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Filmkritiken im Januar 2019, Teil 2

Unsere Kollegin hat uns ein paar Film-Rezensionen von letzter und vorletzter Woche geschickt.



Während wir schon in den Vorbereitungen für die Berichterstattung zur transmediale und Berlinale sind, freuen wir uns über Film-Rezensionen von unserer Kollegin Ulrike Schirm, die sich die Zeit genommen hat, über ein paar Filme zu schreiben, die wir aktuell nicht alle sehen konnten.

Auch eine deutsch-österreichische Komödie, die sich vornehmlich an Kinder und Jugendliche richtet, ist darunter. Diese wurde aber fast überall verrissen. Ziemlich begeistert sind Kritiker dagegen von dem französischen Biopic, das September 2018 auf dem Film Festival de San Sebastián im Wettbewerb lief und den Drehbuchpreis gewann.

Letzten Donnerstag war zudem das libanesische Drama "CAPHARNAÜM" bzw. "Capernaum - Stadt der Hoffnung", wie der deutsche Titel heißt, angelaufen, das zu Recht auf dem Filmfestival von Cannes im Mai den großen Preis der Jury erhalten hatte. Das Berliner Publikum konnte das sozialkritischen Drama um einen kaum 12-jährigen Jungen, der seine Eltern verklagt, weil sie ihn in eine Welt voller Armut gesetzt haben, allerdings bereits im November auf dem Festival »Around the World in 14 Films« sehen, wie wir seinerzeit berichteten. Der Film gehört zu unseren absoluten Top-Favoriten, die man gesehen haben muss, schrieben wir in unserer Bestenliste des Jahres 2018.

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"DAS MÄDCHEN, DAS LESEN KONNTE" Historien-Drama von Marine Francen (Frankreich). Mit Pauline Burlet, Alban Lenoir, Géraldine Pailhas u.a. seit 10. Januar 2019 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Der Film "DAS MÄDCHEN, DAS LESEN KONNTE" beruht auf der autobiografischen Erzählung der südfranzösischen Bäuerin Violette Ailhaud in den Jahren 1851 – 1855.

Unter der Herrschaft Louis Napoléon wurden alle aufständischen Männer eines provenzalischen Dorfes ermordet, verschleppt oder verbannt. Die trauernden Frauen, die sich nun sich selbst überlassen sind, müssen sich um die Feldarbeit kümmern und die Ernte einfahren. Vorsichtshalber trainieren sie Selbstverteidigung für den Fall, dass die Soldaten wieder zurückkommen. Doch Niemand erscheint in dem abgelegenen Dorf. In ihrer Ratlosigkeit beschließen sie, dass der erste Mann, der auftauchen sollte, von allen Frauen geschwisterlich geteilt wird, um eine weitere Generation zu zeugen und damit die Zukunft ihres Lebensortes gesichert ist.

Ein junger Schmied, Jean, (Alban Lenoir) verirrt sich in ihr Dorf. Er hat seit dem Umsturz 1851 die Erlaubnis erhalten, herumzureisen. Violette (Pauline Burlet) kümmert sich um ihn und bringt ihn, in einem leerstehenden Haus unter. Sie übernimmt es auch, ihm von der Vereinbarung zu berichten, dass er mit allen Frauen, so sie denn bereit wären, zu schlafen.

Violette ist die Einzige, die lesen kann. Sie verliebt sich in Jean und teilt mit ihm die Liebe zur Literatur und ihr revolutionäres Ansinnen. Sie ist die erste Frau, die von ihm schwanger wird.

Marie Francen hat ihren Film im Bildformat 4:3 gedreht. Ihre Bilder erinnern an betörende, sonnendurchflutende impressionistische Gemälde. Fast zu schön, um wahr zu sein, zeigt sie die Möglichkeit einer sinnlich anmutenden feministischen Utopie.

