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Neue Wege für den deutschen Film - Netflix muss Steuern zahlen

Netflix muss Sonderabgabe auf seinen Umsatz im deutschsprachigen Internetangebot zahlen.



Das Gericht der Europäischen Union wies am Mittwoch, den 16. Mai 2018, eine Klage des US-Streamingdienstes NETFLIX gegen eine deutsche Sonderabgabe ab. Hintergrund des Streits war eine Änderung Beihilferegeln für die Filmförderungsanstalt (FFA), welche die Bundesregierung 2014 geändert hatte. Bis dahin mussten nämlich nur deutsche Kinos, Rundfunkanstalten und Videoproduzenten einen Beitrag an die Anstalt zahlen.

Doch mit den neuen Streamingdiensten, die zuvor unbedeutend waren, erwuchs eine starke neue Konkurrenz für das Kino. Zunehmend bleiben vor allem junge Leute dem Kino fern und machen es sich zu Hause vor großen Flachbildschirmen auf dem Sofa bequem, sodass den angestammten, kulturellen Filmtheatern nicht nur das finanzkräftige Publikum fehlt, sondern auch das ganze Fördersystem hinterfragt werden musste.

Geförderte Filme müssen zuerst im Kino laufen, nicht nur in Deutschland auch in anderen europäischen Ländern. In Frankreich wurde Netflix sogar vom Cannes Wettbewerb ausgeschlossen, weil der Streamingdienst sich weigerte, seine Filme zuerst ins Kino zu bringen.

Als Ausgleich für die von der Europäischen Kommission beschlossenen Abgabepflicht könnten die Streaminganbieter aber wieder eine Förderung für Serienproduktionen in Deutschland bekommen. Im Gegensatz zu Netflix stellte sich Amazon nicht gegen die Regel und wertet seine Eigenproduktionen ordnungsgemäß zuerst im Kino aus.

Laut Gerichtsentscheid sei die Abgabe nicht individuell auf Netflix zugeschnitten worden. Auch sei dessen Marktposition nicht gefährdet. Laut dem Analyseunternehmen Goldmedia hat Netflix hierzulande unter den Bezahlangeboten einen Anteil von mehr als 20 Prozent. Führend unter den Streaming-Anbietern ist allerdings Amazon mit ca. 30 Prozent.

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Neue Wege für den Deutschen Film?

Unter dem Thema: »Neue Wege für den Deutsche Film?« fand am 05. & 06. April 2018 auf dem Lichter Filmfest in Frankfurt/Main ein Kongress zu Perspektiven der deutschen Film- und Kinokultur statt, auf den wir - in Anbetracht der Netflix Forderungen - nachfolgend näher eingehen wollen. Doch zuvor die Gewinner:

Hauptpreisträger des internationalen Filmfestivals, das vom 03.-08. April 2018 stattfand, wurde „Männerfreundschaften“ des in Berlin lebenden Filmemachers von Rosa von Praunheim, der den Preis als bester regionaler Langfilm des 11. LICHTER Filmfests erhielt. Die in Frankfurt gezeigte Erstaufführung ist ein Film über Johann Wolfgang von Goethes vermeintlich homoerotische Neigungen und seine besonderen Gefühle zu knabenhaften Lolitas.

Der LICHTER International Feature Award zum Thema „Chaos“ ging an „Blue My Mind“ von Lisa Brühlmann. Der Kurzfilm „Horizont“ von Peter Meister gewann den regionalen Kurzfilmpreis. Margarita Cadenas durfte sich über den LICHTER Publikumspreis für ihren Film „Women of the Venezuelan Chaos“ freuen. Der Sieger des Virtual Reality-Wettbewerbs war „I, Philip“ von Pierre Zandrowicz.


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Thesen zur Optimierung der lokalen Filmförderungen.

Vieles muss sich ändern damit Filmschaffende von ihrer Arbeit leben können und das Kino als gesellschaftlich relevanter Ort erhalten bleibt. Darüber waren sich das Publikum des LICHTER Kongresses und die Filmschaffenden in Deutschland branchen- und institutionsübergreifend einig. Doch wie kann es gelingen, dass der deutsche Film wieder zum Publikum findet, sich die gesellschaftliche Vielfalt auf beiden Seiten der Kamera widerspiegelt?

