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Die Preisträger*innen des 17. achtung berlin – Filmfestivals

Die feierliche Preisverleihung des 17. achtung berlin – Filmfestivals fand am Sonntagabend, 12. September 2021, im Kino Babylon statt.



Der new berlin film award in der Kategorie Bester Spielfilm, dotiert mit einem Preisgeld von 2.000 Euro in bar, gestiftet vom Streamingdienst Sooner, geht an:

"RIVALE" von Marcus Lenz
Produktion: Hanfgarn & Ufer Filmproduktion
Koproduktion: Wildfilms, ZDF/3sat

Hier der Trailer:



Synopsis:
Versteckt in einem Lieferwagen überquert der 9-jährige Roman die Grenzen von der Ukraine nach Deutschland, um endlich wieder bei seiner Mutter zu sein. Aber Oksana ist nicht allein. Sie lebt mit einem 62-jährigen Witwer zusammen, für den sie als private Krankenschwester illegal arbeitet. Als Roman seine Mutter mit dem alten Mann im Bett findet, kämpft er verzweifelt um ihre Aufmerksamkeit. Dann wird Oksana schwer krank und Mutter und Sohn werden wieder getrennt. Roman findet sich bald darauf an einem abgelegenen Ort gefangen, abgeschnitten von der Zivilisation und völlig abhängig von seinem Rivalen.


Das Filmdrama feierte 2020 seine Erstaufführungen bei folgenden Filmfestivals: Busan, AFi, Tallinn und gewann gestern in Berlin auch den Preis für das beste Drehbuch sowie den Preis für die beste Kamera Spielfilm.

Begründung der Jury Spielfilm:
Nach fast eineinhalb Jahren mehr oder wenig kontinuierlicher Absenz vom Kino als sozialem Raum ist es umso schöner, festzustellen, welche Kraft hier ein Film entfalten kann. Im Gegensatz zu gestreamten Serien oder auf Screens konsumierbaren Produkten, ist es die große Kunst des Kinos, uns zu erschüttern, zu berühren, zu hinterfragen, zu unterhalten und zum Diskurs anzuregen.

Im besten Falle gelingt es einem Team, ein Werk herzustellen, das mehr ist als die Summe der einzelnen Gewerke. Ein kollektives Kunstwerk, das uns dazu verführt, ihm zu vertrauen und in den cineastischen Raum zu folgen.

Dem Regisseur Marcus Lenz und seinem gesamten Team gelingt mit „Rivale“ eben dies. Es wird eine faszinierende, hochemotionale Dreiecksgeschichte erzählt, die den Zuschauer dazu verführt, komplexen Fragestellungen nachzugehen, ohne dabei didaktisch zu sein.

Es ist die große Sehnsucht eines Jungen nach bedingungsloser Nähe zu seiner Mutter, die hier erzählt wird. Die Einsamkeit und sukzessive Isolierung in einer fremden Umgebung trifft auf den existenziellen Wunsch nach Freiheit. Dabei spiegelt sich die brisante, gesellschaftspolitische Dimension im kleinen Kreis einer doppelt zerrissenen Familienkonstellation.

Eine herausragende Ensembleleistung der Schauspieler*innen Maria Bruni, Udo Samel und allen voran die großartige Entdeckung Yelizar Nazarenko machen diesen Film in jeder Szene zu einem wahren Kinoerlebnis. Ein Wechselspiel zwischen Weichheit, Kampf, Zerbrechlichkeit und Hoffnung.

Es ist vor allem die Ambivalenz der Figurenführung und der Mut zur poetischer Verdichtung und Lückenhaftigkeit, die uns sofort überzeugt haben, den Hauptpreis des Festivals an Marcus Lenz und den Film „Rivale“ zu geben.

