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Zur leichten Wetterabkühlung neue Filme im Juli 2019 im Kino, Teil 5

Kaum Zuschauer in den Filmtheatern bei Außen-Temperaturen von 30° C - dennoch gibt es wieder Kinoneustarts.



Nach einem weiteren hochsommerlichen Wochenende und heißen Rhythmen beim Christopher Street Day in Berlin, soll es wieder kühler werden, sodass hoffentlich wieder mehr Besucher den Weg in die Kinos finden.

Letzten Freitag haben wir persönlich in einem der Arthouse Kinos am Hackeschen Markt in Berlin nachgefragt, wie sich das Wetter auf den Besucherzahlen auswirkt. Eigentlich war die Antwort vorhersehbar, denn die bundesweiten Statistiken lügen nicht und prognostizieren Mindereinnahmen von 30%. Während die Höfe-Kinos tatsächlich nahezu leer blieben, herrschte glücklicherweise Drängelei bei dem angeschlossenen Open-Air-Kino. Sogar beim hereinbrechenden Unwetter harrte das Publikum in der letzten Woche eisern unter Regenschirmen vor der Freilichtleinwand aus. Somit gab es neben dem weinenden Auge, auch ein Lachendes, das Hoffnung auf Besserung am Boxoffice am Horizont sieht.

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"FACE_IT! – DAS GESICHT IM ZEITALTER DES DIGITALISMUS" Dokumentation von Gerd Konradt (Deutschland). Seit 25. Juli 2019 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Im August 2017 startete am Berliner S-Bahnumsteigebahnhof Südkreuz ein Pilotprojekt zur digitalen Gesichtserkennung. Drei von 74 Kameras filmten ein ganzes Jahr lang vorbeikommende Passanten. Aus den Aufzeichnungen versuchen verschiedene Gesichtserkennungssoftwares etwa 300 Zielpersonen, die freiwillig an dem Projekt teilgenommen haben, herauszufiltern. Datenschützer kritisierten die automatisierte Gesichtserkennung scharf. Durch die Technik würden die Persönlichkeitsrechte von Menschen verletzt und der Überwachungsmechanismus ausgeweitet. Wann und in welcher Form die Ergebnisse des einjährigen Projekts veröffentlich werden sollen, steht laut dem Innenministerium noch nicht fest. Mit dieser Technik erhofft man sich, Terroristen und Kriminelle herauszufiltern und dingfest zu machen.

Der Berliner Regisseur und Videopionier Gerd Conradt widmet sich in seinem Dok-Film „FACE_IT!“ diesem hochbrisantem Thema, bei dem er die Frage stellt, welchen kulturpolitischen Wert diese Gesichtserkennung darstellt und das nicht nur unter dem Aspekt der Sicherheit.

Wenn das neue Überwachungssystem etabliert werden sollte, dann wird es möglich, jeden herauszuerkennen, denn wie wir wissen, Kameras können zoomen und gibt man damit sein Recht auf Privatsphäre ab. Die Meinungen gehen auseinander.

Conradt lässt Aktivisten, Künstler und Politiker zu Wort kommen wie zum Beispiel Dorothe Bär, Staatsministerin für Digitalisierung, die eine eher technikaffine Haltung vertritt, unter anderem die, wenn man am Flughafen, dank elektronisch lesbarer Reisepässe mit Hinzunahme schnellerer Gesichtserkennung, sich das Warten in einer langen Schlange erspart, ist das doch eine Erleichterung.. Doch wie hoch ist der Preis, den man für diese Annehmlichkeit bezahlt?

Bär: „Die Botschaft muss sein, dass wir alles, was mit der Digitalisierung einhergeht, mit offenem Herzen und trotzdem mit kühlem Kopf begleiten müssen“.

