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Größtes Filmfestival im Osten und neue Filmkritiken aus dem Westen

Größtes Publikumsfestival Ostdeutschlands wurde in Schwerin mit Matti Geschonneks Streifen über den Zerfall der DDR eröffnet.



Das 27. Filmkunstfest Mecklenburg-Vorpommern wurde am Dienstag, den 2. Mai 2017 in Schwerin mit der Literaturverfilmung "In Zeiten des abnehmenden Lichts" von Matti Geschonnek eröffnet. Der Streifen über den Zerfall der DDR nach dem gleichnamigen Roman von Eugen Ruge läuft im Wettbewerbsprogramm. Wolfgang Kohlhaase schrieb das Drehbuch. Bruno Ganz, einer der Hauptdarsteller des Film, war darin für den Deutschen Filmpreis nominiert worden, ging aber leer aus. Seine Premiere erlebte der Film auf den 67. Internationalen Filmfestspielen Berlin in einem Berlinale Special. Hier der Trailer:



Bis Sonntag, den 7. Mai 2017 werden 150 Filme aus 17 Ländern in vier Wettbewerben und acht Themenreihen gezeigt. Darunter sind 20 Ur- und deutsche Erstaufführungen. Gastland ist Dänemark, das mit einer eigenen Filmreihe gewürdigt wird.

Seit 2007 ist das Filmkunstfest Mecklenburg-Vorpommern der Nachfolger vom FilmKunstFest Schwerin und gilt mit rund 15.000 Besuchern im Jahr als das größte Publikumsfestival der Neuen Bundesländer.

Volker Kufahl, der künstlerische Leiter des FILMKUNSTFESTs MV, der vom Filmfestival Braunschweig nach Schwerin gewechselt ist, hatte schon im letzten Jahr das Festival internationaler ausrichten wollen und mit einer neuen Reihe »Focus Baltic Sea« kulturelle Brücken von Mecklenburg-Vorpommern zu seinen Nachbarstaaten und –Regionen geschlagen.

Link: www.filmland-mv.de/praesentation/filmkunstfest-mv

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Auch in Berlin laufen derzeit mehrere Filmfestivals, von denen einige ganz neu in der Stadt sind. Parallel zu filmPolska und direkt im Anschluss an das von uns ebenfalls ausführlich am 26. April 2017 beschriebene brandneue VISIONÄR Filmfestival, startete am Montag, den 1. Mai 2017 das TeaCup Filmfestival mit aktuellen Werken aus Georgien.

Das Festival, das den Untertitel »GEORGIAN FILM TODAY« trägt, wurde vom Kulturreferat München unterstützt, wo es im April erstmals gestartet war. In Berlin fehlen leider Sponsoren, sodass zwar ausreichend Flyer aus München im Kino Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz ausliegen, ansonsten aber keine Werbung in der Hauptstadt durchgeführt werden konnte.

Unter diesem Manko hatte bereits das VISIONÄR Filmfestival zu leiden. Auch dort lief schon mit "House of Others" ebenfalls ein beachtenswerter georgischer Film. Fast in allen georgischen Werken ist ein großer Freiheitsdrang zu verspüren, denn das Land im Osten des Schwarzen Meeres, eingezwängt zwischen Türkei und Russland, hat immer noch ein postsowjetisches Trauma zu verarbeiten. Vieles ist heruntergekommen, der Krieg hat Spuren hinterlassen, zahlreiche Häuser sind immer noch zerstört.

In dem Dokumentarfilm "When the Earth seems to be light", portraitieren die Filmemacher Salome Machaidze und Tamuna Karumidze jugendliche Ausseiger aus der Gesellschaft, die sich nicht um gesellschaftliche Konventionen und politische Ansichten scheren, sondern nur den Traum nach Freiheit ausleben wollen. Hier der Trailer:



Synopsis:
Mit relativ einfachen Skateboards versuchen die Jugendlichen das kalifornische Leben im Westen der USA auch in ihrer Heimat am Schwarzen Meer so gut es geht zu nachzuempfinden. Viel Sonne und ein paar Palmen lassen tatsächlich manchmal ein wenig Glückseligkeit in dem Film aufkommen. Gedämpft wird der Optimismus nur durch die visuell elegant gelöste Schnitttechnik der Filmemacher, die vornehmlich gescheiterte Skateboard-Stunts sowie eine entfesselte Kamera in dem Film verwenden und diese bewegten Aufnahmen zudem mit Bildern von Demonstrationen und Straßenschlachten unterschneiden.
Der Film wird am 5. Mai 2017 noch einmal um 21:45 Uhr wiederholt.