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Der new berlin film award in der Kategorie Bester Dokumentarfilm, dotiert mit einem Preisgeld von 1.000 Euro in bar geht an:

"THE CASE YOU" von Alison Kuhn
Produktion: Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf

Hier der Trailer:



Die schon mehrfach ausgezeichnete Doku über sexuellen Missbrauch feierte ihre Premiere nur virtuell im Januar 2021 beim Max Ophüls Preis in Saarbrücken und lief anschließend ebenfalls nur digital im Stream beim DOKfest München und dem IDFA Amsterdam.


Begründung der Jury Dokumentarfilm:
In einer black-box wird ein Raum vermessen und ein kollektives Erlebnis von fünf Schauspielerinnen verhandelt. Der Film verlässt über 80 Minuten diesen Raum nicht. Mit emotionaler Balance und künstlerisch-minimalistischer Präzision beginnt ein Nachzeichnen und Spiel um ein Casting voller Übergriffigkeit und Demütigung. Mit akribischer Sorgfalt werden Details, Situationen, Vorgänge gemeinsam preisgegeben, um die schamhaften Engramme abzuschütteln. Der so erzeugte Raum, mit den darin beteiligten Schauspielerinnen und deren Berichten, lässt eine Situation entstehen, als sei man an einem Tatort anwesend.

Der Film löst seinen Fall nicht, aber er wirft ein grelles Licht auf den Tathergang. In der mutigen Selbstbefragung der Protagonistinnen wird offenbar: dieser Fall betrifft dich, mich, „the case you”. Der Regisseurin Alison Kuhn gelingt mit ihrem Film “The Case you” in beeindruckender Schlichtheit eine Transformation traumatischer Erfahrungen in die vitale Souveränität einer Gegenwehr.

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Der new berlin film award in der Kategorie Beste Kamera Dokumentarfilm geht an:

Antonia Kilian (Kamera & Regie) für "THE OTHER SIDE OF THE RIVER"

Hier der Trailer:



Synopsis:
Es ist das Drama einer syrischen Feministin, die mit 19 Jahren von zu Hause ausriss und den Euphrat überquerte, um einer Zwangsheirat zu entgehen. Die hochdramatische Geschichte wird von der deutschen Regisseurin Antonia Kilian in ihrem Langfilmdebüt erzählt, die sich 2016 als linke Aktivistin für die kurdische Frauenbewegung in Rojava interessierte, aber die ungeschriebenen gesellschaftlichen Regeln in einer Stadt mit überwiegend arabischer Bevölkerung unterschätzt hat.


Begründung der Jury Dokumentarfilm:
Die Kamera ist hier eine Komplizin und Vermittlerin inmitten eines Kriegsgebiets. Sie findet Zugang in eine abgeschlossene Welt militärischer Ausbildung junger kurdischer Frauen und deren Bewaffnung und Entscheidungen für ihre eigene Selbstbestimmung, auch ihr Leben einzusetzen. Inmitten dieses hochexplosiven Terrains erleben wir die junge Hala, die von einer gerechteren Welt träumt, in der ihre Schwestern, aber auch alle Frauen, frei leben können. Dabei drängt sich die Kamera nie auf, spürt nach, tastet sich heran, bleibt auf Augenhöhe mit der Protagonistin und schafft es, ihren gefährlichen Alltag einzufangen ohne die Augenblicke der Schwerelosigkeit aus dem Blick zu verlieren. Mit respektvoller Nähe und der Wahrnehmung auch von Alltagsdetails lässt sie die Protagonistinnen sehr vertraut werden. Es sind diese haptische Bilder des Films, die die kurzen sorglosen Momente und Sehnsüchte der jungen Frauen so eindrücklich erlebbar machen. Und das inmitten von konfliktreichen archaischen Lebensvorstellungen der Familien, der Vertreibung des IS und den Zweifeln, wie man mit bewaffneter Gewalt zur Freiheit aller Frauen gelangt.

