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Kinostarts im September 2021, Teil 2

Vier Filmbesprechungen zu Kinostarts ab Donnerstag, den 09.09.2021. Zwei weitere folgen noch.



BECKENRAND SHERIFF Komödie von Marcus H. Rosenmüller (Deutschland). Mit Milan Peschel, Dimitri Abold, Sebastian Bezzel u. a. seit 9. September 2021 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Karl Kruse ist ein Pedant. Wehe man will eine Minute zu früh ins Schwimmbad, dann heißt es warten. Die einzige Dauerkartenschwimmerin, die Morgen für Morgen ihre Runden schwimmen will, wird erst Punkt neun Uhr hereingelassen. Liegt jemand schief auf der Liege, werden von ihm die Beine gerade gerückt, auf Bahn sechs darf nicht gekrault werden, auf dem Sprungturm darf man nicht rumstehen und um Punkt 19:00 werden die Liegen in Reih und Glied gerückt. Wehe man nennt ihn Bademeister, dann wird man sofort korrigiert: „Ich bin Schwimmmeister“. Zu seinen Utensilien gehört ein Fernglas und eine Trillerpfeife. Nur wenn die Wasserballtrainerin Frau Wilhelm (Johanna Wokalek, köstlich), mit ihrer Herrenmannschaft auftaucht, ist Krause wie umgewandelt.

Doch dann hat er ein Problem: Das sanierungsbedürftige Bad soll abgerissen werden. Das hat die Bürgermeisterin (Giesela Schneeberger) beschlossen, da die Kosten für eine Instandsetzung viel zu hoch sind. Stattdessen soll der skrupellose Bauunternehmer Dengler (Sebastian Betzel) dort Luxuswohnungen bauen. Kruse versucht nun Unterschriften für ein Volksbegehren zu sammeln, doch er kann nur wenige Unterstützer mobilisieren. Sein neuer Azubi Sali (Dimitri Abold), ein nigerianischer Flüchtling, gegen den er anfänglich natürlich Vorbehalte hat, ist ihm auch keine große Hilfe, denn er macht keinen Hehl daraus, dass er so schnell wie möglich nach Kanada abhauen will, da ihm die Abschiebung droht. Das ändert sich, als er Lisa (Sarah Mahita), die Tochter von Dengler kennenlernt, die aus privaten Gründen ihr Schwimmtraining unterbrochen hat, nun aber doch wieder von einer Profikarriere träumt und nachts ins Schwimmbad einsteigt und trainiert.

Kruse wäre nicht Kruse, wenn er nicht um sein geliebtes Schwimmbad kämpfen würde. Dass die von ihm verhasste Ente, die sich im Schwimmbad eingenistet hat und bei der sich herausstellt, dass sie eine ornithologische Sensation ist, die maßgeblich an der Rettung beteiligt ist, hätte Kruse nie für möglich gehalten.

Die neue Komödie von Marcus H. Rosenmüller („Wer früher stirbt ist länger tot) überzeugt mit viel Humor und süddeutschen Charme. Geschickt hat Rosenmüller auch ernsthafte Themen eingebaut, die zum Nachdenken anregen. Es bleibt nicht verborgen, dass Milan Peschel an seiner Rolle des pedantischen Schwimmmeisters einen Riesenspaß hatte. In Berlin würde man sagen, ein Typ mit Herz und Schnauze, denn er kann auch anders. Das etwas klamaukige Ende, sei verziehen.

Ulrike Schirm


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EIN NASSER HUND Drama von Damir Lukačević (Deutschland, 2020) um einen jüdischen Teenager, der seine wahre Identität verbirgt, um in einer muslimischen Jugendgang Anschluss zu finden. Mit Doguhan Kabadayi, Mohammad Eliraqui, Derya Dilber u. a. seit 9. September 2021 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:
(Intensives, aktuelles Jugenddrama, inspiriert von Arye Sharuz Shalicars Autobiografie „Ein nasser Hund ist besser als ein trockener Jude“.)

