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Fazit zum Kurdischen Filmfestival und neue Filme im Kino, August 2019, Teil 2

Rückblick auf das Kurdische Filmfestival in Berlin sowie neue Filmkritiken von Ulrike Schirm.



Nach sieben ereignisreichen Tagen mit über 40 Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilmvorführungen sowie Podiumsdiskussionen, Konzerten, einer Lesung und einer Ausstellung, ging die neunte Ausgabe des KURDISCHEN FILMFESTIVALS BERLIN am 07. August 2019 mit dem wunderbaren poetischen Dokumentarfilm „Saz“ zu Ende.

Das größte kurdische Filmfestival Europas begrüßte dieses Jahr über 2.500 Besucher in den Kinos Babylon Mitte und Moviemento sowie in der Veranstaltungsstätte Ulme 35. Damit verzeichnet das Festival im 9. Jahr eine Steigerung von 25% gegenüber dem Vorjahr.

Bereits die Eröffnung am 1. August 2019 fand im ausverkauften Kino Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz statt. Wir hoffen, dass unser BAF e.V. als offizieller Medienpartner des Festivals mit unserer Berichterstattung im BAF-Blog seinen Teil zum diesjährigen Erfolg des Festivals beitragen konnte.

Die Filme im Programm stellten die Diversität der kurdischen Gesellschaft und Kultur dar. Sie ermöglichten den Festivalbesuchern intime Einblicke in die Sicht- und Denkweise der Kurd*innen aber auch in die Darstellung der kurdischen Realität durch westliche Regisseur*innen.

Schwerpunkt des Festivals war u.a. der Blick auf weibliche Perspektiven sowie die Bereitschaft kurdischer Frauen zum Kampf gegen den IS ("Islamischer Staat"), die bereits im Eröffnungsfilm "GIRLS OF THE SUN" von Eva Husson zum Tragen kam.

Dass dies aber nicht die einzige Lebensrealität kurdischer Frauen heute ist zwischen Tradition und der Diaspora, wurde in der Diskussionsrunde klargestellt. Ursprünglich nahmen kurdischen Frauen Waffen in die Hand, um sich gegen die übermächtige türkische Staatsmacht zu organisieren – betonte die Akademikerin und Aktivistin Nazan Üstündag, die an der Diskussion teilnahm.

Das 10. KURDISCHE FILMFESTIVAL BERLIN in 2020 ist bereits in Planung. Die Finanzierung ist durch die Unterstützung des Berliner Senats für die kommenden vier Jahre gesichert.

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"PHOTOGRAPH - Ein Foto verändert ihr Leben für immer" Großstadtromanze von Ritesh Batra (Indien, Deutschland, USA). Mit Nawazuddin Siddiqui, Sanya Malhotra, Farrukh Jaffar u.a. seit 8. August 2019 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Ritesh Batra, der 2013 mit seinem Spielfilmdebüt „Lunchbox“ für eine positive Überraschung sorgte, hat seiner indischen Heimat den Rücken gekehrt, um in England „Vom Ende einer Geschichte“ zu drehen und für Netflix „Unsere Seelen bei Nacht“. Mit seinem Film „Photograph“ ist er nach Mumbai zurückgekehrt.

Am berühmten Wahrzeichen der Stadt fotografiert Rafi (Nawazuddin Siddiqui) Touristen und Passanten. Von dem wenigen Geld, dass er verdient, schickt er einen Teil seiner Großmutter (Farrukh Jaffa), damit sie sich ihre nötigen Medikamente kaufen kann. Sie droht ihm, diese abzusetzen, wenn er nicht bald heiratet.

Er schickt ihr das Foto einer jungen Frau, die er vor kurzem fotografiert hat und die ihm nicht mehr aus dem Kopf geht. „Als ich das entwickelte Foto sah, sah ich jemand anderen als mich. Jemand, der glücklicher ist, als ich.“ Doch der Schein trügt.

Es handelt sich um Miloni (Sanya Malhotra), eine MBA-Studentin, aufgewachsen in einer bürgerlichen Familie, die eines Tages standesgemäß verheiratet werden soll. Rafi, der mit mehreren jungen Männern in einer Wellblechbehausung lebt, schickt seiner Großmutter Milonis Foto und gaukelt ihr vor, dass sie seine heiratswillige Freundin ist. Längst hat sich der Muslim Rafi in das Hindu Mädchen verliebt. Seine Großmutter macht sich auf die Reise, um Miloni kennenzulernen.

Milonis einziger Kontakt zu einer Person einer niederen Kaste, ist die Dienerin ihrer Familie, die nachts auf dem Küchenfußboden eine Matte zum Schlafen ausrollt. Miloni, die eigentlich Schauspielerin werden möchte, beugt sich widerstandslos den Regeln, die in ihrer Familie bestimmend sind.