Ulrike Schirm


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"KALTE FÜSSE" Kinder- & Jugendkomödie von Wolfgang Groos und Stefan Essl (Deutschland, Österreich). Mit Heiner Lauterbach, Emilio Sakraya, Sonja Gerhardt u.a. seit 10. Januar 2019 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Der Kleinkriminelle Denis (Emilio Sakraya) ist in Not. Weil er seine Schulden nicht begleichen kann, verlangen seine Auftraggeber von ihm, in die abgelegene Villa des reichen Unternehmers Raimund (Heiner Lauterbach) einzubrechen. Was Denis nicht ahnt, der reiche Raimund hat einen Schlaganfall erlitten, und liegt bewegungslos am Boden, auch sein Sprachzentrum funktioniert nicht, so das er sich weder gegen den Eindringling wehren kann und kaum einen Laut von sich geben kann. Widerwillen taucht seine Enkelin Charlotte auf. Sie soll sich um den Großvater kümmern, wenigstens so lange, bis ein Pfleger kommt. Die einzige Chance nicht als Einbrecher erkannt zu werden ist die, in die Rolle des Krankenpflegers zu schlüpfen. Da das Anwesen auch noch durch einen Schneesturm von der Außenwelt abgeschnitten ist, kommt der wirkliche Pfleger erst dann, wenn die Zufahrt wieder einigermaßen frei ist und das kann Tage dauern.

Ein Kammerspiel mit drei Personen nimmt seinen Lauf.

Charlotte (Sonja Gerhardt ) ist ziemlich unwillig, wollte sie doch mit ihrem Freund verreisen und ihr Verhältnis zu dem „Alten“ ist auch nicht das beste. Denis bemüht sich redlich den Krankenpfleger zu spielen und Raimund versucht krampfhaft, das Lügengebilde des Jungen zu entlarven. Für eine Polizeianwärterin hat Charlotte eine ziemlich lange Leitung, bis sie endlich bemerkt, dass mit Denis etwas nicht stimmt. Eigentlich würde man sagen: „Beruf verfehlt“. Doch zu spät. Die beiden haben sich schon ein bisschen verliebt. Platte Witze, überdrehte Action und natürlich ein versöhnliches Ende, machen aus dem Filmchen alles andere, als eine köstliche, bitterböse Komödie. Verschenkt.

Ulrike Schirm


Übrigens war unter der Regie von Wolfgang Gross im Jahre 2015 auch der recht erfolgreiche Kinderfilm „Rico, Oskar und das Herzgebreche“ entstanden. Und Drehbuchautor Christof Ritter zeichnete 2009 verantwortlich für die Sat.1 TV-Komödie „Das total verrückte Wochenende“. Die Qualität von damals wurde diesmal nicht erreicht.

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"CAPERNAUM - Stadt der Hoffnung" Familiendrama von Nadine Labaki (Libanon, Frankreich). Mit Zain Al Rafeea, Cedra Izam, Nadine Labaki u.a. seit 17. Januar 2019 im Kino. Hier der Trailer



Ulrikes Filmkritik:

Es ist eines der Bilder, die man so schnell nicht vergisst. Zain, ein etwa 12-jähriger, schmächtiger Junge, zieht ein Baby im Armenviertel von Beirut hinter sich her. Es sitzt in einem Topf, befestigt auf einem alten Surfbrett. Sie sind auf der Suche nach Nahrung, nachdem die Mutter des Kindes schon seit einigen Tagen nicht mehr nach Hause gekommen ist. Niemand weiß, wo die Frau geblieben ist.

Zain kann sein Alter nicht angeben, da seine Eltern das Geld für die Registrierung ihrer Kinder nicht haben und er somit offiziell gar nicht existiert. Der zarte Junge schuftet für Assad, der der armen Familie eine Bruchbude vermietet hat. Als Zain mitbekommt, dass seine geliebte 11-jährige Schwester Sahar an Assad verschachert werden soll, rastet er aus. Mit allen Mitteln versucht er, seine Schwester vor Assad zu beschützen.

Voller Wut und Trauer packt er ein paar Habseligkeiten in einen blauen Müllsack und haut ab. Auf einem Rummelplatz versucht er Arbeit zu finden.

Unterschlupf findet er bei Rahil mit ihrem Baby Yonas. Sie ist illegal in der Stadt, aus Äthiopien geflüchtet und haust mit dem Kind in einer Blechhütte. Sie ist froh, dass Zain, während sie auf dem Rummel arbeitet, das Baby versorgt. Dafür erhält er so etwas wie Kost und Logis.

Doch dann steht Zain mit dem Kind alleine da. Die Mutter ist verschwunden. Zain, der eigentlich selber noch ein Kind ist, übernimmt die Verantwortung für das Flüchtlingskind.

