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Kinostarts im September 2021, Teil 3

Weitere Filmbesprechung zu den Kinostarts vom Donnerstag, den 09.09.2021 sowie zu einer Premiere am 14.09.2021.



Der nachfolgend besprochene Film ist schockierend, vor allem weil er auf Tatsachen von Kindesentführung, Missbrauch und sexueller Ausbeutung beruht. Unsere Kollegin hat einen ganz anderen Film erwartet, ist aber dennoch standhaft bis zum Schluss der Pressevorführung im Kino geblieben. Wir sind zur Premiere am Dienstag eingeladen, zweifeln jedoch hinzugehen, nachdem wir uns den Trailer angesehen haben.

Immerhin tun sich auch viele Parallelen an die seit 14 Jahren in Portugal verschwundene, 4-jährige Madeleine McCann auf. Der Vermisstenfall "Maddie McCann" erlangte durch den öffentlichen Suchaufruf ihrer Eltern Kate und Gerald McCann weltweit Bekanntheit und ähnelt in gewisser Weise den Beschreibungen im Film.

"SMALL WORLD" Cop-Drama von Patryk Vega (Polen), inspiriert von tatsächlichen Begebenheiten. Mit Piotr Adamczyk, Marieta Zukowska, Enrique Arce, Andris Keiss, Piotr Stramowski, Julia Wieniawa u. a. ab 16. September 2021 im Kino. Premiere in Berlin am 14.09.2021. Hier der Trailer:



Synopsis:
„Die Geschichte beginnt in Polen, wo ein 4 Jahre altes Mädchen aus einer der umliegenden Städte verschwindet. Ihre Mutter findet bald heraus, dass die russische Mafia ihre Tochter entführt hat. Als die Frau zu einem Grenzübergang eilt, um ihr Kind zu retten, wird sie von einem Polizisten, Robert Goc, wegen überhöhter Geschwindigkeit angehalten. Das Eingreifen der Polizei verzögert die Verfolgung und das Kind wird hinter der Ostgrenze entführt. Schon bald wird Robert, der sich schuldig fühlt, weil er die Entführer nicht aufhalten konnte, in eine internationale Ermittlung verwickelt, um das Mädchen zu finden. Die Spur zu der entführten Ola taucht ein paar Jahre später in Russland auf.

Der Menschenhandel ist der am dynamischsten entwickelte Zweig der Kriminalität in der heutigen Welt. Jedes Jahr werden 1,5 Millionen Kinder für sexuelle Ausbeutung, Betteln, Organhandel oder Rituale verkauft. SMALL WORLD handelt von einem dieser Kinder. Das Drehbuch wurde auf der Grundlage von Dokumentationen erstellt.

Patryk Vega, der Regisseur möchte, dass dieser Film ein „Aufschrei“ ist, bei dem sich Schauspieler aus verschiedenen Ländern gegen den weltweiten Kinderhandel zusammen schließen. Er möchte jedoch betonen, dass es ihm sehr wichtig ist, nicht die direkten brutalen Bilder von Kindern zu zeigen, die misshandelt werden“. (aus dem Pressetext des Verleihs)

Ulrikes Filmkritik:
(Ein Film, der in die Abgründe des Kinderhandels führt.)

Eine Mutter entdeckt, dass ihr Kind weg ist. Verzweifelt rennt sie auf die Straße, dort liegen abgeschnittene Haar und russische Süßigkeiten. Sie setzt sich ins Auto und verfolgt einen Transporter mit russischem Kennzeichen. Als sie von der Polizei gestoppt wird und denen wild gestikulierend unter Tränen klar macht, was passiert ist, sind die Entführer längst über alle Berge. Dank des Einsatzes von Robert Goc, wird sie ihre Tochter Ola, erst nach 12 Jahren wiedersehen.

Russland, 3 Jahre später.

Oleg, ein Russe, muss mit seinen fünf adoptierten Kindern wegen einer Gasexplosion seine Wohnung fluchtartig verlassen. Als die Polizei nach dem Auslöser sucht, entdecken sie in seiner Wohnung pornographische Kinderfotos. Er wird festgenommen. Es ist erschütternd wie die weinenden Kinder der Polizei hinterherrufen, was sie denn mit ihrem lieben Papi tun. Aus einem Mangel an Beweisen wird er wieder laufen gelassen. Er bringt die Kinder zu seinem Bruder, der sie an eine kriminelle Gruppe aus Moldawien verkauft. Widerlich das Geschacher um den Preis. Robert kommt leider zu spät. Der nächste Fall führt ihn nach Großbritannien. Nach dem tragischen Tod eines der minderjährigen Mädchen, stößt der Polizist auf eine Spur, die zu einer der britischen Wohnungen führt. Dort findet er einen Fotografen und ein geheimnisvolles junges Mädchen. Als er sie nach ihrem Namen fragt, antwortet sie mit kindlicher Stimme: „Candy oder Stella oder Sugar oder Kitty". Wie sich später herausstellt, ist sie die Ola, die er sucht.