Initiator des Kongresses war der Filmemacher Edgar Reitz, der schon 2016 als Schirmherr des LICHTER Filmfests die Notwendigkeit eines filmpolitischen Neuanfangs forderte. Er ist Mit-Unterzeichner des Oberhausener Manifests von 1962. Damals legte eine Gruppe von 26 Filmemachern mit dem Oberhausener Manifest den Grundstein für den „Neuen Deutschen Film” und das in der Folge entstandene Filmfördersystem in Deutschland. Heute sagt Reitz: „Es ist Zeit für ein neues Manifest“.


Deutlich mehr als 100 Millionen Menschen gehen jährlich in Deutschland ins Kino. Fast 30 Prozent davon sehen deutsche Filme. Das ist zwar ein Rekord, dabei wird aber übersehen, dass kaum deutsche Filme mehr als 8.000 Zuschauer haben, die große Zahl der Zuschauerinnen und Zuschauer sich also auf einige sehr wenige Titel konzentriert. Bei rund 250 Kinostarts in Deutschland pro Jahr besteht die große Herausforderung darin, einzelne Werke für das Publikum überhaupt sichtbar zu machen. Ein ähnliches Schicksal ereilt anspruchsvolles europäisches Kino in den deutschen Kinos und Fernsehsendern.

Kino muss neue Wege denken, damit es in Zeiten dauernder Verfügbarkeit audiovisueller Inhalte überleben kann, denn bis heute hinken die Kinoeintritte in Deutschland den Nachbarländern hinterher. Ging jede*r Deutsche 2017 statistisch knapp 1,5 Mal ins Kino, taten das die Franzosen 3,1 Mal, die Briten 2,6 Mal und die Spanier 2,1 Mal.

Unter der Moderation des Filmkritikers Rüdiger Suchsland diskutierten internationale Expertinnen und Experten in verschiedenen Themenblöcken die Bedingungen für Filmproduktion und -förderung in ihren Ländern.

Urs Spörri, ein Experte für den aktuellen deutschen Film, der Filmreihen im Kino des Deutschen Filmmuseums Frankfurt/Main kuratiert und Gutachter bei der Deutschen Film- und Medienbewertung ist, die über das Prädikat „besonders wertvoll“ entscheidet, stellte im Panel folgende These zur Diskussion:

"Niemand schaut so viele deutsche Filme wie die Macherinnen und Macher von Festivals und Filmreihen, die sich mit deutschem Kino befassen. Warum sind viele dieser Filme außerhalb des Schutzraums Festival allerdings kaum mehr sichtbar? Welche Wege gehen junge Filmemacherinnen und -macher, um ihre Projekte trotz vieler Widrigkeiten umzusetzen und zu vermitteln?"


Fernsehsender haben durch ihre Rolle als wichtigste Financiers von Filmen eine große Macht bekommen, auch über die Entscheidungen der Filmförderungen. Gleichzeitig haben sie kaum noch gute Sendeplätze für anspruchsvolles Kino. Die Digitalisierung stellt gegenwärtig die alten Spielregeln in Frage. Was wünschen sich Filmschaffende von den Sendern?

Die Digitaltechnik hat für den Dokumentarfilm die Karten neu gemischt: Noch nie konnte man so einfach drehen. Ein guter Dokumentarfilm aber braucht in der Regel nach wie vor Zeit und Personal für Recherche, Dreh und Postproduktion. AuftraggeberInnen und Förderer sind nicht immer bereit, diese Arbeit zu honorieren, während andererseits der Kampf um Sendeplätze und Sichtbarkeit in den Kinos nicht leichter geworden ist.

Am runden Tisch wurde abschließend mit 26 Filmemachern und Fachleuten diskutiert, welche Maßnahmen konkret dazu beitragen können, die Schieflagen im System des deutschen Kinos zu beheben, von der Ausbildung der Filmschaffenden über die Finanzierung und Förderung von Filmen bis hin zu ihrer Sichtbarmachung, in Kinos oder neuen Vertriebswegen?

Martin Hagemann, Produzent und Professor an der Filmuniversität „Konrad Wolf“ Babelsberg, teilte sich die Präsentation zu „Förderung und Finanzen“ mit der Regisseurin Julia von Heinz; Alfred Holighaus, Präsident der Spitzenorganisation der deutschen Filmwirtschaft (Spio), schilderte die Vorstellungen zu „Ausbildung und Nachwuchs“; und Claudia Dillmann, ehemalige Direktorin des Deutschen Filmmuseums und des Deutschen Filminstituts sprach über „Distribution & Kinokultur“.