Als der Eingang zu der jämmerlichen Wellblechhütte versperrt ist, weiß sich Zain nicht mehr zu helfen. Er gibt das Kind mit Tränen in den Augen an einen Mann ab, der aus dem Elend noch irgendwie Profit schlägt und der verspricht, sie nach Schweden zu bringen.

Tags darauf steht Zain mit Handschellen vor Gericht. Kurz bevor er flüchten will, erfährt er, dass seine elfjährige Schwester schwanger war und gestorben ist. Er rastet aus. Das einzige, was ihm jetzt noch bleibt ist der Versuch, seine Eltern zu verklagen. „Ich will meine Eltern verklagen, weil sie mich auf die Welt gebracht haben“.

„Das Leben ist Scheisse. Alles was ich höre ist Hurensohn, Stück Scheisse”¦ diese Eltern dürfen keine Kinder mehr kriegen“.

Die Libanesin Nadine Labaki („Caramel“) zeigt immer auf Augenhöhe mit Zain, dessen verzweifelten Überlebenskampf in einer Welt, in der Kinder hart arbeiten müssen, nicht zur Schule gehen, das Geld mehr als knapp ist und das Schlimmste überhaupt, Kinder werden ihrer eigentlich zustehenden, wohlbehüteten Kindheit beraubt.

Gedreht hat Labaki an Originalschauplätzen, fast nur mit Laiendarstellern, deren wahres Leben sich kaum von dem ihrer Filmfiguren unterscheidet. Ihren dokumentarisch empathisch angehauchten Bildern, kann man sich nicht entziehen.

Capernaum steht als Metapher für eine Stadt in der Bibel, die von einem Erdbeben zerstört wurde und zu einem Ort des Chaos deklariert wurde.

Zain ist im wahren Leben ein syrischer Flüchtling. Ganz am Ende lächelt er. Aber nur einmal. Nach mehrmaliger Aufforderung. Nur für ein Passfoto. Er lebt inzwischen in Norwegen und kann endlich zur Schule gehen.

Wem dieses Drama nicht zu Herzen geht, wer hier nicht nachdenklich den Kinosaal verlässt, dem ist nicht mehr zu helfen.

Ulrike Schirm


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Als zusätzliche Empfehlungen möchten wir vier weitere letzten Donnerstag angelaufene Filme nennen. Darunter der Film "Maria Stuart", das Biopic um die Königin von Schottland, die im 16. Jahrhundert ihren Anspruch auf den englischen Thron anmeldete, aber im Streit mit Königin Elisabeth I. um die Erbfolge unterlag und wegen angeblichen Hochverrats enthauptet wurde.

"MARIA STUART - Königin von Schottland", Historiendrama von Josie Rourke (USA, Großbritannien). Mit Saoirse Ronan, Margot Robbie, Jack Lowden u.a. seit 17. Januar 2019 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Schon als Baby wurde sie zur schottischen Königin gekrönt. Wegen politischer Unruhen wurde Maria Stuart im Kindesalter nach Frankreich geschickt. Sie heiratete Franz II. Mit 17 wurde sie Witwe und kehrte im Jahr 1561 nach Schottland zurück, um ihren Anspruch auf den englischen Thron einzufordern.

Theaterregisseurin Josie Rourke legt ihren Schwerpunkt auf das Ränkespiel zweier starker Frauen: Maria Stuart (Saoirse Ronan) und ihre Widersacherin Königin Elisabeth I. (Margot Robbie).

Zwei Rivalinnen, die beim näheren Hinsehen, mehr gemeinsam haben, als sie ahnen. Intrigen und Rebellionen pflastern ihren Weg. Ihr Kampf um politische, sowohl als auch sexuelle Selbstbestimmung, scheitert letztendlich an den irrsinnigen Machtbestrebungen der Männer, von denen beide Frauen umgeben sind, auch wenn deren Forderungen oft mehr als lächerlich sind und nur zur Stütze ihrer eigenen Macht dienen. Ein durchaus moderner Ansatz, den Rourke anklingen lässt. Besonders stark eine Szene, in der sich beide Frauen zwischen wehenden Tüchern in ihrer Rivalität und gleichzeitigen „Schwesterlichkeit“ hin und her bewegen. Das Ende des geschichtlichen Dramas ist bekannt.

Nicht nur sehenswert wegen der Pracht der Kostüme, sondern vor allen Dingen wegen der beiden großartigen Schauspielerinnen.

