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Neue Filmtechniken mit hoher Framerate - Neue Filmkritiken im Oktober 2019, Teil 1

Ang Lees neues 3D+ Stereoskopie-Format mit sehr hoher Framerate ist allerdings noch nicht überall abspielbar und wird vielerorts deshalb auf 60 fps begrenzt, wiedergegeben.



Filme sind eigentlich fürs Kino gemacht und dennoch scheint die moderne Fernsehtechnik mit einer unglaublich hohen Auflösung in 8K dem Kino demnächst den Rang abzulaufen. Auf der letzten IFA-Messe in Berlin warben im September zahlreiche Hersteller mit übergroßen TV-Screens für ein brillantes Kinoerlebnis daheim, welches man nur in wenigen Filmtheatern erleben kann.

Einige Lichtspielhäuser wie die IMAX-Kinos bieten zwar bereits hochauflösende Laserprojektion mit gestochen scharfen Bildern an, aber in der Fläche und abseits der Großstädte findet man oft noch Kinoprojektionen, die über 2K-Auflösung kaum hinauskommen.

In den Mediamärkten dagegen werden schon vornehmlich Flachbildschirme in 4K-Technik angeboten. Und im nächsten Jahr startet in Japan zur Olympiade die reguläre 8K-Fernsehübertragung, um noch genauer alle Details übertragen zu können.

Tatsächlich sind vor allem Naturaufnahmen auf solch scharfen Bildschirmen ein Erlebnis, von denen Dokumentarfilmer vor wenigen Jahren nur zu Träumen wagten. Wer sich solch einen Bildschirm neben sein Fenster stellen würde, wird von Weitem kaum einen Unterschied zwischen Wirklichkeit und Illusion feststellen können.

Ähnliches muss wohl auch der Filmemacher Ang Lee gedacht haben, als er in seinem neuen Film "Gemini Man" mit hochauflösenden Bildern fürs Kino experimentierte. Dafür benutzt er anstelle einer üblichen Framerate von 24 Bildern/sec., die unglaubliche Bildaufnahmegeschwindigkeit von 120 Frames/sec., die allerdings nur wenige Kinos in der Welt abspielen können.

Unser Kollege Gerold Marks, Vorstandsmitglied im BAF, hat dies sehr anschaulich auf seiner eigenen Plattform, der »Digitalen Leinwand« hier beschrieben, sodass wir uns in der nachfolgenden Filmkritik von Ulrike Schirm mehr auf die inhaltlichen Mängel des Films beschränken können. Denn wo Licht ist, gibt es auch Schattenseiten.

Technisch ist der taiwanisch-US-amerikanische Filmregisseur schon immer auf der Höhe der Zeit gewesen.

Bereits in "Life of Pi - Schiffbruch mit Tiger", für den Ang Lee einen Regie-Oscar entgegennehmen konnte, setzte er neue Maßstäbe im 3D-Film. Der mittels Computer-Engine erschaffene Tiger sah so lebensecht aus, wie kein künstlich erschaffenes Lebewesen je zuvor auf der Leinwand.

In "Gemini Man" nun also nochmal eine Steigerung mit 3D+. Mittels neuer Technik wird Will Smith geklont, was eigentlich nichts wirklich Neues im Kino wäre. Aber sein Ebenbild ist 25 Jahre jünger, ohne dass man an seiner Echtheit zweifeln könnte, denn die ultrarealistische Umsetzung ist absolut perfekt gelungen und soll die Zukunft des Kinos einläuten, um sich gegen Netflix Streams daheim behaupten zu können.

Noch aufregender wird es in wenigen Wochen, wenn Martin Scorseses "The Irishman" für kurze Zeit ins Kino kommt. Darin ist die Titelfigur sogar in drei Dekaden zu sehen. Martin Scorsese tritt einmal wohl als etwa 30-Jähriger, dann als 50-Jähriger und anschließend als alter Mann auf. Und alle Figuren spielt er selbst in Rückblicken. Sein Erscheinen wurde dabei jedes Mal - ebenso wie in Ang Lees Film - per Computer Generated Imagery (CGI) verjüngt.

Schöne neue Welt sagte schon George Orwell.