Der Regisseurin und Kamerafrau Antonia Kilian gelingt es, genau hinzuschauen, die Situationen zu durchdringen. Sodass auch wir eine fast schmerzlich intensive Beziehung zu der Protagonistin aufbauen und auch ihr Leid und den hohen Preis den sie für die Freiheit zahlt, spüren.

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Lobende Erwähnung Beste Kamera Dokumentarfilm an :

Jide Tom Akinleminu (Kamera & Regie) für "WHEN A FARM GOES AFLAME"

Hier der Trailer:



Synopsis:
Ein junger Nigerianer verlässt Ende der 1960er-Jahre sein Heimatdorf und reist zum Studium nach Dänemark. Dort trifft er seine zukünftige Frau, sie ziehen nach Nigeria und gründen eine Familie. Doch die Umstände in dem korruptionsgeplagten Land zwingen sie 16 Jahre später zur Rückkehr. Für die Kinder ist es besser in Dänemark aufzuwachsen und die Schule zu besuchen, aber der Mann hat Bedenken. Dauerhaft in Dänemark zu leben, ist für ihn schwer vorstellbar. Kurz vor der Abreise trifft er den Entschluss, zu bleiben. Er gründet eine zweite Familie in Nigeria, verheimlicht das aber vor seiner dänischen Frau, aus Angst, sie zu verletzen. So entsteht eine Lebenslüge, die erst nach 30 Jahren Fernehe aufgedeckt wird.

Der Film feierte in diesem Jahr auf der 71. Berlinale seine Premiere und erhielt jetzt beim Achtung Berlin Festival auch den Preis der Ökumenischen Jury.


Begründung der Jury Dokumentarfilm:
Am Anfang steht eine Lüge, die eine ganze Familie zerrüttet - auseinanderreißt. Der Sohn geht auf die Suche nach einer Wahrheit, die ihm verheimlicht wurde und wofür es auch keine Worte gibt. Er nutzt den Blick der Kamera dafür. Dem Regisseur und Kameramann Jide Tom Akinleminu gelingt es die Leerstellen seiner Familiengeschichte anhand seiner Beobachtungen aufzublättern. Er sieht die Familie seines Films als eine Versuchsanordnung, um die Verschiedenheiten der Erfahrungen von Sozialisierungen zu vermessen. Zugleich möchte er das Ungesagte der Familie für sich benennen. Dabei gelingen ihm Bilder, die sich souverän in diesen Kontrastwelten zwischen Dänemark und Nigeria bewegen. Akinleminu benutzt die Kamera als Kommunikationsmittel, um seinen Vater in Nigeria zur Rede zu stellen. Dabei scheinen die Bilder mit der inneren Welt des Regisseurs verwoben zu sein. Raum und Zeit spielen keine Rolle mehr. Ohne Vorhaltungen gelingt ihm, mit verführerischer Beharrlichkeit, die Freilegung dessen und gibt so auch gelungene Seitenblicke seiner eigenen Geschichte preis. Mit Charme und fliessender Beweglichkeit kann er sich so der bisher unausgesprochenen Geschichten selbst bemächtigen und uns staunend teilhaben lassen.

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Der new berlin film award in der Kategorie Beste Produktion, dotiert mit einem Postproduktionspreis im Wert von 5.000 Euro geht an:

Joséphine Demerliac (Regie & Produktion) für "DIE SONNE BRENNT"

Hier der Trailer:



Synopsis:
Zou und Anselm sind frisch verliebt und genießen einen traumhaften Sommer in Berlin. Doch als Anselms alter Freund Gustav auftaucht, ist die ungezwungene Leichtigkeit plötzlich verflogen und die Realität bricht über Zou herein. Ist das überhaupt Liebe oder nur die Angst, allein zu sein? Und so irrt sie verträumt, verloren und gelangweilt durch eine Gesellschaft, die scheinbar doch nicht alle Freiheiten für sie bereit hält.