Der quirligen Großmutter gegenüber sitzen zwei schüchterne, linkische, unglückliche Menschen, die wohl wissen, dass eine Liebe zwischen ihnen unmöglich ist. Sie erfinden kleine Lügen, um die Großmutter in dem Glauben zu lassen, ein Paar zu sein. Als Miloni Rafi zum ersten Mal besucht findet sie ganz viele Fotos von sich unter seinem Bett. Es mutet tragisch an, zu sehen wie schüchtern und vorsichtig die beiden miteinander umgehen. Einen Ausdruck von Zärtlichkeiten sucht man vergeblich. Zu eng ist das Netz des indischen Klassensystems geknüpft.

Mit genauem Blick auf Details zeichnet Ritesh Batra ein Sittenbild der indischen Klassengesellschaft. Märchen ähnlich lautet seine Botschaft: „Sie können zueinander nicht kommen, das Wasser ist viel zu tief“.

Ulrike Schirm


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"SO WIE DU MICH WILLST" Drama von Safy Nebbou (Frankreich). Mit Juliette Binoche, François Civil, Nicole Garcia u.a. seit 8. August 2019 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Die etwa 50-jährige geschiedene Literaturdozentin Claire (Juliette Binoche), Mutter zweier Söhne, die von ihrem Mann wegen einer Jüngeren verlassen wurde, leidet unter Einsamkeit. Mit ihrem jungen Liebhaber Ludo (Guillaume Gouix) klappt es eigentlich nur im Bett. Sie freut sich auf ein Wochenende mit ihm und als er sich am Telefon von seinem Mitbewohner Alex (Francois Civil) verleugnen lässt, beschließt sie in ihrem gekränkten Zustand, Ludo über Alex auszuspionieren und ihm vielleicht doch wieder näher zu kommen.

Der junge Fotograf reagiert sofort. Beide chatten miteinander. Claire blüht sichtlich auf. Sie muss höllisch aufpassen, sich nicht zu verraten, denn mit den sozialen Netzwerken hat sie keine Erfahrung. Es kommt, wie es kommen muss. Alex bittet sie um ein Foto. Verschreckt sendet sie ihm ein Bild von einer bildhübschen jungen Frau. Längst haben sich beide ineinander verliebt ohne sich je persönlich gesehen zu haben. Alex besteht darauf, sich endlich zu treffen. Claire bekommt Panik und zieht sich zurück, nicht ahnend, was für folgenschwere Ereignisse sie damit auslöst.

Das Liebesdrama wurde von dem Regisseur Safi Nebbou („Der Hals der Giraffe“) nach einem Roman der Autorin Camille Laurens, spannend umgesetzt. Immer mehr verstricken sich die Liebenden in ein Knäul aus Liebe, Begehren und Lügen. Das Liebesdrama fesselt mit unvorhergesehenen Begebenheiten, die Schritt für Schritt zusammengefügt werden und bei denen Wahrheit und Lüge miteinander verschachtelt sind. Eine bittere Amour fou, die ganz auf die hinreißende Juliette Binoche zugeschnitten ist.

Ulrike Schirm


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"UND WER NIMMT DEN HUND?" Beziehungsdrama von Rainer Kaufmann (Deutschland). Mit Martina Gedeck, Ulrich Tukur, Lucie Heinze u.a. seit 8. August 2019 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Nach 25 Ehejahren beschließt ein Paar, sich zu trennen. Hilfe erhoffen sie sich von einer Paartherapeutin. Er (Ulrich Tukur), Direktor eines Aquariums, sein Steckenpferd sind Quallen. Sie (Martina Gedeck) hat sich um die Kinder gekümmert und will sich endlich, die Kinder sind aus dem Haus, selbst verwirklichen. Er hofft mit seiner 30-Jahre jüngeren Geliebten, nochmal durchzustarten.

Ein Grund für sie, ihn rauszuschmeißen. Sie ergreift die Initiative und schleppt ihn mit zur Therapeutin. Es folgen die üblichen Schuldzuweisungen, du hast”¦ nein es ist ganz anders, ich seh das so”¦ man hätte”¦ du bist im Unrecht”¦ usw. Er, Georg hat sich mit dem Gedanken, getrennte Wege zu gehen, abgefunden. Sie, Doris will wenigstens verstehen, wie es zu diesem Desaster gekommen ist und ob es nicht doch einen Weg gibt, die Ehe zu retten. In ihrer Verletztheit zündet sie das Auto seiner Neuen an.

Kurze Momente der Annäherung werden durch gegenseitige Anschuldigungen wieder zunichtegemacht. Die Kinder geben einige altkluge Ratschläge, sind aber nicht sonderlich an einer Fortführung der Ehe ihrer Eltern interessiert. Als Georg den neuen Freund seiner Frau trifft, artet die Begegnung in eine Schlägerei aus.

Für eine Komödie fehlt dem dialoglastigen Film der nötige Esprit. So ist „Und wer nimmt den Hund“? mehr eine Dramödie als eine Komödie und gehört eher ins Fernsehen, als auf die Kinoleinwand.

Mit der Verfilmung des Romans von Martin Walser „Ein fliehendes Pferd“ hat Rainer Kaufmann bewiesen, dass er durchaus in der Lage ist, komödiantische Beziehungskrisen unterhaltsam zu inszenieren. An den beiden Schauspielern liegt es nicht.

Ulrike Schirm



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