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Festivalstart in Karlsbad und zahlreiche Filmpremieren in deutschen Kinos

55. Jubiläumsfestival Karlovy Vary ehrt Michael Caine und Ethan Hawke, auch Johnny Depp ist zu Gast in Karlsbad.



Das wegen der Corona-Pandemie verschobene 55. Internationale Filmfestival von Karlsbad startete am gestrigen 20. August 2021 und rollte unter anderem für den US-Schauspieler Johnny Depp den roten Teppich aus, der in den nächsten Tagen erwartet wird.

Es sei ihm eine ungeheure Ehre, diese "Ikone des Gegenwartsfilms" in Tschechien begrüßen zu können, verkündete Festivalpräsident Jiri Bartoska.

Zu den weiteren Ehrengästen zählt der britische Schauspieler Michael Caine, der bei der feierlichen Eröffnung am Freitagabend den Kristallglobus für sein Lebenswerk bekam. Dem 88-Jährigen, der sich bei seiner Ankunft auf einen Krückstock stützen musste, geht es gesundheitlich nicht besonders gut, sodass nicht klar ist ob er dieser Tage auch die Komödie "Best Sellers" persönlich vorstellen kann, in der er zu sehen ist. Darüber hinaus soll auch US-Schauspieler Ethan Hawke gewürdigt werden.

Bis zum 28. August 2021 werden im westböhmischen Bäderort Karlsbad (Karlovy Vary) mehr als 30 Filmpremieren gezeigt. Zudem konkurrieren zwölf Filme um den höchsten Preis, die kristallene Kugel. Im vorigen Jahr war das Festival - eines der ältesten weltweit - wegen der Corona-Pandemie ganz abgesagt worden.

Im Hauptwettbewerb stehen in diesem Jahr gleich zwei deutsche Filme, die in Karlsbad (Karlovy Vary) Weltpremiere feiern: Das Beziehungsdrama "Nö" von Dietrich Brüggemann und "Le Prince" von Lisa Bierwirth. Zudem ist die deutsche Koproduktion "The Exam" über die Unterdrückung einer jungen Frau im kurdischen Nordirak zu sehen.

Der offizielle Eröffnungsfilm „Zatopek“ erzählt das Leben des tschechoslowakischen Langstreckenläufers Emil Zatopek (1922-2000). Sein schwerfälliger Laufstil brachte ihm den Spitznamen „die Lokomotive“ ein, doch gewann er viermal Olympia-Gold und wurde somit zum sportlichen Idol einer ganzen Generation.

Link: www.kviff.com

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Nicht nur das Filmfestival in Karlsbad musste verschoben werden, auch zahlreiche bereits zum Jahresanfang geplante Filmstarts kommen erst jetzt geballt in die deutschen Kinos.

Das Publikum kann wegen der 3G-Regelung mit Impfnachweis oder Testzwang dies gar nicht wie geplant goutieren und meidet immer noch viele Vorführungen, sodass manche empfehlenswerte Filme wegen fehlenden Zuschauern schon nach wenigen Tagen wieder aus den Lieblingskinos verschwunden sind.

"CHADDR - unter uns der Fluss" Dokumentarfilm von Minsu Park aus der TV-Reihe »Die gefährlichsten Schulwege der Welt«, den wir anlässlich des DOK.fest München bereits am 19. April 2021 kurz vorgestellt hatten. Nun ist das atemberaubende Werk seit 19. August 2021 offiziell im Kino. Hier nochmals der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Der Chaddr ist einer der berühmtesten Wege der Welt über einen im Winter zugefrorenen Fluss im Himalaya. Über 100 km müssen die Schüler aus dem Indischen Himalaya Dorf Zangla im Winter über das Eis des teilweise zugefrorenen Flusses gehen, um in die Provinzstadt Leh in der Grenzregion zu Pakistan in 3500 Metern Höhe, das auch indisches Tibet genannt wird, zu gelangen.

In Leh gibt es das einzige weiterführende Internat der Region. Die 18-jährige Tsangyang lebt seit 12 Jahren im Internat. Ihr großer Traum ist, Softwareingenieurin zu werden. Sie hofft ein Stipendium in Neu Delhi zu bekommen. Ihr Vater ist Dorfschullehrer, doch das Geld was er verdient reicht nicht zum Leben und schon gar nicht für das Schulgeld. Die Eltern bewirtschaften noch zusätzlich ein Feld mit Bohnen und Erbsen. Da es im Winter kaum noch schneit, gibt es im Frühjahr viel zu wenig Schmelzwasser für die Felder. Die Mutter webt noch Teppiche, die sie verkauft.