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"GEMINI MAN" Sci-Fi-Action-Film von Ang Lee (USA, CHINA). Mit Will Smith, Mary Elizabeth Winstead, Clive Owen u.a. seit 3. Oktober 2019 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Will Smith im Doppelpack.

Eigentlich ist der etwa 50-jährige Elite-Killer Henry Brogen (Will Smith) noch fit und sein Killerinstinkt funktioniert noch bestens. Dennoch will die CIA ihn loswerden und ist hinter ihm her.

Verfolgt wird er von einer jüngeren Version seiner selbst. Er findet heraus, dass er vor 27 Jahren geklont wurde und von seinem jüngeren Ich zur Strecke gebracht werden soll. Der sieht ihm nicht nur verblüffend ähnlich, er hat auch seine gleichen, vielleicht sogar noch etwas fitteren, jugendlichen Kampffähigkeiten.

Die Geschichte ist schon 20 Jahre alt. Ihre filmische Umsetzung scheiterte an den technischen Möglichkeiten in zweierlei Hinsicht. Erstens am nötigen Know-How, um am Computer das jüngere Alter Ego des Protagonisten herzustellen und zweitens die herkömmliche 3D-Technik zu verfeinern. Nun ist es gelungen.

Gedreht wurde mit 120 fps (Bilder pro Sekunde), üblich sind 24 Frames/sec. Ang Lees "GEMINI MAN" startet nun nicht nur kontrastreicher und wahnsinnig heller als bisherige 3D-Filme, sondern die neue 3D+ Technik entwickeln eine grandiose Realität, sodass man das Gefühl verspürt, selbst Teil des Geschehens zu sein. Technisch brillant, Story mäßig mau.

Ulrike Schirm


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"SKIN" Biopic-Drama von Guy Nattiv (USA). Mit Jamie Bell, Danielle Macdonald, Vera Farmiga u.a. seit 3. Oktober 2019 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Es war im Jahr 2000 als der 13-jährige Jamie Bell das Publikum als „Billy Elliot“ begeisterte. Er tanzte sich in ihre Herzen. In „Skin“ verwandelt sich der begnadete Schauspieler in eine tickende Hassbombe.

Bryon Wider ist Mitglied des Vinlanders Social Clubs einer berüchtigten rechtsradikalen Gruppierung, die mit hasserfüllter Gewalt auf alles Fremde losgeht. Ein rechter Mob, der bei seinen Aufzügen „Verbrennt diese Erde“ grölt.

Bryons Körper ist von Kopf bis Fuss mit zahlreichen Nazisymbolen tätowiert. Sein Vorbild sind seine Zieheltern (Bill Kamp, Vera Farmiga), Anführer dieser widerwärtigen Vereinigung. Scheinheilig kümmern sie sich um verwahrloste Straßenkinder, die sie nach und nach indoktrinieren. Eines Tages lernt Bryon bei einem nordisch-völkischem Fest, die dreifache Mutter Julie (Danielle McDonald), die der rechten Szene gerade den Rücken gekehrt hat, kennen. Er verliebt sich in sie, zum Entsetzen seiner Eltern, die alles versuchen, um ihn davon abzubringen. Nicht nur sie, auch seine Mitstreiter fangen an, ihn regelrecht zu terrorisieren. Besonders in ihn, haben sie große Hoffnungen gesetzt.

Je öfter Bryon Julie und ihre Kinder trifft, desto mehr erwächst in ihm die Sehnsucht, nach einer normalen Familie. Bryon entschließt sich, seine Tätowierungen weglasern zu lassen. Eine äußerst schmerzhafte Prozedur, die sich über zwei Jahre hinzieht. Bei seinem schwierigen Ablösungsprozess, unterstützt ihn der afroamerikanische Menschenrechts-Aktivist Daryle (Mike Colter), dem er bei einen ihrer Aufmärsche noch hasserfüllt gegenüberstand.

Der israelische Filmemacher Guy Nattiv erzählt in seinem ersten US-Spielfilm „Skin“, basierend auf seinem gleichnamigen, in diesem Jahr mit einem Oscar prämierten Kurzfilm, authentisch und ungeschönt die Geschichte des Szeneaussteigers Bryon „Babs“ Widner, der zu den meistgesuchten weißen Rechtsradikalen des FBI zählte. Nur durch die Hilfe des Menschenrechts-Aktivisten Daryle Jenkins war der Ausstieg möglich.

