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Verlängertes Kinowochenende differenziert betrachtet

Blitzstart für "Fast and Furious 8" ansonsten große Enttäuschungen bei den Filmstarts zu Ostern.



Letzten Montag, den 17. April 2017, beklagten wir die schlechten Kinoeinspielergebnisse im ersten Quartal des neuen Jahres. Das nasskalte Osterwochenende 2017 galt deshalb als Hoffnungsträger für die Filmbranche, die mit insgesamt 20 neuen Filmstarts alles auf eine Karte setzte. Davon waren 11 Filme landesweit mit mehr als 70 Kopien gestartet, sodass theoretisch über 8000 Zuschauer am Tag pro Film hätten erreicht werden können.

Dem war aber nicht so. Nur "Fast and Furious 8" legte in Deutschland einen Blitzstart hin: Laut Media Control knackte der Actionfilm am ersten Wochenende die Marke von mehr als einer Million Zuschauer. Mit einem Einspiel von 532 Mio. Dollar hat der Universal-Film sogar den weltweit besten Start aller Zeiten hingelegt; bisheriger Rekordhalter war "Star Wars: Das Erwachen der Macht" (529 Mio. Dollar). Hinter dem neuen Spitzenreiter folgte mit deutlichem Abstand auf Platz zwei der deutschen Kinocharts der Animationsfilm "The Baby Boss" (230.000 Zuschauer), während der von uns erwähnte und in einer Filmkritik ausführlich besprochene Disney-Film "Die Schöne und das Biest" mit 213.000 Besuchern vom Platz eins auf drei abrutschte. Dennoch konnte Disney mit der Realverfilmung des Fantasy-Klassikers die weltweite Einspielmarke von einer Mrd. Dollar durchbrechen und rangiert aktuell auf Platz 22 der ewigen Bestenliste.

Zahlreiche andere Hoffnungsträger, die ebenfalls flächendeckend in Deutschland gestartet waren, erreichten aber nicht einmal 1000 Zuschauer. Irgendetwas erscheint also in der Bewerbung der Filme schlecht zu laufen. Manche von den jüngst gestarteten Filmen sind sogar schon wieder aus den Kinos verschwunden, was im Falle von künstlerisch wertvollen Arthouse-Werken äußerst bedauerlich ist. Wir wollen uns davon dennoch nicht beeindrucken lassen und werden weiter Empfehlungen über Filme abgeben, von denen wir der Meinung sind, dass sie - wo und wie auch immer - gesehen werden sollten.

"FAST & FURIOUS 8" von F. Gary Gray: Seit 12. April 2017 im Kino.
Mit Vin Diesel, Dwayne Johnson, Jason Statham u.a.; Hier der Trailer:



Zu den empfehlenswerten Filmen gehört FAST & FURIOUS 8 eigentlich nicht, obwohl der Film alles hat, was ein Action-Knaller braucht: Waghalsige Autorennen, exotische Schauplätze, Muskelspiele und amüsante Dialoge. Doch wenn solche Filme nur wieder junge Leute dazu animieren, mit überhöhter Geschwindigkeit sogar zu Ostern auf dem Berliner Ku'damm zu rasen und Unfälle mit Schwerstverletzten auszulösen, dann dürften solche Filme kein gutes Vorbild sein, die wir empfehlen sollten. Da die Tricks jedoch eine technische Meisterleistung sind, die besonders auf der mit Laser-Projektion ausgestatteten IMAX-Großbildleinwand im Berliner Sony-Center zur Geltung kommen, zeigen wir den Trailer, wenn auch ohne weiteren Kommentar.

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Ganz anders ist dagegen die nachfolgende Filmbesprechung gelagert. Ein Musterbeispiel dafür, wie eine intelligente Strategie vor Gericht zum Erfolg führen kann. Vielleicht der wichtigste und dringlichste Film des Jahres.