Nach dem nicht mehr wiederholten Eröffnungsfilm und zwei weiteren Werken werden an den letzten beiden Tagen des Festivals vom 4.-5. Mai 2017 insgesamt noch drei weitere aktuelle georgische Filme der letzten drei Jahre im Kino Babylon Berlin zu sehen sein.

Link: www.teacup-filmfestival.com

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Zum Inbegriff westlicher Dekadenz zählte lange Zeit der Punk Rock'n Roller »Iggy Pop«. Jetzt hat der anerkannte Filmemacher Jim Jarmusch ein interessantes Biopic über den Musiker gedreht.

"GIMME DANGER" Dokumentarfilm von Jim Jarmusch:
Seit 27. April 2017 im Kino. Hier der Trailer:



Unsere Filmkritik:
Genau zu seinem siebzigsten Geburtstag startet die Dokumentation „Gimme Danger“. Als „größte Rock`n Roll-Band aller Zeiten“ bezeichnet Jim Jarmusch die wilde Musikertruppe und deren Lead-Sänger Jim Osterberg, besser bekannt als Iggy Pop. Jarmusch beschreibt dessen wilde Zeit mit »The Stooges« von 1967 bis 1994. Pop steht für kompromisslose Power und Wahnsinn, ein extrovertierter Junkie, auf der Bühne halbnackt, sein Markenzeichen ein Hundehalsband welches er trug und Erfinder des Crowdsurfing, bei dem er sich so einige schmerzhafte Blessuren zugezogen hat. The Stooges, eine Band, die sich nicht kaufen ließ. Ob Erfolg oder Misserfolg, beharrlich zogen die legendären Punkrocker ihre energiegeladene Art Musik zu machen durch.

Jarmusch: „Keine andere Band in der Geschichte des Rock`n Roll kommt an die Stooges heran - und an ihre Kombination aus heftigen, urgewaltigem Hämmern, zugedröhntem Psychedelic und Blues-a-Billy-Grind mit lakonischen, von Existenzangst geprägten Texten und einem Frontmann, der wie ein zähnefletschender Leopard auf und ab stolziert und dabei irgendwie Nijinsky, Bruce Lee, Harpo Marx und Arthur Rimbaud in sich vereint. Die Stooges sind einzigartig, während sie ihrerseits zum Vorbild zahlloser Gruppen wurden.

Ich möchte „Gimme Danger“ eher als „Essay“ denn als Dokumentation verstanden wissen. Der Film ist eine Liebeserklärung an die womöglich größte Rock-Band aller Zeiten. Wir präsentieren ihren Werdegang, ihre Einflüsse und ihre Wirkung. Dabei kommen nie zuvor gezeigte Filmaufnahmen und Fotos zum Einsatz. Wie die Stooges und ihre Musik ist auch „Gimme Danger“ ein bisschen wild, chaotisch, emotional, witzig, brachial und auf denkbar ungehobelte weise niveauvoll.
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Ja, Jim, dem ist nichts hinzuzufügen. Leider kommt die Berliner Zeit, in der Iggy mit David Bowie Berlin unsicher gemacht hat zu kurz. Noch heute denke ich mit Wehmut an die Nächte im Berliner „Dschungel“, einer nicht mehr existenten, damals von angesagten Promis besuchten Bar in der Nürnberger Straße. Und wer meint, das klingt alles übertrieben, der muss nach 108 Minuten feststellen: Jarmusch, du hast recht.

Ulrike Schirm


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Ebenfalls am 27. April startete mit "DIE SCHLÖSSER AUS SAND" ein eher still gelagerter Arthouse Film über ein geschiedenes Ehepaar, das sich nur noch einmal ein paar Tage trifft, um ihr für wenige Tage gemeinsam bewohntes Landhaus zu verkaufen. Nach etlichem französischen Klamauk (sie auch weiter unten) ist dieser Film endlich ein Lichtblick in den Kinos.