Martin Hagemann forderte:
"Wir müssen eine Kunstfreiheit wieder etablieren, die an die Extreme geht, die auch die Diversität von Themen, Rollen, Figuren wieder stärker hervorhebt, Filme, die ins Bodenlose ­gehen können, Filme, die auch scheitern können. Filme, die freier gemacht werden können, als das bisher möglich ist."


Der Deutsche Film hat sich in diesem Jahr in Form der Filmförderungsanstalt (FFA) ein Kriterium gegeben, das es bisher noch nicht gab: es sollen nur noch Filme gefördert werden, die wenigstens 250.000 Zuschauer erwarten lassen. Leider gibt es in den letzten 20 Jahren nur 20-25 Filme, die über 250.000 Zuschauer im Jahr kamen. Und diese 20 bis 25 Filme, bedienen 88 Prozent der deutschen Zuschauer. Die vielen anderen sehenswerten Produktionen fallen dagegen durch das Förderungsraster oder werden gar nicht erst gesehen.

Es gibt deutlich mehr Anträge als noch vor 20 Jahren, doch dafür sind Spezialisten nötig, um bestimmte Aspekte beurteilen zu können. Die meisten Entscheidungen, warum Filme gemacht werden, beruhen auf Gremien, was nicht mehr zeitgemäß ist, denn die Professionalisierung gelingt nicht recht im Gremiensystem. Zudem gibt es ein anderes großes Problem mit diesen Gremien: sie sind nicht transparent.

Die Auswahlkriterien werden getrieben von ökonomischen Ansprüchen an das Kino und sie werden bemessen nach dem Box Office. Aber drei Viertel der Filme erfüllen diese Kriterien im Nachhinein gar nicht.

Martin Hagemann schlägt stattdessen vor, dass jede Förderung von zwei Kuratoren (einer Kuratorin und einem Kurator) entschieden werden, und das diese rotieren müssen. Dass sie maximal drei bis vier Jahre über die Filme entscheiden. Sie müssen diese Entscheidung transparent treffen, sie müssen den Filmemachern diese Entscheidung begründen. Sie übernehmen damit das, was nicht mehr übernommen wird im Gremiensystem: Verantwortung, und sie müssen sich für diese Verantwortung eben auch rechtfertigen.

Er schlägt ferner vor, dass die erste Stoffentwicklungsförderung in Zukunft anonymisiert eingereicht und anonymisiert entschieden wird und dass 20 Prozent des Geldes nicht von den Kuratoren vergeben wird, sondern zwischen den Anträgen, die diese Kuratoren abgelehnt haben, verlost wird.

In Deutschland werden nur 4 Prozent der Fördermittel für die gesamte Entwicklung ausgegeben. Das sind in Frankreich 12 Prozent, in Dänemark 25 Prozent. Von den Vortragenden gefordert, wurde eine drastische Erhöhung des Developments, denn besser ein Film scheitert im Development als in der Produktion. Darüber hinaus wird eine massive Erhöhung der Verleihförderung gefordert, welche die Filme promotet, denn die Verleihförderung ist in den letzten zehn Jahren über 10 Prozent gesunken.

Außerdem sollten die Regionaleffekte abgeschafft werden, oder zumindest die Regionalförderer gezwungen werden, sie in einer Börse auszutauschen, so dass Produzenten, die in Nordrhein-Westfalen Geld kriegen, in Berlin drehen können, wenn ein Produzent aus Berlin statt dessen in Nordrhein-Westfalen dreht.

Claudia Dillmann sprach über „Distribution und Kinokultur“ und darüber, dass Kultur-Vermittlung ein zunehmendes Phänomen ist, welches aber in den Theatern, in den Opernhäusern, in den Museen, in der bildenden Kunst, überall besser funktioniert, als im Bereich der Filmkultur.

"Filmbildung sollte alle Altersklassen und alle Gruppen umfassen und das kann nur gelingen, wenn Filmbildung bereits im vorschulischen Alter beginnt. Die 12- bis 14-Jährigen haben diese Offenheit nicht mehr, ihre Sehgewohnheiten sind, wenn ich das mal so ausdrücken darf, versaut, so Claudia Dillmann.

Um aber die Filmkultur in Deutschland wirklich zu fördern und zu verankern, ist es unabdingbar, dass „Film“ endlich als eigenes Fach in der Schule verankert wird, und zwar auch dort ab der 1. Klasse. Wir haben Film im Unterricht schon seit vielen Jahren in den Niederlanden, in Dänemark, natürlich in Frankreich, wo wir immer bewundernd hinschauen."


