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Offene Briefe von 21 Arthouse-Kinos und mehr als 100 Filmschaffenden

Brandbriefe zur Corona-Krise und die Folgen für die Filmbranche.



In einem längeren Artikel vom 13.05.2020 für »Das Parlament«, herausgegeben vom Deutschen Bundestag und begleitet von einem Einleger der Bundeszentrale für politische Bildung, schreibt unsere Kollegin Katharina Dockhorn eindringliche Worte zur Situation der Filmbranche:

"Alle wissen, dass kein Betrieb der Branche die Verluste der vergangenen Wochen ausgleichen kann. Sie braucht Unterstützung, damit die Infrastruktur erhalten bleibt. Die Verbände werden an die Bundesregierung und Parlamentarier mit Vorschlägen für das geplante Konjunkturprogramm herantreten..."


Anlass des Artikels sind auch die nachfolgenden Brandbriefe an Kulturstaatsministerin Monika Grütters sowie an den Bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder.

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Offener Brief der Arthouse-Kinos

Bereits am 11.05.2020 hatten die Betreiber von 21 Arthouse-Kinos aus München und Umgebung (die zumeist der AG Kino - Gilde angehören) in einem Offenen Brief u.a. an Ministerpräsidenten Markus Söder und den Kunstminister Bernd Sibler über ihre derzeitige marode Situation geschrieben. Sie protestieren gegen das Übersehen der Kultur und wünschen eine zeitnahe Wiedereröffnung ihrer Kinos – aber nicht um jeden Preis.

"Sie haben in den letzten zwei Monaten eine ungeheure Kraftanstrengung unternommen und viele Soforthilfemaßnahmen, Darlehen und Sonderpreise ermöglicht. Dafür möchten wir – Betreiberinnen und Betreiber der Arthouse-Kinos von München und Umgebung – Ihnen an dieser Stelle herzlich danken. Dennoch sollten Sie wissen: Die Kinobetreibenden befinden sich in einer angespannten Lage. Wir müssen mit Ihnen reden! Nicht nur wegen der Schließungen, auch hinsichtlich der wünschenswerten zeitnahen Öffnung unserer Lichtspielhäuser.

Lassen Sie uns kurz die Situation skizzieren: Die meisten Kinos haben die Soforthilfe des Bundes, des Landes, und auch des Filmförderungsfonds Bayern bereits erhalten – jedoch nicht alle. Einige Anträge liegen unbearbeitet in den Ämtern. Von einer "Sofort"-Hilfe kann daher leider nicht immer die Rede sein. Das ist mehr als nur bedauerlich.

Wie Sie alle wissen, ist in München und Umgebung die Mietbelastung besonders hoch. Viele Kinobetreibende konnten eine Mietminderung aufgrund des nicht mehr gegebenen Mietzwecks der Immobilie erzielen – aber nicht alle Vermieter haben sich einsichtig gezeigt. Die meisten Mitarbeiter/innen der Kinos sind 450-Euro-Kräfte ohne sozialen oder staatlichen Schutz. Kino-Angestellte befinden sich in Kurzarbeit. Manche Kinobetreiber zahlen freiwillig die Löhne der Geringverdiener weiter.

Hohe Fixkosten bei null Einnahmen: Ohne eigenes Verschulden geraten unsere Betriebe in eine zunehmend prekäre Lage.

Der Präsident der Deutschen Filmakademie Ulrich Matthes warnt: "Das Kino ist in existenzieller Gefahr. Was einmal geschlossen wurde, wird nicht mehr aufgemacht."

Kultur und Kino sind von der Bildfläche verschwunden und finden in den öffentlichen Stellungnahmen der Politik nur zögerlich Erwähnung. Es fehlt an der Wertschätzung einer der tragenden Säulen unserer Gesellschaft, wenn in der »Bayerischen Notbekanntmachung« vom 16.04.2020 unterschiedslos Vergnügungs-, Freizeit-, Bildungs- und Kulturstätten gereiht werden (§2 Betriebsuntersagungen).