"DIE SCHLÖSSER AUS SAND" von Olivier Yahan:
Seit 27. April 2017 im Kino. Hier der Trailer:



Unsere Filmkritik:
Wer hat nicht schon mal eine Liebesbeziehung aus Übermut oder sonstiger Querelen beendet und es später zutiefst bereut. Ich kenne einige Freunde und Freundinnen, mich eingeschlossen, die das Malheur erkannt haben, doch vorbei ist vorbei. Elénore (Emma de Caunes) und Samuel (Yannick Renier) waren fünf Jahre lang ein Paar. Dann hat sie ihn mit einem Rocksänger betrogen und beide haben sich getrennt. Danach ist Eléonores Vater gestorben, an dem sie sehr hing, nun sucht sie Hilfe und Unterstützung in ihrer Trauer sowie bei dem Verkauf des in der Bretagne gelegenen Hauses, welches sie geerbt hat. Der gutmütige Samuel erklärt sich - obwohl noch immer tief verletzt - ein letztes Mal dazu bereit, sie zu begleiten und ihr zur Seite zu stehen. So ganz wohl fühlt er sich dabei nicht, denn er hat inzwischen eine neue Freundin, spürt aber, dass Eléonore ihn noch liebt. Eine Maklerin ist beauftragt, eventuelle Käufer, durch das Haus zu führen. Während sie ihrer Aufgabe nachgeht, wird in Rückblenden die Geschichte Ihrer Trennung aus dem Off erzählt. Je mehr man erfährt, desto klarer wird es: Dieses Paar hätte sich nie trennen sollen.

Olivier Yahan (Buch und Regie), ist es gelungen einen ungewöhnlichen, tragikomischen Film auf die Leinwand zu bringen. Seine Figuren, gefangen in ihrer Verletzlichkeit und liebenswerter Ungeschicklichkeit, lassen eine anrührende Nähe zu den beiden entstehen, die von starker Glaubwürdigkeit geprägt ist. Durchaus unterhaltsam, die Auftritte der skurrilen und toughen Maklerin (Jeanne Rosa), die den beiden auf ganz subtile Weise, dazu verhilft, mehr über ihre Beziehung zu erfahren, als es ihnen lieb ist. Ein Liebesfilm, der von zwei bildhübschen Protagonisten getragen wird und nicht einen Moment in dümmliche Klischees abrutscht. Wie sagt Eléonore so nebenbei? „Man sollte nur Jemanden heiraten, mit dem man gut schlafen kann“.

Ulrike Schirm


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"Victoria - Männer & andere Missgeschicke" von Justine Triet.
Mit Virginie Efira, Vincent Lacoste, Melvil Poupaud u.a. (Frankreich, 96'). Ab 4. Mai 2017 im Kino hier der Trailer:



Unsere Filmkritik:
Victoria Spick ist eine unabhängige, berufstätige, allein erziehende Mutter von zwei kleinen Kindern. Virginie Efira (“Birnenkuchen mit Lavendel”) packt diese Figur, verzaubert ihr Publikum mit ihrem Charme und erleidet dann doch Schiffbruch. Efira ist eindeutig der einzige Grund, sich “Victoria - Männer & andere Missgeschicke”, anzusehen. Filmtitel und Figuren, die “Victoria” heißen, gibt es bereits zu Hauf, doch der deutsche Titel macht hier alles richtig. Es geht um Männer und es geht um Missgeschicke. Jede Menge davon. Übrigens läuft Justine Triets zweiter Langspielfilm, nach “Der Präsident und meine Kinder”, im englisch sprachigem Raum unter dem Titel: “In Bed with Victoria”, was die Eigenschaft der Hauptfigur bloßstellt und damit für einen griffigen Wiedererkennungswert viel zu sexistisch wirkt. Aber der Film hat noch ganz andere Probleme.