Begründung der Jury Spielfilm:
Generell war es uns wichtig, den Nachwuchs-Charakter von „Achtung Berlin!“ zu vermitteln. Mit großem Mut hat ein ganzes Team, unter der Leitung einer jungen Frau, hart daran gearbeitet, einen Film zu präsentieren, in dem die Rolle der Frau in der Gesellschaft und insbesondere in der Beziehung hinterfragt wird.

Und um ihr und unseren Kollegen zu sagen, dass wir uns wünschen, dass viele Filme von Frauen inszeniert und produziert werden, die nicht unbedingt eine Filmschule besucht haben, geht der Preis für die beste Produktion an Joséphine Demerliac für „Die Sonne brennt“.

Dieser Preis ist auch für uns eine Art Förderpreis, und wir hoffen, dass er es ihr ermöglicht, eine Finanzierung für ihren nächsten Film zu finden, da ein Teil der Postproduktion schon gesichert ist.

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Der new berlin film award in der Kategorie Beste Regie, dotiert mit einem Postproduktionspreis im Wert von 5.000 Euro geht an:

"BORGA" von York-Fabian Raabe

Hier der Trailer:



Synopsis:
Von der Müllkippe in Accra ins ferne Europa nach Mannheim: Für den Ghanaer Kojo wird ein Traum wahr, als sich für ihn die Gelegenheit bietet. Dann muss er aber erkennen, dass das Leben eines Borga, der im Ausland zu Reichtum gekommen ist, nur ein Trugbild ist.


Begründung der Jury Spielfilm:
Getrieben von dem Wunsch nach Anerkennung und der Hoffnung auf ein neues Leben in vermeintlichem Wohlstand macht sich der Ghanaer Kojo auf, sein von Armut geprägtes Heimatviertel von Accra zu verlassen und in Europa ein neues Leben zu beginnen, ein neues Ich anzunehmen, ein „Borga“ zu werden. Der Regisseur York-Fabian Raabe erzählt in seinem ersten abendfüllenden Spielfilm diese Geschichte mit einer spannenden Mischung aus Optimismus und Härte. Imagination und Realität treffen aufeinander. Raabe dekonstruiert das Narrativ von Erfolg und Wohlstand und konzentriert sich konsequent auf die Perspektive seiner afrikanischen Hauptfigur, dargestellt von Eugene Boateng, wodurch es ihm gelingt, Momente jenseits von Klischees zu finden. Niemals ist der Blick auf die Figuren, ihre Sehnsüchte und Konflikte wertend, sondern es eröffnet sich ein Diskursraum, der über den Film hinausreicht. Empowerment, Identität, Eigen- und Fremdwahrnehmung werden thematisch verwoben mit einer Erzählung, die in den schönsten Momenten einen neuen Blick auf eine mögliche Zukunft des deutschen Films wirft.

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Der new berlin film award in der Kategorie Bestes Schauspiel dotiert mit einem Preisgeld von 1.000 Euro in bar, wurde an zwei Schauspielende paritätisch vergeben:

Schauspiel: Haley Louise Jones & Lorna Ishema
Film: "IVIE WIE IVIE"
Regie: Sarah Blaßkiewitz

Schauspiel: Sara Fazilat
Film: "NICO"
Regie: Eline Gehring

Der sektionsübergreifende publikumsstärkste Film geht an:

"HEIKOS WELT" von Dominik Galizia

Die Gewinner der Kategorien Bester Mittellanger sowie Kurzer Film heißen:

"MATADORAS" von Sophia Mocorrea
"PROLL!" von Adrian Figueroa (lobende Erwähnung)
"OTHER THAN THAT, I´M FINE" von Eren Aksu (kurzer Film)
"BALKONIEN" von Jakob Krese und Pedro Martin (Doku mittellang/kurz)
"ERWIN" von Jan Soldat (lobende Erwähnung mittellang/kurz)

Link: achtungberlin.de

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