Außerdem sollten im Internet neue Formen des Lernens und der Learning Tools, oder der Lehrmittel zur Verfügung stehen, um dort genau dann mit Hilfe von Ausschnitten zum Beispiel Filmanalyse, filmsprachliche Ausdrucksmittel kennenzulernen und anzuwenden. Generell ein fundiertes Filmwissen zu ermöglichen, was im Unterricht sonst nicht so einfach ist.

Claudia Dillmann plädierte dafür, dass Kinos zusätzliches Geld dafür erhalten, dass sie sich um attraktive Programme kümmern, dass sie in der Lage sind, Gäste einzuladen, mit den Partnern vor Ort zusammenzuarbeiten, die sich anbieten, mit den Organisationen zusammen ein Kino zu machen, das eben auch schon vormittags beginnen kann und bis nachts geht.

Zudem gibt es vielfältige Formen, wie sich Kinostart und VoD kombinieren lassen und dass Verleiher und Kinobetreiber mehr miteinander Lösungen entwickeln sollten. Für das Publikum ist es vollkommen naheliegend, dass kein Mensch versteht, warum sich alles so lange hinzieht, und Filme längst aus der allgemeinen Diskussion verschwunden sind, wenn diese dann irgendwann auf VoD herauskommen. Und es sollte eine grundsätzliche Möglichkeit geben, Verleihförderung auch einem Film angedeihen zu lassen, der keine Produktionsförderung bekommen hat.

Alfred Holighaus präsentierte die Ergebnisse der Arbeitsgruppe „Ausbildung und Nachwuchs“. Seiner Meinung nach ist ein virulentes Problem der Filmhochschulen, die Fixierung der Studierenden auf einen 90-minütigen Abschlussfilm in Zusammenarbeit mit einem TV-Sender als Visitenkarte für das Entrée in die Branche. Künftig sollte der Abschlussfilm nicht an ein Format gebunden sein, damit steht auch die Möglichkeit, diese Arbeit unabhängig vom Sender stehenzulassen.

Der Pluralismus aus Länderförderern, FFA, BKM, Kuratorium mit zehn anderen Finanzierungsquellen gibt auch besonderen Ansätzen eine Chance, einen Finanzierungspartner zu finden, der sich genau hierfür begeistern lässt. Insgesamt erscheint es klug, eher mehr Projekte zu fördern, statt einzelne Nachwuchsprojekte mit Budgets in Millionen-Höhe auszustatten.

Dennoch sollten die öffentlich-rechtlichen Sender nicht aus der Pflicht entlassen werden, sich eindeutig und kontinuierlich um die Förderung des filmischen Nachwuchses zu kümmern. Vielmehr sollte diese Verpflichtung Gegenstand des Rundfunkstaatsvertrags werden.

Die Regisseurin Julia von Heinz präsentierte in der Arbeitsgruppe „Förderung und Finanzen“ weitere Vorschläge zum Fernsehen, deren Freiräume, die es bis in die 90er- und 00er-Jahre noch gab, immer kleiner werden. Filme, wie sie bis vor 10, 20 Jahren noch vielfach möglich waren, sind inzwischen kaum noch möglich. Das Fernsehen eignet sich nicht mehr als Nadelöhr, was es im Moment ist, um Zugang zu den Fördergeldern zu bekommen. Julia von Heinz fordert deshalb eine Entkopplung von Fernsehen und Förderungen.

"Das Fernsehen sollte nicht verpflichtet sein, Filme zu fördern, sondern die freie Auswahl haben jene Filme für die Fernsehausstrahlung anzukaufen, die beispielsweise zu 70 Prozent durch einen staatlichen Fonds oder durch Förderung, Verleih, Minimum-Garantien durch Weltvertrieb sowie durch privates Geld vorfinanziert sind, um somit durch den Ankauf automatisch die letzten fehlenden 30 Prozent für die Produktion der Filme zusammen zu bekommen".


Link: lichter-filmfest.de
Quellen: Lichter Filmfest | Out-Takes | black box | Crew United | Cinearte

PS: Post Scriptum
Der oben stehende Beitrag wurde von uns auf das Wesentliche zusammengefasst. Weitere ausführliche Informationen erhalten sie auf der Website des Lichter Filmfests sowie in der black box, dem filmpolitischen Informationsdienst von Ellen Wietstock, der am Monatsende mit einem Special über den Kongress erscheint.


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