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Offenbarungseid deutscher Kulturpolitik - die soziale Wirklichkeit in Deutschland

Kulturstaatsministerin Monika Grütters verweist Künstler weiter auf Hartz-IV-Leistungen.



Kommentar von Katharina Dockhorn:

Es gibt ja so Tage, die als Offenbarung in die Geschichte eingehen. Der 18. April 2020 war so ein Tag für die deutsche Kulturbranche. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) stellt in Aussicht, das Kurzarbeitergeld für drei Monate auf 80% des einstigen Nettolohns zu erhöhen, damit Arbeitnehmer ihre Kaufkraft nicht verlieren. Und Kabinettskollegin Monika Grütters (CDU) reagiert endlich auf die Artikel der vergangenen Woche, dass bei den Hilfen für Soloselbständige von der Bundesregierung und vielen Ländern der Lebensunterhalt „vergessen“ wurde. Mit einem halbherzigen Statement, das viel über die Wertschätzung der Kulturwirtschaft in diesem Lande aussagt: Gegebenenfalls müsse nachjustiert werden. Gleichzeitig verweist sie die Kulturschaffenden wieder ans HartzIV-System, das ja nun endlich Heiz- und Stromkosten anerkenne.

Den einen wird das Bett gemacht, die anderen gehen beim Jobcenter betteln. Oder die Länder regeln es mit ihrem Geld, wobei weder knapp 900 Euro in Berlin noch 1180 in Baden-Württemberg üppig sind im Vergleich zum Kurzarbeitergeld vieler Beschäftigter. Schließlich müssen diese davon Sozialbeiträge und ihre Betriebskosten – ca 30% der Einnahmen – weiterzahlen. Versicherungen, Telefon, Handy, alle Verträge laufen weiter. Auch die öffentlichen Verkehrsbetriebe haben bislang ja bundesweit nicht signalisiert, Geld für nicht genutzte Monatskarten zurückzugeben. Was nebenbei auch viele Studenten trifft, die bislang an Kinokassen ein Zubrot verdienten. In den Semestergebühren sind die Fahrten für den öffentlichen Verkehr enthalten, auch wenn Online unterrichtet wird.

So sieht die soziale Wirklichkeit in Deutschland aus. Wohlstand nur für Angestellte. Und alle machen mit. Keiner hat von AfD oder FDP erwartet, dass sie die Misere erkennen. Aber weder SPD noch LINKE oder Grüne haben bislang auf dem Schirm, dass die Menschen in der Kulturszene, die voraussichtlich länger aussetzen muss als alle anderen Lebensbereiche, bei den Hilfsangeboten vergessen wurden.

Jetzt rächt sich das jahrelange Versäumnis, ein adäquates soziales Sicherungssystem aufzubauen. Einzig die Künstlersozialkasse wurde stabilisiert, ein System, um das uns Künstler und Publizisten vieler Länder beneiden. Aber es hakt bei den Leistungen. Krankengeld gibt es erst ab 43. bzw. 15. Tag gegen einen Sonderbeitrag. Die Möglichkeit, diese Leistung ab dem 1. Tag über die gesetzliche Krankenversicherung abzuschließen, wurde bereits vor Jahren eingestampft. Und die Leistung für die Kurzzeitpflege von Angehörigen für die Dauer von zehn Tagen wird Selbständigen nicht gewährt, auch wenn sie die gleichen Beiträge zahlen wie Angestellte.

Auch um die Absicherung bei Arbeitslosigkeit wurde sich nie richtig gekümmert. Die ALG-1-Sonderregelung für Künstler und Publizisten hat ein Regelwerk, das nach wie vor viele ausschließt, die zuvor einzahlen mussten, wenn sie an Filmsets für einige Wochen beschäftigt waren. Wie diese gesetzliche Regelung für freie Journalisten angepasst werden kann, die regelmäßig Honorare von vielen verschiedenen Verlagen, Sendern oder Institutionen erhalten, haben weder Gewerkschaften noch Freischreiber oder FREELENS auf dem Schirm.

Und die von Ursula von der Leyen eingeführte Möglichkeit, sich regulär gegen Arbeitslosigkeit abzusichern, wurde ein Rohrkrepierer. Das begann bei der Einführung, als der Zeitraum, in dem sich Menschen versichern konnten, die seit Jahren selbstständig sind, willkürlich beendet wurde. Nun können sich nur Berufsanfänger in den ersten Monaten versichern – ausgerechnet in einer Phase, wo das Geld knapp ist. Außerdem wurden die Beiträge hoch gesetzt. 78,- Euro im Monat kostet die Versicherung jetzt, was einem Verdienst von 2500,- Euro Brutto entspricht. Oder 5000,- Euro, denn der Versicherte zahlt auch den Arbeitgeberanteil. Wer sich bei der KSK die Durchschnittsverdienste ansieht, weiß, dass diese Höhe für kaum einen Künstler oder Publizisten angemessen ist.


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Unsere Kollegin Katharina Dockhorn hatte den ersten Teil ihrer Kommentare zur Corona Krise unter dem Titel "Bazooka mit Ladehemmung" bei uns am 18. April 2020 veröffentlicht.

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