Der sechzehnjährige Iraner Soheil (Doguhan Kabadyi) zieht mit seinen Eltern aus dem beschaulichen Göttingen nach Berlin – Wedding. Sein erster Eindruck: „Man sieht ja hier nur Dunkelhaarige und kaum Blonde.“ Dass der Schüler wegen seiner Religion angegriffen und gemobbt wird, ahnt er nicht. „Türken, Araber, Kurden, wir sind eine Familie. Willkommen im Wedding, Habibi“! Mit diesen Worten begrüßt ihn der Gangchef Husseyn (Mohammad Eliraqui) mit einer Umarmung.

Einge Tage zuvor haben ihm zwei Jungen, wegen seiner Kette mit dem Davidsstern, die er von seiner Oma geschenkt bekommen hat, als „dreckigen Juden“ beschimpft, dabei wird der jüdische Glaube in seinem Elternhaus gar nicht praktiziert. Um nicht weiteren Ärger zu bekommen, verheimlicht er fortan seine jüdische Herkunft und freundet sich mit den türkischen und arabischen Jugendlichen aus Husseyins Gang an.

Seine Eltern (Kida Khodr Ramadan und Dorka Gryllus) betreiben eine kleine Schneiderei und lassen ihrem Sohn viel Freiheit. Schnell ist er unter dem Namen „Kingsize“ im Wedding als nächtlicher Sprayer bekannt.

Um dazuzugehören und anerkannt zu werden, macht er sich mit Husseinys Gangkameraden auf den Weg nach Kreuzberg, um dort agierende Rivalen aufzumischen. Als „Bruder“ Husseyin ihm ein Messer in die Hand drückt, sticht er zu. Er vertickt Drogen, ist mit dabei einen Juwelier zu überfallen, den die Gang für einen Juden hält. Besonders stolz sind sie auf Soheil, als er es wagt, ein Polizeiauto zu besprühen, obwohl die Beamten in unmittelbarer Nähe sind.

Soheil ist in das türkische Mädchen Selma (Derya Dilber) aus seiner Schule verliebt. Als er als Ablenkungsmanöver das Wort „Jude“ an die Hauswand der Schule sprüht, stößt er auf Unverständnis seiner „Freunde“ und bekennt sich zu seiner Religion. Er versteht nicht, warum man im Wedding nicht dazustehen kann, ein „Jude“ zu sein. „Warum hassen sie uns so“, fragt er seinen Vater, der ihm fürsorglich zur Seite steht. Aber auch er hat keine Antwort. Selma, die trotzdem zu ihm hält, wird von einem Moslem aus der Gang bedroht. Sie schreit ihn an: „Liebe ist Religion scheißegal“!

Basierend auf dem 2010 veröffentlichen autobiographischen Roman „Ein nasser Hund ist besser als ein trockener Jude“ von Arye Sharuz Shalicar, der seine Jugend im Wedding verbracht hat und heute in Israel lebt, erzählt Regisseur Damir Lukacevic in seinem Drama vom alltäglichen Antisemitismus unter muslimischen Jugendlichen.

Bemerkenswerte Jungschauspieler, von denen viele von ihnen zum ersten Mal vor einer Kamera stehen, die ihre eigene Sprache sprechen, überzeugen mit einer unglaublichen Wahrhaftigkeit. Um seine Protagonisten gut vorzubereiten, veranstaltete Lukacevic mehrmonatige Improvisationsworkshops. Coole Rapmusik, schnell geschnittene Action sorgen zusätzlich, für eine authentische Atmosphäre. Der Muslim Kida Khodr Ramadan („4 Blocks“), der im Libanon geboren ist und Soheils verständnisvollen Vater spielt, zeigt wieder einmal mehr, das er nicht nur Gangster spielen kann. Hauptdarsteller Doguhan Kabadayi, der hier sein Schauspieldebüt gibt, stand bestimmt nicht zum ersten - und letzten Mal vor der Kamera. Ihn wird man bestimmt noch öfter sehen.

Ulrike Schirm


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"FANTASTISCHE PILZE - Die magische Welt zu unseren Füßen" Dokumentarfilm von Louie Schwartzberg, Drehbuch: Mark Monroe (USA, 2020). Seit 9. September 2021 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik

Pilze betreiben im Gegensatz zu Pflanzen keine Fotosynthese und bestehen mit ihren Fruchtkörpern nicht aus Zellstoff, sondern Chinin. Das rückt Pilze zusammen mit ihren sonstigen Eigenschaften in eine ungewöhnliche Zwischenposition zwischen Tieren und Pflanzen. Botanisch gesehen sind Pilze kein Gemüse, sondern werden mit ihren verschiedenen Arten unter die eigene Ordnung Fungi aller Pilzgewächse subsumiert.