Kultur und Bildung muss jetzt an die erste Stelle der Tagesordnung. Wir fordern den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder sowie den bayerischen Staatsminister für Wissenschaft und Kunst und Vorsitzenden der Kulturministerkonferenz Bernd Sibler dazu auf, sich der Wiederaufnahme des Kulturbetriebs anzunehmen. Bayern ist ein Rechts-, Kultur- und Sozialstaat, heißt es in der bayerischen Verfassung.

Die AG Kino - Gilde deutsche Filmkunsttheater schreibt: "Kunst und Kultur genießen in Deutschland zurecht Verfassungsrang." Die Kulturstaatsministerin und Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien Monika Grütters spricht von "Kultur als Lebensmittel". Galerien, Ausstellungen, Museen, Theater, Oper, Ballett, Konzerte, Kinos – diese Lücke spüren aktuell viele Menschen. Kultur ist lebensnotwendig. Wir wünschen uns, dass das auch in allen Bereichen der Politik und Verwaltung verstanden wird.

Kino ist in besonderem Maße "Kultur für alle", als niederschwelliges kulturelles Angebot, das in allen Stadtteilen der Landeshauptstadt und in der Fläche in den Städten, Land- kreisen, Gemeinden und Regionen Bayerns verfügbar ist. Die vergangenen Monate des Abstandhaltens haben immer wieder daran erinnert, dass Kultur Gemeinschaft stiftet und für die Gesellschaft essenziell ist. Die Programmarbeit der Kinos garantiert eine ansprechende Filmauswahl mit Anspruch und die Auswertung auch kleinerer Arthouse-Filme, die mit bayerischen, deutschen und europäischen Fördergeldern entstanden sind. Kinos sind Teil des großen Systems der Film- und Medienbranche – das nun insgesamt in Gefahr gerät. Kinos garantieren Vielfalt und sind ein wesentlicher Bestandteil der Kultur!

Kinoleben, nicht Kinosterben! Die meisten Münchner und bayerischen Kinos sind mittelständisch geführte Betriebe, oft auch seit Generationen Familienunternehmen. Wenn vor Corona das Gespenst vom „Kinosterben“ die Runde machte, muss dem mit Nachdruck widersprochen werden. Die jüngsten Kinoschließungen in München sind der angespannten Immobiliensituation geschuldet, nicht dem Fernbleiben von Besuchern. So meldet die Filmförderungsanstalt (FFA) in ihrer jüngsten Studie »Kinobesucher 2019« eine "Erholung auf allen Gebieten“ und ein Umsatzplus der Kinos von 13 Prozent gegen- über dem Vorjahr. 25,7 Millionen Menschen sind in Deutschland Kinobesucher. 20 Millionen Deutsche gehen jährlich in die staatlichen oder städtischen Theater, so der Bühnenverein. Der bevorzugt behandelte Fußball zählt insgesamt knapp 49 Millionen Fans.

Kultur ist nicht marginal! Lassen Sie uns endlich über Kultur reden! Und lassen Sie uns die Kinos wieder öffnen. Lassen Sie uns dazu unsere Überlegungen kurz skizzieren. Wir sind überzeugt, dass die Kulturstätte Kino sich in besonderer Weise eignet, den Betrieb aufzunehmen, auch unter den Umständen, wie sie auch für die Gastronomie gelten, die in Kürze öffnen darf. Kinos verfügen aufgrund der Brandschutzverordnungen über die notwendigen baulichen Voraussetzungen für einen getrennten Ein- und Auslass. Klimaanlagen gehören zum Standard. Anders als in der Gastronomie wird während des Kinobesuchs nicht gesprochen, es entstehen keine Sprech-Aerosole. Das im Kino angebotene Essen ist Fingerfood, zum großen Teil verpackt, Getränke kommen aus der Flasche oder dem Einwegbecher. Detaillierte Hygienekonzepte werden von den einzelnen Kinos erarbeitet, angepasst an die je baulichen Voraussetzungen. Das legen wir Ihnen gerne vor.