Noch vor einigen Jahren waren Fußwege wie der Chaddr, im Winter zugefroren und konnten ziemlich sicher begangen werden. Durch den Klimawandel werden diese Wege immer beschwerlicher, besonders mit viel Gepäck. Auf der Eisschicht bildet sich Schmelzwasser und es ist total rutschig.

Der Straßenbau nach Zangla kommt seit Jahren nicht voran. Seit 18 Jahren geht Tsangyangs Vater diesen Weg, um seine 3 Kinder zur Schule zu bringen und sie in den Ferien wieder abzuholen. Die Menschen in dem Dorf Zangla legen großen Wert auf die Schulbildung ihrer Kinder. Aber bei den meisten reicht das Geld nicht, um sie auf weiterbildende Schulen zu schicken.

Es ist wieder so weit. Vater und Tochter machen sich auf den Weg. Fürsorglich geht der Vater voran und sagt der Tochter wo sie möglichst hintreten soll. Tagelang sind sie unterwegs und haben dementsprechend viel Gepäck dabei. Unterwegs machen sie Feuer und schlafen in Höhlen. Auf einigen Strecken müssen sie am steilen Berghang entlangkraxeln und da, wo es nicht mehr weiter geht, müssen sie eine steile Bergwand hinaufklettern, wo schon von anderen Leuten Steigeisen in die Wand hineingeschlagen wurden. Es geht bergauf und wieder bergab, ständig mit der Angst im Eis einzubrechen. Es ist berührend zu sehen, wie der alte Mann, um seine Tochter zu beschützen, diese Strapaze auf sich nimmt. Sein Glaube, dass Gott sie beide beschützen wird, gibt ihm die nötige Kraft. Diese beschwerliche Reise unternehmen sie ein- bis zweimal im Jahr. Der Schulweg ist der rote Faden des Films, unterbrochen von Szenen im Internat und dem Dorfleben der Familie.

Der Grimme-Preisträger Minsu Park, Regisseur und Kameramann, dieses Dokumentarfilms begleitete die beiden, was sicherlich auch für ihn nicht einfach war. Es ist ein anrührender Film geworden. In kraftvollen Bildern und beeindruckenden Naturaufnahmen berichtet er von einer lernwilligen jungen Frau und deren aufopferungsvollen Eltern, die alles dafür tun, der Tochter eine bestmögliche Ausbildung und damit auch eine bessere Zukunft, zu ermöglichen. Zeitgleich sehen wir die Auswirkungen des Klimawandels auf die Menschen im indischen Himalaya, die durch ihre spartanische und rechtschaffende Lebensweise am wenigsten dazu beitragen. Traurig.

Ulrike Schirm


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"BEFLÜGELT – ein Vogel namens Penguin Bloom" Drama von
Glendyn Ivin
(Australien). Mit Naomi Watts, Andrew Lincoln, Jacki Weaver u.a. seit 19. August 2021 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Sam Bloom (Naomi Watts) führt mit ihrem Mann Cameron (Andrew Lincoln) und ihren drei Söhnen ein glückliches Leben in einem schönen Haus in der Nähe von Sydney. Die sportliche Sam und ihr Mann verbringen ihre Freizeit mit ihren Kindern an den herrlichen Stränden ihrer Heimat.

Doch dann ändert sich ihr Leben schlagartig. Auf einer Ferienreise in Thailand stürzt sie in ihrem Feriendomizil vom Balkon, weil das Holz der Brüstung morsch war. Fortan ist sie querschnittsgelähmt und braucht einen Rollstuhl. Sam hadert mit ihrem Schicksal, zieht sich immer mehr zurück, worunter ihre Kinder besonders leiden. Ihr sorgloses und fröhliches Leben gehört der Vergangenheit an. In ihrer Verzweiflung schlägt sie die gerahmten Fotos aus einer glücklichen Zeit von der Wand.

Doch dann tritt Penguin in das Leben der Familie Bloom. Ihre Kinder bringen ein verletztes Elster-Küken mit nach Hause. Wegen des schwarz-weißen Gefieders nennen sie es Penguin.

Der zehnjährige Noah (Griffin Murray-Johnston) bittet seine Mutter, sich um den Vogel zu kümmern, während er in der Schule ist. Sam ist nicht sehr begeistert. Noch ahnt sie nicht, wie wichtig dieser kleine Vogel für sie und ihre Familie werden wird. Noah zu Liebe sorgt sie für den Vogel und pflegt ihn gesund.