Das das zunehmende Sammeln von Daten und die immer weitläufigere Vernetzung selbstverständlich das Potential zum Missbrauch hat, muss man ja wohl kaum noch jemandem erklären. Das man sie zur Kontrolle jedes einzelnen Bürgers verwenden kann, ist auch kein Geheimnis. In Conradts Film, beleuchten interessante Personen sehr differenziert das Für und Wider der fortschreitenden Digitalisierung. Auch er beschäftigt sich mit dieser schleichenden Entwicklung, die vor niemandem mehr Halt macht. Die Möglichkeit des Datenmissbrauchs ist immer gegeben. Man muss nur an China denken. Das Einzige, was wir tun können ist, den Zugang zu unseren Daten zu fordern und darauf zu bestehen, dass bestimmte Daten gelöscht werden. Conradts dokumentarisches Essay dient als Ausgangspunkt für einen philosophischen Diskurs über die Gefahren und Grenzen des „Digitalismus“. Bis jetzt sind noch längst nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Im weiteren Fokus steht die künstliche Intelligenz. Computerprogramme immer lernfähiger zu gestalten, so dass ihre Analysen immer präziser werden. Die Datenschutzbeauftragten der Länder stehen in Alarmbereitschaft. Wenn man mich fragt, ich schließe mich eher den Aktivisten an.

Ulrike Schirm


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"LEID UND HERRLICHKEIT" Drama von Pedro Almodóvar (Spanien). Mit Antonio Banderas, Asier Etxeandia, Leonardo Sbaraglia u.a. seit 25. Juli 2019 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Mit „Leid und Herrlichkeit“ ist der Spanier Antonio Banderas zum europäischen Film zurückgekehrt. Und schon feiert er einen Triumph, indem er allseits bejubelt wird. Das Filmfestival in Cannes kürte ihn zum besten Darsteller. Er spielt den alternden Regisseur Salvador Mallo, der von Schmerzen gepeinigt, auf sein bewegtes Leben zurückschaut.

Eine lange Narbe auf seinem Oberkörper, zeigt die Spuren eines schonungslosen Lebens. Jeden Morgen muss er eine handvoll Tabletten nehmen und des nachts leidet er unter Schlaflosigkeit. Almodóvars Film mutet an, wie eine melodramatische Zeitreise. Banderas spielt diesen einsamen Mann mit einer wunderbaren Introvertiertheit. Einst erfolgreich und im Leben stehend, setzt er sich mit seiner Vergangenheit auseinander und beginnt seine Entscheidungen und Beziehungen in seinem Leben zu hinterfragen. Seine Geschichte ist eigentlich die Geschichte seines in die Jahre gekommenen filmischen Ziehvaters Pedro Almodóvar.

Besonders berührend sind seine Kindheitsjahre. Sie beginnen mit dem etwa 9-jährigen Salvador, der mit seiner Mutter (Penélope Cruz) in einer Art Höhlenwohnung lebt. Seine Leidenschaft ist das Lesen. Ein Handwerker, der damit beschäftigt ist die Küchenwand zu kacheln, macht eine Pause, greift sich ein Fetzen Zementsackpapier und zeichnet den lesenden Jungen. Weil es sehr heiß ist, zieht sich der junge Mann aus, um sich zu waschen. Fasziniert schaut Salvadore ihm zu. Unbewusst erweckt diese Handlung sein späteres Begehren nach dem männlichen Körper. (Die Zeichnung spielt später noch eine Rolle).Salvador wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf. Jede Einstellung, die seine Kindheitserlebnisse zeigt, ist geprägt von einer starken Emotionalität zu seiner Mutter.

Inzwischen erwachsen geworden, dämmert er in seiner Wohnung, von Kunstwerken umgeben, vor sich hin. Umsorgt wird er von seiner treuen Haushälterin Mercedes (Nora Navas). Seinen Beruf kann er schon längst nicht mehr ausüben. Man sieht einen schmerzgeplagten alten Mann, der nicht nur seiner großen Liebe hinterhertrauert, sondern auch den Tod seiner Mutter noch nicht verkraftet hat.