Das Mädchen entkommt, der inhaftierte Fotograf wird wegen der einflussreichen Beziehungen der Künstlerin Jasmina wieder freigelassen. Die obszönen Fotos bezeichnet sie als Kunst. Robert schäumt vor Wut. Weiter verfolgt er Olas Spur. Sie führt ihn zu einer mysteriösen Party. Er trifft auf Menschen in einer düsteren Maskerade, bei der kleine Kinder für okkulte Rituale benutzt werden. Leider wird der Polizist enttarnt . Ola wird ihm weggenommen und erneut verkauft, diesmal nach Asien. Vier Jahre sucht er in Thailand nach dem Mädchen, bis er endlich ihre Spur gefunden hat. Sie hat ein Verhältnis mit John, dem Mann, der sie in Großbritannien gekauft hat. Ein Choleriker, der sie misshandelt dann wieder verwöhnt und wieder misshandelt… Robert will sie zurück nach Polen bringen. Ola weigert sich. Erst als sie schwanger ist und John sie zu einer Abtreibung zwingt, geht sie unter Tränen weg. Robert hilft ihr, sich zu verstecken, besorgt ihr einen Pass bei der polnischen Botschaft und das Ticket nach Polen. Vorher macht er noch ein Foto von ihr und schickt es ihrer Mutter. Nach zwölf Jahren kehrt sie zurück, in eine Welt, die ihr völlig fremd ist.

Das ist der rote Faden eines Films, dessen Bilder man kaum ertragen kann. Patryk Vega schreckt nicht davor zurück diese abartige Szene in all ihrer Brutalität zu zeigen, dass man völlig vergisst, Zuschauer eines Spielfilms zu sein. Alle Schauspieler, angefangen bei den Kindern, den Polizisten den Tätern, den Opfern, sie spielen eine bittere Realität, die einer Dokumentation gleich kommt.

Ganz großartig das Spiel von Robert, der sich jahrelang in diesem Sumpf bewegt und einer „Achterbahn“ von Emotionen ausgesetzt ist, zeigt gnadenlos, was das mit einem macht. Kaum erträglich mit anzusehen, wie die Kinder sich ihrer Umwelt anpassen, lautlos leiden, sich in die Opferrolle fügen, denn sie kennen ja nichts anderes. Die Brutalität die in diesem Film zum Ausdruck kommt wirkt, noch lange nach und das ist auch gut so. Robert kehrt nochmal zurück nach Großbritannien, mischt sich wieder unter eine mysteriöse Maskerade, überwältigt die Sicherheitskräfte und beginnt mit einem Maschinengewehr auf die Peiniger zu schießen. Dann befreit er Dutzende von Kindern und lässt sie vor dem Haus frei, wo sich die Polizei um sie kümmert. Psychologisch verständlich.

Ulrike Schirm


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"STILLWATER - gegen jeden Verdacht" Thriller von Tom McCarthy (USA). Mit Matt Damon, Camille Cottin, Abigail Breslin u. a. seit 9. September 2021 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:
(Ein Vater kämpft für seine Tochter, die unter Mordanklage steht.)

Der Fall der amerikanischen Austauschstudentin Amanda Knox, die 2007 in Italien eine Mitbewohnerin umgebracht haben soll und nach vierjähriger Haft in letzter Instanz freigesprochen wurde, dient als Aufhänger für dieses Drama.

Regisseur Tom McCarthy („Spotlight“) verlegt den Handlungsort von Perugia nach Marseille. Immer wieder reist Bill Baker aus Stillwater, einem Kaff in Oklahoma dorthin, um seine inhaftierte Tochter Allison (Abigail Breslin) im Gefängnis zu besuchen. Fünf Jahre ihrer neunjährigen Haftstrafe hat sie bereits abgesessen. Die Studentin wurde in einem spektakulären Prozess für den Mord an ihrer Geliebten, die arabischer Herkunft war, verurteilt. Weiterhin beteuert sie ihre Unschuld. Baker, der jahrelang keinen Kontakt mit ihr hatte, besucht sie regelmäßig, bringt ihr frische Wäsche und bestellt ihr Grüße von der Großmutter. Ihre Mutter hat sich umgebracht. In der kargen Besucherzelle beten sie gemeinsam. Allison steckt ihrem Vater ein Kassiber zu, ein Brief an ihre Anwältin, mit neuen Hinweisen zu ihrer Unschuld, um den Fall wieder neu aufzurollen. Die Anwältin lehnt ihr Gesuch ab. Für sie ist der Vorgang abgeschlossen. Es gibt eine Zeit der Hoffnung und eine für Akzeptanz. Baker lässt seine Tochter in dem Glauben, dass der Fall wieder aufgerollt wird.