"VERLEUGNUNG" von Mick Jackson: Seit 13.04.2017 im Kino. Hier der Trailer:



Filmkritik:
Der britische Jounaliast David Irving (Timothy Spall), ein überzeugter Holocaust-Leugner behauptet vehement, dass es seitens des Führers niemals einen Befehl zur Judenvernichtung gab und dass der Holocaust nicht stattgefunden hat. Er erdreistet sich nicht, im Fernsehen Witze über Auschwitz zu machen. Selbstsicher taucht er in der Emory University in Atlanta auf und bietet den Studenten eine Geldprämie an, wenn sie Beweise für den Völkermord an europäischen Juden belegen können. Die US-Historikerin Deborah E. Lipstadt (Rachel Weisz), Professorin für Jüdische Zeitgeschichte, bezeichnet ihn in ihrem jüngsten Werk als Fürsprecher Hitlers, Lügner und Geschichtsfälscher. Das lässt Irving nicht auf sich sitzen und reicht am High Court of Justice in London eine Verleugnungsklage gegen sie und ihren englischen Verlag ein. Nach britischem Recht, müssen Lipstadts Anwälte, Richard Rampton (Tom Wilkinson), Anthony Julius (Andrew Scott) Lipstadts Unschuld beweisen, mit anderen Worten, den Holocaust belegen. Um eine Gefährdung des Prozesses zu vermeiden, verzichten die Staranwälte auf Zeugenaussagen von Überlebenden. Es besteht die Gefahr, dass sie sich nicht genau an wichtige Details erinnern, wenn sie von Irving vor Gericht in die Zange genommen werden. Irving ist derartig von sich überzeugt, dass er sich selbst verteidigt. Eine seiner grotesken Behauptungen ist, dass es ohne Lüftungsschächte auf den Dächern der Krematorien, eine Vergasung niemals stattfinden konnte. „No holes, no Holocaust“.

Eine Begehung des Lagers Auschwitz wird von Rampton angeordnet. Übrigens, eine der wenigen Szenen, die außerhalb des Gerichtssaales stattfinden. Äußerst spannend verlaufen die unterschiedlichen Ansichten und Auslegungen über die wirksamste Verhandlungsstrategie.

Timothy Spall (Mr. Turner- Meister des Lichts) gibt dem starrsinnigen Irving eine fast kauzige Attidüde und vermeidet es, die Figur zu verteufeln. Regisseur Mick Jackson zeichnet in "VERLEUGNUNG" einen Prozess aus den Neunzigern präzise nach. Im Zeitalter der Fake-News ein durchaus wichtiger Beitrag. Das Ringen um Fakten wird klug und geistreich übermittelt.

Ulrike Schirm


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"GOLD – Gier hat eine neue Farbe" von Stephen Gaghan: Seit 13.04.2017 im Kino.
Mit Matthew McConaughey, Bryce Dallas Howard, Édgar Ramí­rez. Hier der Trailer:



Filmkritik:
Für die Rolle des Ron Woodroof in „Dallas Buyers Club“ hungerte sich Matthew McConaughey einige Pfunde runter. Belohnt wurde er 2014 mit dem Oscar als Bester Hauptdarsteller. 2017, für seine Rolle in „Gold“ legte er wieder einige Kilo zu.