Da der Vogel bei seiner Mutter nicht das Fliegen gelernt hat, hüpft er fröhlich lärmend durchs Haus, hüpft auf ihre Schulter und bringt sie mit seiner drolligen Art zum Lächeln. Sam ermuntert ihn zu den ersten unbeholfenen Flugversuchen im Garten. Es ist berührend mit anzusehen, wie die Anwesenheit der Elster, Sam nach und nach aus ihrer Depression lockt. Die Freude bei der Familie ist groß, als Penguin plötzlich fliegen kann. Sam spürt nach und nach Parallelen zwischen ihrer Situation und dem Schicksal dieses kleinen Wesens. Die Stärke und der Lebenswille des verletzten Tieres färbt langsam auf sie ab. Mit dem aufmunterndem Zuspruch einer toughen Trainerin fängt Sam sogar wieder mit dem Paddeltraining an.

Der Film "Beflügelt" basiert auf einer wahren Begebenheit. Cameron Bloom schrieb über diese Familiengeschichte ein Buch, das vor allem durch die anrührenden Fotos zu einem internationalen Bestseller wurde.

Dank Naomi Watts großartiger Performance und der drolligen Elster, die sich selbst im Spiegel sehen kann und in der Ornithologen-Sprache „Pica, pica“ genannt wird, gelingt es Glendyn Ivins Bestseller-Adaption, die Herzen der Zuschauer zu erobern.

Ulrike Schirm


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"PROMISING YOUNG WOMAN" Dramödie von Emerald Fennell (Großbritannien). Mit Carey Mulligan, Bo Burnham, Alison Brie u.a. seit 19. August 2021 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Eine Frau hängt betrunken, fast besinnungslos in einem Nachtclub herum. Drei Typen an der Bar beobachten sie und diskutieren über ihren Zustand. Einer von ihnen (Adam Brody) erbarmt sich, und bugsiert sie in ein Taxi. Anstatt, wie versprochen sie nach Hause zu bringen, nimmt er sie mit in seine Wohnung. Aus der fadenscheinigen Fürsorge, wird der klägliche Versuch, mit ihr zu schlafen. Das ist der Moment auf den Cassie (Carey Mulligan) gewartet hat. Sie ist total nüchtern und sagt: „NEIN“. Später sieht man, wie sie auf einer Liste einen Strich macht, deren Bedeutung man noch nicht kennt.

Cassie arbeitet in einem Coffee-Shop. Eigentlich stand ihr eine Karriere als Ärztin bevor, sie schmiss die Uni, lebt wieder bei ihren Eltern in ihrem alten Kinderzimmer, zum Bedauern ihrer Eltern. Dass sie ein Geheimnis hat, ahnen sie nicht.

Einmal in der Woche macht sie sich ausgehfertig, besucht Bars und Nachtclubs und tut so, als sei sie stockbetrunken. Jedes Mal passiert Ähnliches. Ein „netter“ Typ bietet seine Hilfe an und versucht die „hilflose“ Person in sein Bett zu kriegen. Der Auslöser für Cassies nächtliche Racheaktionen ist ein traumatisches Erlebnis während ihrer Studienzeit, was sie nicht mehr loslässt. Nicht sie war betroffen, sondern ihre beste Freundin Nina. Nina wurde mehrmals vergewaltigt und die Anzeige führte, wie so oft bei ähnlichen Fällen, zu nichts. Die Frau sei ja mit schuld daran, sie war betrunken, der Täter wurde freigesprochen. Nina nahm sich das Leben.

Regisseurin Emerald Fenell geht es hier nicht um Macho-Männer, sondern um die „netten Typen von nebenan, die, wenn man sie mit ihren Taten konfrontiert, mit jämmerlichen Phrasen ihre Unschuld winselnd verteidigen.

Carey Mulligan, die ihre schauspielerische Wandelbarkeit schon in Filmen wie „An Education“, „Shame“, „Drive“ und „Mudbond“ gezeigt hat, verschmilzt hier regelrecht mit ihrer Rolle als blonder Racheengel. Der Soundtrack, der bis auf die Orchesterversion von Britney Spears „Toxic“ ausschließlich aus Stücken von Künstlerinnen und weiblichen Bands besteht, ist poppig und tanzbar. Die Songtexte unterstützen die Aussage des Films. Kostüme und Musik werden zum Statement. Cassie trägt überwiegend pastellfarbene Kleidung. Nur wenn sie ausgeht wechselt sie zwischen eleganten Klamotten oder kurzen Röcken.