Die schmerzliche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit setzt auch verschüttete Energien frei. Sein Film „Sabor“ wurde restauriert und soll wieder aufgeführt werden. Er nimmt den Kontakt zu seinem Schauspieler Alberto (Asier Etxeandia), mit dem er sich vor Jahrzehnten zerstritten hat, wieder auf. Alberto ist ein Gelegenheitsjunkie. Bei ihrem Treffen greift auch Salvador zum Heroin, was seine Schmerzen erheblich lindert. Alberto schafft es Salvador zu überreden, ihm einen autobiografischen Text zu überlassen, aus dem er einen unter die Haut gehenden Bühnenmonolog schreibt.

Bei der Aufführung trifft er seinen einstigen Liebhaber Federico (Leonardo Sbaraglia wieder, denn um ihn dreht sich das Stück. 30 Jahre ist es her. Ihre Begegnung endet mit einem leidenschaftlichen Kuss.

Wie es der Zufall will, gelangt nach etlichen Jahren das Bild des Handwerkers Eduardo, dem er damals auch das Lesen und Schreiben beibrachte, in seine Hände. Sofort taucht die Erinnerung wieder bei ihm auf und setzt Impulse für die Gegenwart frei. Es entsteht der Text „El primerodeseo“, was soviel heißt, wie „Das erste Begehren“.

Eigentlich sind alle Filme von Almodóvar von seiner Biografie beseelt. Doch keiner erzählt so viel über ihn, wie dieser. Es gehört schon viel Mut dazu, seine Heroinabhängigkeit preiszugeben.

„Leid und Herrlichkeit“ ist mehr als die bewegende Bilanz des fast 70-jährigen Regisseurs. Es ist auch eine Ode an die jahrzehntelange Freundschaft zwischen ihm und Banderas, der hier in seiner besten Rolle brilliert.

Ulrike Schirm


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"VOX LUX" Musik-Drama von Brady Corbet (USA). Mit Natalie Portman, Jude Law, Stacy Martin u.a. seit 25. Juli 2019 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

1999 überlebt die Schülerin Celeste (Raffey Cassidi) schwerverletzt einen Amoklauf an ihrer Schule. Auf der Trauerfeier für die Opfer, singt sie ein von ihrer älteren Schwester Eleanor (Stacy Martin) komponiertes, hochemotionales Lied. Der Song schlägt ein wie eine Bombe. Ein zynischer Manager (Jude Law), der schon bessere Zeiten erlebt hat, wittert Morgenluft und macht aus ihr eine Berühmtheit. 2017 ist sie ein Star. A Star is born. Jetzt wird sie von Natalie Portman gespielt. Ihre Karriere ist gepflastert mit Drogen und Skandalen. Ihr Manager verdonnert sie dazu, nur noch tanzbare Popsongs zu singen und in glitzernden Kostümen aufzutreten. The Schow must go on. Letztendlich hat Celeste ihre Seele einer gnadenlosen und oberflächlichen Pop-Industrie verschrieben.

Vox Lux, was so viel wie Stimme des Lichts heißt, ist das Portrait eines schwer traumatisierten Mädchen, das nichts weiter wollte, als seine Trauer in einem hingebungsvollen Lied zum Ausdruck zu bringen und das eh es sich versieht, Teil einer gnadenlosen Musik-Industrie wird, in der es nur noch um Profit, Macht und oberflächlichen Personenkult geht.

Auch wenn die Kostüme noch so glitzern, mit Glanz und Gloria hat das hier nichts zu tun. Brady Corbet taucht seine bittere Gesellschaftskritik in ein kaltes, bläulich schimmerndes Licht.