Er spielt den Trinker Kenny Wells, fies anzusehen mit Wampe und Halbglatze, der den Bergbaubetrieb, ein Erbe seines Vaters, total heruntergewirtschaftet hat. Pleite und verzeifelt, schüttet er den Alkohol erst recht in sich hinein. Im Vollrausch hat er eine Vision. Er träumt von einer Goldader im indonesischen Dschungel. Als er wieder nüchtern ist, erinnert er sich an die Zeit vor sechs Jahren, als schon mal dort war und den windigen Geologen Mike Acosta (Edgar Ramirez) traf, Erfinder der Ring-of-Fire Theorie, mit der man angeblich verborgene Bodenschätze aufspüren kann. Zutiefst davon überzeugt, dass sein Traum ein rettender Fingerzeig war, versetzt er den Schmuck seiner Freundin und macht sich auf den Weg nach Jarkata, trifft Acosta und überredet ihn, gemeinsam auf die Suche nach dem verheissungsvollen Gold zu gehen. Beide schippern los, denn wenn irgendwo das heissersehnte Gold zu finden ist, dann tief im Dschungel von Borneo, am Ende des Flusses. Doch die Bohrungen kosten Geld. Acosta soll sich um die Arbeiter kümmern, er, Kenny versucht die notwendige Knete aufzutreiben. Statt der benötigten 7 Millionen Dollar, treibt er gerade mal einige Hunderttausend auf. Zurück im Camp, finden die Bohrungen trotzdem statt. Doch alles läuft schief. Es schüttet wie aus Kannen, die Arbeiter verschwinden, das Geld reicht nicht und Kenny kämpft gegen Malaria. Allen Widrigkeiten zum Trotz, stossen sie doch noch auf die ersehnte Mine. Es sieht so aus, als erfülle sich ihr amerikanischer Traum. Wo Erfolg zu wittern ist, scharen die Neider schon mit den Hufen. Die lauern nicht etwa im Dschungel, sondern, mit allen Wassern gewaschen in der New Yorker Wall Street. Für kurze Zeit kann sich Kenny, samt Freundin Kay (Bryce Dallas) im Luxus sonnen. Kay ahnt jedoch, was auf ihn zukommt. Ihre Warnungen nimmt er nicht ernst. Doch Kay macht sich auf und davon.

Die Aasgeier lauern und schlagen zu. Zerfressen von Gier nach Reichtum und Luxus, schlägt er die einzig mögliche Rettung aus. Mark Hancock (Bruce Greenwood), ein versierter Bergbaukenner, schlägt ihm einen Deal vor. Hancock, der es nicht gewohnt ist, auf Ablehnung zu stossen, lässt die Bombe platzen. Kenny steht wieder vor dem Nichts. Noch einmal glimmt Hoffnung auf. Doch dann”¦ und damit hat er nun wirklich nicht gerechnet, ändert sich plötzlich alles.

'GOLD' ist die Geschichte eines Träumers, und es ist eine lehrreiche Geschichte. Wie jedes klassische Abenteuer verweist sie auf die wahre Natur des Menschen: Egal ob jemand in einer Spelunke in Reno oder in den Türmen der Wallstreet sitzt, sobald es um Geld geht, werden die primitivsten Instinkte wach“. (Pressetext)

Der erste Teil von "GOLD" fasziniert mit exotischen Bildern und dem intensiven Spiel von McConaughey. Der zweite Teil ist ein Gemisch aus Scorseses „The Wolf of Wallstreet“, „The Big Short“ und eine moderne Version aus „Der Schatz der Sierra Madre“. Etwas wirr geraten. Auf der grotesken Jagd nach Reichtum, zeigt McConaughey einen bewundernswerten Mut zur Hässlichkeit. Ein bisschen zu dick aufgetragen. Ein Antiheld, der alles andere als liebenswert ist.

Ulrike Schirm


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"EIN DORF SIEHT SCHWARZ" (Bienvenue í  Marly-Gomont) von Julien Rambaldi.
Frankreich 2016, 96 Minuten; mit Marc Zinga, Aïssa Maïga, Bayron Lebli, u.a.:
Seit 20. April 2017 im Kino. Hier der Trailer:



Filmkritik:
Willkommen in Marly-Gomont”, so lautet der französische Originaltitel von Julien Rambaldis Komödie. Seyolo Zantoko (Marc Zinga) hat mit harter Arbeit sein Medizinstudium abgeschlossen und sucht nun Arbeit. Er ist nicht anspruchsvoll und weiß, dass in der Provinz Ärzte gesucht werden. Der Bürgermeister von Marly-Gomont, ein Stück nördlich von Paris, dämpft seine Erwartungen. Marly-Gomont sei nicht Frankreich, sondern Provinz. Dabei ist nichts so französisch wie die französische Provinz. Zantoko bekommt den Job, den bereits viele vor ihm ausgeschlagen haben. Seine Familie, daheim in Kinshasa, ist unbeeindruckt. Zumal sie die Familie, ihre Freunde, kurzum ihr Lebenszentrum zurücklassen müssen. Zantoko holt sie trotzdem nach Frankreich, sie würden schon neue Freunde finden.