Ulrike Schirm


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"YULI" ein sozialkritisches Biopic aus Kuba von Icí­ar Bollaí­n in Kooperation mit den Ländern Spanien, Großbritannien und Deutschland. Zugleich ein virtuoser Tanzfilm, der mit betörend schönen Szenen aufwartet und bereits zu unseren Lieblingsfilmen des neuen Jahres gehört. Mit den Darstellern Carlos Acosta, Santiago Alfonso, Edilson Manuel Olvera u.a. seit 17. Januar 2019 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Erzählt wird die Geschichte des kleinen Jungen Carlos Acosta, der von seinem Vater Yuli, genannt wird. Es ist der Name eines bedeutsamen Kriegers. Sie basiert auf seinen Erinnerungen „No Way Home“. Carlos, einer der größten Tänzer der Welt, tritt in einigen Szenen selber auf.

Auf Kuba herrscht eine bittere Wirtschaftskrise. Yuli und seine Geschwister wachsen in ziemlicher Armut auf. Sein Vater, ein von Sklaven abstammender Lkw-Fahrer, sieht zufällig, wie sein Sohn mit grosser Begeisterung Break danced. Hinter seinen Bewegungen erkennt er, das der Junge über ein grosses Tanztalent verfügt. Innerlich verwundet durch seine eigene Geschichte, reift in ihm nur ein Gedanke: Der Junge muss zum Ballett.

Gegen seinen Willen, meldet er Yuli bei der kubanischen Ballettakademie an. Das Kind ist außer sich. Es dauert nicht lange und July wird von den Jungen auf der Strasse als Schwuchtel gehänselt. Gegen die harte Hand des Vaters, der auch vor Schlägen nicht Halt macht, kann der Junge sich nicht wehren. Da er immer wieder abhaut, sorgt sein Vater dafür, dass er in einem entfernten Internat für Balletteleven aufgenommen wird.

Carlos Acosta schafft es auf die größten Bühnen der Welt. Doch wirklich glücklich ist er nicht, Während alle anderen froh sind, Kuba zu verlassen, sehnt er sich zu seiner Familie zurück.

Als er 16 war, nahm er an einem Wettbewerb in Lausanne teil, der ihm den internationalen Durchbruch bescherte. Äußerst außergewöhnlich für einen Schwarzen.

Erzählt wird die berührende Geschichte seines Aufstiegs auf zwei Ebenen. Da wären die politischen Verhältnisse in Kuba und ihre Auswirkungen auf die Menschen, die private Situation der Familie Acosta, besonders die seines Vaters, der für zwei Jahre im Knast verschwindet und das tragische Ende seiner schizophrenen Schwester. Unterbrochen von unglaublich betörenden Baletteinlagen, die von Acosta selbst inszeniert sind und teilweise auch von ihm getanzt werden. Er tanzte als erster Schwarzer den Romeo.

In einem Interview im Tagesspiegel vom 20. Januar erzählt er, dass sein Vater, der wie viele Kubaner an die Götter der Santeria-Religion - ein Erbe der afrikanischen Sklaven - glaubte, und Tiere opferte. Er war überzeugt, dass mein Erfolg auf seinen Opfergaben beruht.

Was für Yuli ein Fluch war, entpuppte sich für Carlos letztendlich als Segen.

Ulrike Schirm


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"DER SPITZENKANDIDAT", ein Bipopic-Drama von Jason Reitman (USA). Mit Hugh Jackman, Vera Farmiga, J.K. Simmons u.a. das an die US-Wahl von 1988 und an den Skandal um den Demokraten Gary Hart erinnert. Seit 17. Januar 2019 im Kino. Hier der Trailer:



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"RAUS" ein weiteres sozialkritisches Drama von Philipp Hirsch (Deutschland) über eine Gruppe von Aussteigern und Rebellierern ganz im Sinne der APO-Tradition, die sich schon in den 68ern gegen den Kapitalismus gestellt hatte. Doch beim Versteckspiel mit der Polizei bleibt es nicht. Es wird auch bald innerhalb der Gruppe rebelliert. Mit Milena Tscharntke, Tom Gronau, Matilda Merkel u.a. ebenfalls seit 17. Januar 2019 im Kino. Hier ein längerer Trailer:



W.F.




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