Egal was Frau trägt, es ändert nichts am Verhalten der Männer. All das und die gute Storyline, machen den Film zu einem Meisterwerk. Nicht ohne Grund, wurde er für 4 Golden Globes nominiert. Die Schauspielerin Emerald Fennell hat mit dem ersten von ihr geschriebenen und inszenierten Spielfilm in diesem Jahr den Oscar für das beste Originaldrehbuch erhalten. In einem Interview mit »Variety« beschreibt Mulligan den Film als „ein wunderschön verpacktes Bonbon, wenn man es isst, merkt man das es giftig ist“.

Am Ende setzt sich Cassie mit einem besonderen Einfall gegen die toxische Männlichkeit zur Wehr. Vielleicht hätte das Ende mehr Mut gebraucht.

Ulrike Schirm


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"KÖNIG DER RABEN" Ein kraftvolles Drama von Piotr J. Lewandowski (Deutschland), dass durch seine starken Darsteller*innen und einer sinnlich-poetischen Bildsprache überzeugt. Mit Malik Blumenthal, Antje Traue, Karim Günes u.a. seit 19. August 2021 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Der Mazedonier Darko (Malik Blumenthal) ist ein Überlebenskünstler. Der 22-jährige schlägt sich mit krummen Deals auf dem Schrottplatz und einer Portion Gewitztheit durch. Er und seine kranke Mutter haben in ihrer Heimat alles verloren. Ihr Haus wurde zerbombt, jahrelang haben sie im Dreck gewohnt. Jetzt leben sie illegal in Deutschland.

Darkos große Liebe gilt seinen weißen Tauben, die er bei Hochzeiten für Geld fliegen lässt. Er muss sich um seine traumatisierte Mutter kümmern, die professionelle Hilfe braucht, was durch ihre Illegalität nicht einfach ist. Es geht rau zu in diesem halb kriminellen Milieu, in dem mafiose Ausbeuter die Macht haben. Wer sich hier durchboxen will, der muss auch zuschlagen können. Der muskelgestählte Darko lässt sich seine gute Laune nicht verderben. Dafür sorgen schon seine Kumpel Yanoosh und Manolo. Als Darko die rätselhafte Künstlerin Alina (Antje Traue) kennenlernt, gerät ihre freundschaftliche Verbundenheit ins Wanken. Sie fühlen sich verstoßen. Darko fühlt sich von der geheimnisvollen Frau magisch angezogen. Ein Zufall hat die beiden zusammengeführt. Darko, der nicht schwimmen kann, wird eines Nachts in einen See geworfen. In der Dunkelheit taucht plötzlich Alina auf und rettet ihn. Seit dem ist sie fasziniert von ihm.

„Ich bin ein einziges Geheimnis“, sagt sie als er sie nach ihrem Leben fragt. Darko staunt nicht schlecht, als sie ihn mit zu sich nimmt. Sie lebt in einem geräumigen Dachgeschoss und dann taucht auch noch ihr Ex auf. Dass sie sich immer nur bei ihm meldet, wenn sie Lust auf ihn hat, betrübt ihn, denn er hat längst tiefere Gefühle für sie entwickelt. Kann und will sie ihm überhaupt die Sicherheit geben, die er bereit ist für sie aufzugeben?

Der polnische Regisseur Piotr J. Lewandowski zeichnet nicht nur das Milieu, in dem Darko mit seinen Freunden und seiner Mutter lebt, den „Unsichtbaren“ die sich um ihren „Helden“ scharen, der sie nicht im Stich lässt, sondern verbindet es mit einer traurigen Amour fou, in der man nach und nach erfährt, warum Alina so ist, wie sie ist. Er geht ins Detail, zeigt die Solidarität der Illegalen untereinander, das unmenschliche Handeln der Ausbeuter, die Krankheit der Mutter und Alinas traurigen Gemütszustand, hervorgerufen durch ihre Fehlgeburt. Das alles verbindet er auf eine realistische und poetische Weise die einen mitreißt und mit den einzelnen Figuren mit fiebern lässt.

Kameramann Jan Prahl kreiert traumhaft schöne Bilder, in denen man eine magische Kraft spürt, die in der Geschichte verborgen ist und sich mit der harten Realität vermischt, in dem er für die ärmliche Behausung, in der Darko mit seiner kranken Mutter lebt, in grau-dunkle Töne taucht, die die „Unsichtbarkeit“ der Illegalen spiegelt und die durch ihre starken Darsteller*innen überzeugt.

Ulrike Schirm


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