind alle deutsche Juden" (NDR/rbb)
ab Freitag, 8. Oktober, in der ARD Mediathek und am Montag, 11. Oktober, um 23:35 Uhr im Ersten.

"Ich bin Jude. Was bedeutet das?", fragt sich Daniel Cohn-Bendit. Um das herauszufinden, begibt er sich dorthin, wo seine Mutter, wie viele andere Juden nach 1945, einen Staat gründen wollten, in dem sie frei sein könnten: nach Israel. Er wird dabei - immer wieder von Neuem - auf sein Verhältnis zum eigenen Judentum zurückgeworfen und gezwungen, es zu überprüfen. Cohn-Bendit diskutiert mit liberalen und ultrafrommen Juden, mit einer Siedlerin in der Westbank, einem Palästinenser in Ost-Jerusalem und sogar mit einem besatzungskritischen Ex-Geheimdienstchef, der zugibt: Wäre er ein Palästinenser, würde er zu den Waffen greifen.

Frankreich, 2020, 78 Minuten, Buch: Daniel Cohn-Bendit, Regie: Niko Apel, Produzent: Georges-Marc Benamou, Lizenzkauf von NDR und rbb, Redaktion: Christian Granderath, Philine Rosenberg (NDR), Rolf Bergmann (rbb)

---------------------

"Schalom und Hallo" (WDR/HR)
am Montag, 25. Oktober 2021, um 20:15 Uhr im Ersten

In dieser 90-minütigen Dokumentation begibt sich Schauspielerin Susan Sideropoulos auf eine spannende und unterhaltsame Reise durch 1.700 Jahre deutsch-jüdische Geschichte und auf die Spuren ihrer eigenen Vorfahren.

Immer mit Blick auf die Gegenwart erzählt sie vom Köln zu Römischer Zeit, von den mittelalterlichen SchUM-Städten Speyer, Worms und Mainz, vom Frankfurt der frühen Neuzeit, sowie von Leipzig, Hamburg, München oder Berlin. Dabei stehen nicht nur historische Figuren und Ereignisse im Mittelpunkt, sondern vor allem "Menschen von heute" wie die Rabbinerin Jasmin Andriani, Folk-Musiker Daniel Kahn, Filmregisseur Peter Kahane, die Literaturwissenschaftlerin und Buchhändlerin Rachel Salamander, Autorin Linda Sabier oder Gastronomin Shani Leiderman. Ferner zählen der Publizist Josef Joffe, Historiker Julius Schoeps sowie Museumsdirektorin Miriam Wenzel zu den Interviewpartner:innen.

Vergangenheit und Gegenwart werden so miteinander verwoben, die Chronologie der Ereignisse aufgebrochen, und historische Ereignisse und Menschen begegnen denen der Gegenwart. Durch diese Verknüpfung entsteht ein buntes und vielschichtiges Bild von der Kontinuität jüdisch-deutscher Geschichte.

Susan Sideropoulos über das Projekt: "Diese Doku zu machen war für mich persönlich auch eine Entdeckungsreise. Ich habe viel über meine eigenen Wurzeln gelernt und interessante Persönlichkeiten kennengelernt."


Das Autorenteam bildet ein nichtjüdisch-jüdisches "Tandem": Der renommierten Autorin und Regisseurin Nina Koshofer stand auch diesmal der erfahrene Journalist Allon Sander zur Seite.

Deutschland 2021, 90 Minuten, Buch und Regie: Nina Koshofer und Allon Sander, Produktion: Gruppe 5 Filmproduktion Köln, Redaktion: Mathias Werth (WDR), Sabine Mieder (HR).

---------------------

"Antisemiten sind immer die anderen: Nie wieder Judenhass - eine Illusion?" (SWR)
am Montag, 25. Oktober 2021, um 23:35 Uhr in der Reihe "Echtes Leben - Dokumentation" im Ersten.

"Die Rothschild-Seuche lässt sich nicht wegimpfen" stand bei einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen auf einem Plakat der Querdenker. Der Antisemitismus treibt neue Blüten, nicht erst seit Beginn der Corona-Krise. Doch seit dem Anschlag von Halle am 9. Oktober 2019 sind Politik und Zivilgesellschaft wach geworden. Die Bundesregierung gibt allein 2021 für Extremismusprävention und Demokratieförderung 150 Millionen Euro aus. Und es gibt Strategien - in Zivilgesellschaft, Bildung, Politik und Gesetzgebung; das Engagement vieler Initiativen zeigt Früchte.

Deutschland 2020/2021, 45 Min., Autor: Uri Schneider, Produktion: Tele Aviv Productions Ltd., Redaktion: Katrin Grünewald (SWR)

---------------------

Außerdem in der ARD Mediathek: ein dreiteiliges Filmprojekt, das sieben Fragen zu jüdischem Leben beantwortet.

"7 Fragen zu jüdischer Religion", "7 Fragen zu jüdischer Geschichte in Deutschland", "7 Fragen zu jüdischer Kultur"
(WDR/ARD) ab Donnerstag, 21. Oktober 2021, in der ARD Mediathek

Das dreiteilige Filmprojekt von Nina Koshofer und Allon Sander greift jeweils sieben Aspekte aus den Themenbereichen jüdische Religion, jüdische Geschichte in Deutschland und jüdische Kultur auf. Unterhaltsam und mit "Insider-Wissen" vermitteln die drei Teile einen Einblick in das jüdische Leben. Sie ergänzen die Dokumentation "Schalom & Hallo".

Präsentator von "3 mal 7 Fragen zum jüdischen Leben" ist der 24-jährige Lars Umanski. In Unna geboren, studiert er mittlerweile in Berlin und ist Vizepräsident der Jüdischen Studierendenunion Deutschland JSUD. Er hat Erfahrungen sowohl in einer Einheitsgemeinde als auch in einer liberalen Gemeinde und steht für ein junges, diverses und vielfältiges Judentum, das selbstbewusst und weltgewandt ist.

Deutschland, 2021, drei Mal 20 Minuten, Buch und Regie: Nina Koshofer und Allon Sander, Produktion: Gruppe 5 Filmproduktion Köln, Redaktion: Mathias Werth (WDR)

++++++++++++++

Zum Thema Holocaust und dem Völkermord der Nazis an ca. sechs Millionen europäischer Juden, ist ab 11. November 2021 im Kino auch eine Doku zur unfassbaren zweiten Karriere des Albert Speer zu sehen.

Hier der Trailer von "SPEER GOES TO HOLLYWOOD":



Ursprünglich plante Paramount einen Film über den Architekten und persönlichen Baumeister Hitlers, der später den Posten des Reichsministers für Bewaffnung und Munition erhielt. Bei den Nürnberger Prozessen (1945-49) gegen führende Vertreter des NS-Regimes wurde Speer aber nicht wie viele andere Nazis zum Tode verurteilt, sondern erhielt eine 20-jährige Freiheitsstrafe, die er überlebte. Als freier Mann gab er anschließend Interviews und schrieb sein eigenes, geschöntes Drehbuch zum geplanten Film der US-Hollywood-Studios, der glücklicherweise so nie gedreht wurde.


Wie es dazu kam, und welche verlogene Haltung Speer gegenüber den Juden tatsächlich zeigte, schildert die aktuelle Doku im Verleih von Salzgeber auf Basis von bislang nicht veröffentlichten Tonbändern, die ein junger englischer Autor nach Speers Entlassung in dessen Haus aufnehmen konnte.

Unsere Kritik folgt zum Kinostart.

Anzeige