Es gibt über 1,5 Millionen verschiedener Arten, giftig und ungiftig. Sie bilden ein unterirdisches Netz, das alles Lebende miteinander verbindet und können sogar mit Bäumen kommunizieren. Sie liefern Nährstoffe, indem sie Organismen zersetzen und abgestorbene Organismen kompostieren.

Sie sind in der Medizin einsetzbar und können bewusstseinserweiternde Prozesse in Gang setzen, sofern sie den Stoff Psilocybin enthalten. Es gibt Studien die gezeigt haben, dass man bei geprüfter Dosierung, die Angst vor dem Tod überwinden kann. Bei einigen Menschen können sie auch Wunder bewirken. Der Mykologe Paul Stamets erzählt, dass er als Kind mit Magic Mushrooms im Magen eine Gewitternacht auf einem Baum verbracht hat und seit dem nicht mehr stottert. Bekannt ist auch, dass man Pilzmittel in der Krebstherapie einsetzt. Tatsachen, die von der Pharma-Industrie „verteufelt“ werden.

„Fantastische Pilze“ besticht durch seine spektakulären Trickaufnahmen und nimmt den Zuschauer mit in eine Welt des Staunens über die Spezies Fungi. (OT: Fantastic Fungi)

Ulrike Schirm


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"THE PAINTET BIRD" schwarz-weiß Drama des tschechischen Regisseurs Václav Marhoul nach einem Roman des polnischen Schriftstellers Jerzy Kosinski. (Tschechien, Ukraine, Slowakei, 2019). Mit Aleksey Kravchenko, Alla Sokolova und Antonín Masek als mutterloses Kind sowie Petr Kotlar, Stellan Skarsgård, Harvey Keitel, Udo Kier u.v.m. seit 9. September 2021 im Kino. Hier der Trailer:



Unsere Kurzkritik:

Im Drama "The Painted Bird" sucht ein jüdischer Junge während des Zweiten Weltkriegs in Osteuropa eine Zuflucht vor Gewalt und Hass und begegnet unterschiedlichsten Charakteren, die es scheinbar alle auf ihn abgesehen haben.

Zweifellos hat sich der Regisseur bei der Umsetzung des 3-stündigen Epos vom ungarischen Altmeister Bela Tarr inspirieren lassen. Aber die Sicht des Kindes auf seine schrecklichen Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg weisen auch Parallelen zu Pepe Danquarts "Lauf Junge Lauf" aus dem Jahre 2014 auf.

Doch Kosinkis berüchtigter Roman kennt keine Hoffnung und beschreibt eine Welt aus Gewalt, Sadismus, Antisemitismus sowie Pädophilie und Sodomie, die der Regisseur in drastischen Bildern getreu der Vorlage umgesetzt hat. Viele schreckt dies ab, doch die Internationalen Filmfestspiele von Venedig haben den Film trotzdem vor zwei Jahren eingeladen und im Wettbewerb präsentiert.

Rauh und dennoch schön schrieb der Hollywood Reporter, atemberaubend die Financial Times während der Tagesspiegel offensichtlich mit der beeindruckenden osteuropäischen Filmkunst nichts anzufangen weiß. Wir sind anderer Meinung und können uns kaum an einen monumentaleren Antikriegsfilm erinnern, der tief in die Psyche eines Kindes schaut.

Das Jüdische Filmfestival Berlin Brandenburg (JFBB) zeichnete letzten Monat den Film mit dem Gershon-Klein-Spielfilmpreis aus. Auch für den Oscar und den europäischen Filmpreis 2020 war "The Painted Bird" nominiert.

Wir hatten den Film beim Berliner Weltfilmfestival »Around the World in 14 Films« im November 2019 als Preview sehen können und er bleibt tief im Gedächtnis verankert, was man von anderen Filmen selten behaupten kann.

Empfehlenswert.

W.F.


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