Worum geht es? Victoria geht in ihrer Arbeit als Anwältin total auf, sie behauptet sogar, dass ihr Beruf ihr Lust und Befriedigung verschaffe. In dem heillosen Chaos, in dem Victoria selbstverschuldet lebt und arbeitet, kommt sie trotz allem, eigentlich ziemlich sympathisch rüber. Das ist schon eine Leistung. Aber der Film tut ihr dennoch unrecht. So eine erfolgreiche Frau mit kleinen, noch nicht schulpflichtigen Kinder, aber ohne befriedigendes Sexleben muss doch irgendwo Defizite haben. Hat sie! Gewaltige. Darum beginnt die erste Szene mit ihr auf einer Couch beim Psychiater. Sie erwähnt sogar in der Sitzung, dass sie darüber hinaus noch eine Wahrsagerin aufsucht, regelmäßig, wie wir erfahren. Offensichtlich ist sie stark verunsichert und zudem unfähig, ihre chaotische, unordentliche Wohnung in Schuss zu halten, in der zwei kleine Kinder halb nackt herumlümmeln. Diese sind nur deshalb nicht als völlig verwahrlost anzusehen, weil sie einen privaten Babysitter haben, der allerdings genervt kündigt. Gut so, denn das Drehbuch braucht an ihrer Seite unbedingt eine andere Figur, die ihr Leben managen wird, weil sie das ja offensichtlich nicht alleine kann.

Bald darauf sehen wir Victoria auf einer Hochzeit von Freunden wieder. Victoria dagegen ist solo. Das war wohl nichts mit der Ehe. Ach was, sie hat genug Sex ohne weitere Verpflichtungen. Jeden Tag steht ein anderer Mann auf der Matte für zwanglosen, möglichst unkomplizierten Sex. Natürlich ist das auch nicht das wahre und manchmal schubst sie einen Kandidaten auch einfach wieder zur Tür hinaus, denn damit hat sie kein Problem. Doch was macht das Drehbuch daraus? Sie wird sich wieder verlieben und zwar in jemanden, der gar nicht in ihr Beuteschema passt, einfach weil der "Neue" lieb und harmlos und stets zur Stelle ist. Doch Sam, sagen wir mal ruhig seinen Namen, Vincent Lacoste, der in “Lolo” so richtig fies sein durfte, wird sie sachte und subtil erden, obwohl sie ihn als individuelle Persönlichkeit zuerst kaum wahrnimmt.

Inzwischen muss sich Victorias Ex-Mann, David, gespielt von Laurent Poitrenaux, jetzt nach eigenen Aussagen sein Selbstansehen und seine Männlichkeit durch kreative Bloggerei erarbeiten. Er schreibt über die angeblich so angesehene und erfolgreiche Anwältin und ihre Männer und ihre Fälle, ziemlich unkaschiert, was ihr natürlich Kopf und Kragen, Job und Ruf kostet. Durch einen Verfahrensfehler verliert sie sogar ihre Zulassung. Ein kleiner Seitenhieb: Man erinnere sich an Maxim Billers autobiographischen Roman, der schlussendlich verboten wurde. Eine Diskussion findet dagegen in diesem Film nicht statt, schließlich handelt es sich um eine Komödie, auch wenn einem nicht zum Lachen zumute ist.

Das Drehbuch fährt allerlei absurde Szenen ein, die kurzzeitig erheitern sollen, den Hauptfall der Anwältin, von dem Victoria voll in Anspruch genommen wird, aber ins Lächerliche ziehen. Den nächsten Fall, bei dem es nicht um eine Bagatelle geht, sondern um vermeintliche Messerstecherei, will Victoria wegen Befangenheit eigentlich nicht vertreten. Eine kluge Entscheidung, die sie jedoch revidiert und damit fangen ihre Probleme von vorne an.

“Victoria - Männer & andere Missgeschicke” verheddert sich in allem. Es gibt einen sympathischen Cast, dem man gerne zuschauen würde, wenn man denn ihre Handlungen im Einzelnen verstehen könnte. Alles wird hier nicht verraten. In Cannes eröffnete “Victoria” die »Woche der Kritik« und wurde erstaunlicherweise überwiegend gut aufgenommen, was man an vielen Stellen des Films kaum nachvollziehen kann. Sicherlich ist es erfrischend, mal eine komplexe weibliche Hauptfigur auf der Leinwand zu erleben, die sich nicht ganz entschlüsseln lässt, doch das reicht nicht für einen lohnenswerten Film.

Elisabeth Nagy



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