Der Spielbetrieb muss kostendeckend sein. Die von den Hygienemaßnahmen vorgeschriebenen Abstandsregeln machen einen Spielbetrieb bei normaler Auslastung unmöglich. Der Hauptverband Deutscher Filmtheater (HDF) fordert daher einen Kino-Stabilisierungsfonds, der die Betriebskosten der Kinos direkt bezuschusst. Andere Ausgleichszahlungen sind denkbar. Wir brauchen finanzielle Hilfen, auch über die Zeit der Schließung hinaus. Neben dem Ausgleich der reduzierten Auslastung sollten auch der personelle Mehraufwand für den Einlass und gegebenenfalls bauliche Eingriffe berücksichtigt werden.

Kinos verdienen als Kulturstätten besonderen Schutz und Unterstützung. Wenn Kinos bestimmte Voraussetzungen erfüllen, dürfen sie nicht den Gesetzen der Marktwirtschaft ausgeliefert werden. Während beispielsweise Dänemark 80 Prozent der Grundkosten von Kinos übernimmt, lassen in Deutschland die Hilfsmaßnahmen in Form von Darlehen und Mietstundung den Schuldenberg von Kinos auf ein kaum zu bewältigendes Maß ansteigen. Der Präsident der Deutschen Filmakademie fordert die Stärkung der Kinos und eine Bestandsgarantie! Wenn die Kinos wieder öffnen, dürfen sie im Hinblick auf ihre kulturelle Rolle nicht draufzahlen. Eine überstürzte Wiedereröffnung, wie sie jetzt in anderen Bundesländern geschieht, lehnen wir ab, da der Neustart Vorbereitungszeit braucht. Ebenso sehen wir eine übergroße Restriktion des Spielbetriebs und eine erzwungene Datenerfassung unserer Besucher*innen kritisch.

Wir möchten mit Ihnen ins Gespräch kommen, um eine Wiederaufnahme des Spielbetriebs innerhalb einer angemessenen Vorlaufzeit vorzubereiten. Auch wenn eine bundesweite Kinoöffnung unser grundsätzliches Ziel ist, gibt es gerade auch für ein Sommer-Kino viele Ideen, die nicht zwingend an den Bundesstart großer Filme gekoppelt sind. Es sind auch lokale Lösungen denkbar! Lassen Sie uns unsere Kinos wiederbeleben! Und auch unserem treuen Publikum, das uns mit großzügigen Gutscheinkäufen unterstützt und uns in vielen E-Mails und Briefen schreibt, wie sehr es uns vermisst, etwas zurückgeben.

Wir verbleiben mit freundlichen Grüßen, die Kinobetreiberinnen und -betreiber von München und Umgebung."


Der Offene Brief ist auf ganz Deutschland übertragbar und spricht auch für die Berliner Kinos aus dem Herzen. Darüber hinaus wurde kurz zuvor der nachfolgende Brandbrief von Filmschaffenden veröffentlicht, der an die Bundesregierung appelliert.

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109 Filmschaffende appellieren an die Bundesregierung.

In einem offenen Brief vom 09.05.2020 haben 109 Regisseur/innen und Autor/innen die Bundesregierung mit Blick auf die Corona-Krise aufgerufen, den deutschen Kinofilm vor dem Untergang zu bewahren.

»Die Frankfurter Allgemeine Zeitung« (FAZ) veröffentlichte das Schreiben an Kulturstaatsministerin Monika Grütters und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, in dem eine sofortige Unterstützung von Seiten der Politik gefordert wird, um eine Katastrophe für den deutschen Kinofilm zu verhindern.

Darin heißt es, der deutsche Kinofilm sei "in höchster Gefahr". Durch die Corona-Krise seien "sämtliche deutsche Kino-Produktionen zum Stillstand gekommen".

Für die Kinofilmproduktionen, die wegen der Pandemie abgebrochen worden seien, hätten alle Filmförderungen einen Nothilfefonds ins Leben gerufen. Für kommende Filme fehle aber jede Absicherung der Produzenten für das Risiko eines Drehstopps wegen eines Covid-19-Falls. Ohne eine solche Absicherung würden vor allem unabhängige Produzenten das Wagnis zu drehen nicht länger eingehen können.

"Das bedeutet bereits in den nächsten Monaten massives Produzentensterben, Arbeitslosigkeit für Filmschaffende und die Vernichtung großer Teile des deutschen Kinos. Die Gesellschaft verlöre damit auf nicht absehbare Zeit einen essenziellen Teil ihres kulturellen Nährbodens."