Ein kontroverses Gegenstück zu Bradley Coopers „A Star is Born“. Während Ally in „A Star is Born“ ihre große Liebe verliert, kämpft Celeste in "Vox Lux" gegen die dunklen Seiten des vermeintlichen Ruhms und verliert sich selbst. Natalie Portman spielt ihre Rolle mit sichtbarem Vergnügen. Wenn auch gut gemeint, ist die erhellende Satire überfrachtet und arg gekünstelt und unterm Strich äußerst anstrengend.

Ulrike Schirm


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"ABIKALYPSE" Komödie von Adolfo Kolmerer (Deutschland). Mit Lea van Acken, Lucas Reiber, Jerry Hoffmann u.a. seit 25. Juli 2019 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Wer bei dem Titel an Party bis zum Umfallen, Saufgelage und schlüpfrige Witze denkt, der irrt.

Für die Abiturienten Hannah (Lea van Acken), Yannick (Jerry Hoffmann), Tom (Lucas Reiber) haben sich längst daran gewöhnt, von ihren Mitschülern als Loser betrachtet zu werden, was unter anderem zur Folge hat, dass sie zu keiner Party eingeladen werden. Nur Musti (Reza Brojerdi) kämpft mit überdrehten Aktionen um Anerkennung. Wenigstens sind sie untereinander gut befreundet.

Musti, der aus einem reichen Diplomatenhaushalt stammt ist bitter enttäuscht, dass er nach drei Versuchen, endlich das Abitur bestanden hat, denn das bedeutet für ihn, Deutschland zu verlassen, weil sein Vater es so will.

Er verspricht seinen Freunden die krasseste Party der Welt. Ob das gut geht, nachdem zu seiner Geburtstagsparty nur seine drei Freunde auftauchten, bleibt abzuwarten. Noch ahnt er nicht, dass er mit diesem gutgemeinten Vorhaben, die Freundschaft der vier Außenseiter auf eine harte Probe stellt. Je näher die Party rückt, desto mehr Probleme tun sich zwischen den Freunden auf.

Wer sind die vier überhaupt?

Der überdrehte Musti, der unter der Fuchtel seines Vaters steht. Yannik, ziemlich gutmütig, der von seiner exzentrischen Freundin betrogen und belogen wird, die introvertierte Ego-Shooter-Spezialistin Hannah und der ruhige, attraktive Tom, die ineinander verliebt sind aber überhaupt nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen. Sie gehören zu den heutigen Jugendlichen, die sich mit Vorliebe an Facebook-Likes und Instagram-Posts orientieren und sich vom gesprochenen Wort immer mehr entfernen. Erhärtet wird das, mit eingestreuten Texten von Whats-App Posts, und Cyber-Mobbing, kratzt aber nur oberflächlich an dem weitverbreiteten Problem.

Beworben wird „Abikalypse“ mit dem Zusatz „eine Sommerkomödie“. Es geht um das Ringen um Liebe, Freundschaft, Anerkennung und einen Vater-Sohn-Konflikt, bei dem sich der Film viel zu ernst nimmt und viel zu schwerfällig inszeniert ist. Es fehlt der zündende Humor, es gibt keine kluge Situationskomik und so gut wie keinen Dialogwitz. Das liegt aber nicht nur am Drehbuch, sondern leider auch an den dürftigen Leistungen der Schauspieler.

Reza Brojerdis übertriebenes Spiel nervt, Lea van Acken, die ich sehr mag, bleibt bis zum Schluss eine graue Maus und Jerry Hoffmann spricht seinen Text ziemlich emotionslos, bis auf einen Wutausbruch, der arg unvermittelt kommt.

Was mir gefällt, ist, dass man die Dunkelhäutigkeit des Yannick und die ausländische Herkunft von Musti nicht zu einem Thema gemacht hat und es damit vermieden hat, gängige Klischees zu bedienen. Regisseur Adolfo J. Kolmerer konnte sich aber offensichtlich nicht zwischen Drama oder Komödie entscheiden.

Ulrike Schirm



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