Die eigentliche Stärke des Dramas ist sein Hauptdarsteller Matt Damon, intensiv, wie lange nicht. Mit vollem Kinnbart, Basecap und Sonnenbrille erkennt man ihn kaum. Bill Baker, ein wortkarger, gläubiger Redneck und überzeugter Waffenbesitzer. Seinen früheren Job auf den Erdölfeldern hat er verloren und der Alkohol war lange Zeit sein bester Freund. Als die Französin Virginie, die noch eine wichtige Rolle spielt, ihn fragt, ob er ein Trump-Wähler sei, antwortet er, dass er als Vorbestrafter nicht wählen darf.

Baker entschließt sich, selbst nach entlastenden Beweisen zu suchen. Gar nicht so einfach in einem Land mit einer fremden Kultur und einer Sprache, die er nicht spricht. Für einen Privatdetektiv fehlt ihm das Geld. Er recherchiert auf eigene Faust.

Parallel dazu entwickelt sich ganz sacht eine Liebesgeschichte zu der alleinerziehenden Französin Virginie (Camille Cottin), die für einige Tage mit ihrer Tochter Maya (Lilou Siauvaud) im selben Hotel wohnt. Sie bietet ihm ihre Hilfe an. Baker hat sich in den Kopf gesetzt, Akim zu finden, einen jungen Mann, der erzählt hat, eine Frau umgebracht zu haben und der in der Mordnacht mit Allison und ihrer Freundin gefeiert haben soll. Von ihm könnten die DNA-Spuren stammen, die die Polizei am Tatort gefunden hat. Damit begibt er sich in eine heillose Gefahr.

Seine Suche führt ihn in eine Gegend, wo man sich als weißer und dann noch amerikanischer Tourist, besser nicht sehen lassen sollte. Er wird zusammengeschlagen aber er hat Akim gefunden. In der Zwischenzeit hat Virginie ihm angeboten als Untermieter bei ihr einzuziehen. Er kümmert sich um ihre Tochter wenn sie Theaterproben hat. Sie hilft ihm bei Telefonaten, macht Übersetzungen für ihn, er revanchiert sich, indem er handwerkliche Arbeiten in der Wohnung erledigt. Außerdem hat er einen Job als Hilfsarbeiter auf dem Bau angenommen.

Allison will ihren Vater nicht mehr sehen. Als sie erfährt, dass er sich auf die Suche nach Akim gemacht hat und nicht die Polizei gerufen hat, schreit sie ihn wütend an: „Du versaust mir mein Leben nicht mehr. Du hast es mir schon als Kind genug versaut!“ - Maya ist glücklich. Sie sieht in Bill so etwas wie eine Vaterfigur. Fröhlich bringt sie ihm französische Vokabeln bei. Ganz langsam öffnet sich dieser entwurzelte Mensch, mit dem reglosen Gesicht, der um die Freiheit seiner Tochter kämpft, nicht nur weil er an ihre Unschuld glaubt, sondern um seine Versäumnisse aus der Vergangenheit wettzumachen. Auch gegenüber Virginie lockert er allmählich seinen Panzer. Seine ungelenken Umarmungen werden lockerer und weicher und er tanzt in der neuen, familiären Umgebung nach dem Song von Sammi Smith: „Yesterday is dead and tomorrow`s out of sight. And it`s sad to be alone. Help me make it through the night“. Auch betritt er zum ersten Mal ein Theater.

Er macht Maya eine große Freude indem er mit ihr zum Fußballspiel ins Stadion von Olympique Marseille geht. Dort spielt ihr Lieblingsverein. Das Stadion ist ausverkauft. Der Jubel ist groß. Da entdeckt Baker Akim. Mit Maya an der Hand, nimmt er die Verfolgung auf. Hoffentlich macht er jetzt keinen Fehler.

„Stillwater“, Krimi und Sozialdrama, lebt von Matt Damons schauspielerischer Leistung. Allein mit seiner Körpersprache füllt er diese Figur mit Verletzlichkeit, Trauer und der Hoffnung für sich und Allison endlich Frieden zu finden. Die subtilen Zwischentöne und unverhofften Wendungen geben dem Drama einen zusätzlichen Schliff.

Ulrike Schirm


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