In Jamie Bell hat Nattiv einen herausragenden Darsteller gefunden, der die Wandlung zu einem Ex-Nazi überzeugend spielt. Ein Film, der unter die Haut geht. Erschütternd und aufwühlend.

Ulrike Schirm


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"DEUTSCHSTUNDE" Drama von Christian Schwochow (Deutschland) nach dem gleichnamigen Buch von Sigfried Lenz. Mit Ulrich Noethen, Levi Eisenblätter, Tobias Moretti, Johanna Wokalek, Maria Dragus, Sonja Richter, Louis Hofmann, Tom Gronau u.a. seit 3. Oktober 2019 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Christian Schwochow und seine Mutter Heide haben den berühmten Roman "Deutschstunde" von Siegfried Lenz (1926-2014) aus dem Jahre 1968 erneut für die Leinwand adaptiert. 1971 gab es bereits eine Verfilmung für's Fernsehen unter der Regie von Peter Beauvais mit Wolfgang Büttner als Maler Max Ludwig Nansen und Arno Assmann als Polizist Jepsen. In Schwochows Neuverfilmung des Literaturklassikers werden Jepsen von Ulrich Noethen und Nansen von Tobias Moretti verkörpert.

Schwochos Beweggrund, das Drama jetzt nochmals zu verfilmen, ist die Tatsache, dass sich wieder verstärkt Rassismus, Diskriminierung und Antisemitismus in unsere Gesellschaft einschleicht und teilweise öffentlich artikuliert wird. Schwochow hält sich streng an das Buch. Neue Ideen entfaltet er nicht.

Deutschland, kurze Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Siggi Jepsen, der Sohn eines Dorfpolizisten, sitzt in einer Besserungsanstalt ein. Er soll in einem Aufsatz „Die Freuden der Pflicht“ beschreiben. Ihm fällt nichts ein. Eine nackte Leibesvisitation kommt einer Demütigung gleich.

Nach einiger Zeit beginnt er sich an seine Kindheit am äußersten Rand von Schleswig Holstein, während des zweiten Weltkriegs, zu erinnern. Sein Vater, der Ordnungshüter Jens Ole Jepsen, für den der Begriff der Pflichterfüllung an oberster Stelle steht und der dafür sorgt, dass aus seinem Sohn etwas brauchbares wird, hat den Auftrag erhalten, dem Maler Max Ludwig Nansen ein Malverbot zu erteilen und es genauestens zu überwachen. „Ich tue nur meine Pflicht“, ein Satz, den er noch des Öfteren gebetsmühlenhaft widerholt. Der elf-jährige Siggi, der bei seinem Patenonkel Nansen ein-und ausgeht, soll ihn observieren. Der Junge gerät in einen schweren Gewissenskonflikt. Ist er nicht folgsam, wird auch schon mal seine Hand auf eine heiße Herdplatte gedrückt.

Nichtsdestotrotz, Siggi, für den Nansen ein Freund und Vertrauter ist, will ihn und seine Bilder vor dem strengen Vater schützen. Er schleppt die Bilder in ein verlassenes Haus. Er geht sogar so weit, dass er nach dem Krieg, bei einer Vernissage versucht, eins von Nansens Bildern zu stehlen, um es zu retten. Das ist der Grund, warum er in der Besserungsanstalt für schwer erziehbare Jugendliche landet.

Erzählt wir die tragische Geschichte eines Jungen, der zwischen zwei Männern steht, während der Faschismus sich immer weiter ausbreitet. Als sein Vater aus dem Krieg heimkommt, hat er nichts aus seinen Fehlern gelernt. Das ist das Bitterste, was der Film zeigt. Der gesamte Film ist in düstere Farben getaucht. Das Einzige an Buntheit sind Nansens Bilder.

Das Lenz die Figur des verfolgten Nansen an den Maler Emil Nolde anlehnt, dessen Werke von den Nazis als „entartete Kunst“ bezeichnet wurden, und das sich nach jüngsten Erkenntnissen herausstellt, dass er ein bekennender Nationalsozialist und Antisemit war, wird in Schwochos Film mit keinem Wort erwähnt. Insgesamt ist „Deutschstunde“ eine atmosphärisch dichte und handwerklich solide Neuverfilmung des legendären Romans.

Ulrike Schirm


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