Die Bundesregierung sei aufgerufen, Sofortmaßnahmen zu ergreifen. "Zuvorderst benötigen wir eine Lösung für den fehlenden Versicherungsschutz, um das Risiko zukünftiger Dreharbeiten abzusichern."

Versicherungen und Rückversicherungen träten für das Risiko der Corona-Pandemie nicht ein und böten keine "Lösungsvorschläge für die Filmbranche", heißt es in dem offenen Brief. Damit sei "jeder Kinofilmdreh eine tickende Zeitbombe". Die Produzentenverbände hätten "überzeugende Konzepte" entwickelt. Es sei "höchste Zeit, diese jetzt umzusetzen".

Der Produzent und Vize-Vorsitzende der Produzentenallianz, Uli Aselmann, sagte der FAZ, denkbar sei ein "Rettungsschirm" in Form eines Fonds, in den Bundeskulturbeauftragte und Bundeswirtschaftsministerium einzahlen, abgesichert durch einen Kredit der Kreditanstalt für Wiederaufbau. Auch denkbar als Gewährsträger seien die Bundesländer, die sich besonders in der Filmförderung engagieren, die zum Bertelsmann-Konzern gehörenden Sender der RTL-Gruppe, ProSiebenSat.1 und auch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ARD und ZDF.


Hier die Liste der Unterzeichner:
Züli Aladag, Christian Alvart, Judith Angerbauer, Anke Apelt, Mo Asumang, Emily Atef, Tobi Baumann, Martin Behnke, Edward Berger, Michel Bergmann, Marc Blöbaum, Hans-Christoph Blumenberg, Bettina Börgerding, Jan Braren, Peter F. Bringmann, Jutta Brückner, Marc Brummund, Natja Brunckhorst, Franziska Buch, Detlev Buck, Alex Buresch, Elisabeth Burghardt, Ilker í‡atak, Stefan Dähnert, Pepe Danquart, Christoph Darnstädt, Matthias Dinter, Andreas Dresen, Theresa von Eltz, Annette Ernst, Jakob M. Erwa, Karlheinz Freynik, Felix Fuchssteiner, Florian Gallenberger, Dennis Gansel, Katrin Gebbe, Matthias Glasner, Eberhard Görner, Aelrun Goette, Dominik Graf, Gernot Gricksch, Wolfgang Groos, Nina Grosse, Jörg Grünler, Heinrich Hadding, Henk Handloegten, Felix Hassenfratz, Jacob Hauptmann, Julia von Heinz, Hannes Held, Kristina Magdalena Henn, Oliver Hirschbiegel, Dagmar Hirtz, Kit Hopkins, Hermine Huntgeburth, Vanessa Jopp, Anna Justice, Fred Kelemen, Peter Keller, Günter Knarr, Maria Knilli, Dagmar Knöpfel, Lutz Konermann, Christopher Kraus, Dirk Kummer, Beate Langmaack, Tom Lass, Peter Lichtefeld, Constantin Lieb, Caroline Link, Georg Maas, Mike Marzuk, Lars Montag, Eoin Moore, Visar Morina, Vivian Naefe, Hans Noever, Hanno Olderdissen, Zoltan Paul, René Perraudin, Esther von Peter, Kathrin Richter, Kilian Riedhof, Julian Rosefeldt, Stefan Ruzowitzky, Yasemin Samdereli, Lena von Saucken, Anno Saul, Angela Schanelec, Volker Schlöndorff, Hans-Christan Schmid, Dorothee Schön, Til Schweiger, Christian Schwochow, Ulrike Stephan, Philipp Stölzl, Laila Stieler, Jens Christian, Susa Peter Timm, Ruth Toma, Margarethe von Trotta, Christian Ulmen, Sven Unterwaldt, Ben Verbong, Petra K. Wagner, Wim Wenders, Thomas Wendrich, Thorsten Wettcke, Soleen Yusef.

Quellen: Filmecho | FAZ | Blickpunkt:Film | Produzentenallianz

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