Die Idee zu dieser Komödie stammt von Kamini Zantoko, Seyolos Sohn, der hier in der Geschichte zusammen mit seiner etwas älteren Schweser Sivi in eine Dorfschule kam, in der sie nicht nur Zugezogene, sondern die ersten und einzigen Kinder dunkler Hautfarbe sind. Rambaldis Film wurde von der Lebensgeschichte seines Vaters inspiriert, Kamini selbst wurde allerdings in Frankreich geboren, lange nachdem sich seine Eltern in Marly-Gomont niedergelassen hatten. Es kommt aber nicht auf Geschichtstreue an, vielmehr soll eine Idee transportiert werden, noch dazu im Gewand der Unterhaltung, die von Integration und Verständigung handelt.

Als Seyolo Zantoko in dem kleinen französischen Dorf mit Ehefrau Anne (Aissa Maiga) und den zwei Kindern (Médina Diarra und Bayron Lebli) eintrifft ist es kalt und verregnet. Das Haus, das man ihnen zur Verfügung stellt, ist eine Bruchbude, der Dienstwagen eine Schrottkiste. Die Ehefrau rümpft die Nase, telefoniert vor lauter Heimweh ständig nach Hause (oh weh, die Telefonrechnung!), die Kinder arrangieren sich noch am ehesten, aber die Figurenzeichnung lässt dementsprechend zu wünschen übrig. Eine gute Komödie entwickelt sich aus den Feinheiten in der Charakterisierung. Hier sind die Figuren eins zu eins auf eine Rolle festgeschrieben und bedienen die Handlung auf Stichwort.

Bleiben wir mal bei den Nebenfiguren: Seyolo Zantoko liebt seine Familie und behandelt sie trotzdem eher als Anhängsel. Er strebt eine Existenz in Frankreich an, um seinen Kindern eine bessere Zukunft bieten zu können, aber der Hinweis, warum sie diese nicht in Zaire, also im Kongo haben können, den versteckt die Handlung in einem Halbsatz. So ist der Frust der Ehefrau, die den Haushalt in der Provinz für sie gefühlt weit unter ihrem Niveau führen muss, fast verständlich. Die Sicht der Kinder bleibt dabei fast außen vor. Nur die Fußballvernarrtheit der Tochter wird hervorgehoben und das aus dramaturgischen Gründen. Dabei hält Papa Zantoko, der an harte Arbeit glaubt, nichts von den Fußballambitionen seiner Tochter. Fußball sei etwas für Dumme.

Man ahnt es schon, die französischen Dorfbewohner halten nichts von einem Fremden, ganz unabhängig von der Hautfarbe. Besonders allerdings bei dieser Hautfarbe. Das ganze, fast das ganze Dorf sieht “schwarz”. Wie man den passablen Originaltitel, der nicht von ungefähr auf den Wiedererkennungswert der Dany Boon-Komödien setzt, immerhin war dessen Figur in “Bienvenue chez les Ch’tis”, auch ein Zugezogener in der Fremde. Boons Regiearbeit wurde noch wortgetreu in Deutschland in “Willkommen bei den Sch’tis” übertragen. Die deutschen Firmen springen gerne auf den Zug mit Gutbewährtem auf. Da zieht man auch mal mit einem “ziemlich” im Titel einen Bezug zu anderen französischen Erfolgsfilmen. Genau das passiert hier aber nicht. Jetzt mag man einwenden, dass der Song “Marly-Gomont” (von Kamini Zantoko) in Deutschland unbekannt ist, während in Frankreich viele gleich wissen, wo die Komödie zu verorten ist, aber die Abweichung von der Praxis lässt trotzdem tief blicken. Unabhängig von dem Filminhalt setzt man hier auf die Differenz der Hautfarben, darum ist es fahrlässig, hier für einen Schenkelklopfer, für einen billigen Witz, den guten Geschmack, wenn man ihn denn hat, auszusetzen.

Zugegeben der Film ist auch so nicht vom Rassismus gefeit. Worum geht es? Die Bauern essen nichts, was sie nicht kennen. So einfach. Und wenn sie noch nie einen Arzt aus Afrika (so der internationale Titel) gesehen haben, dann sind sie da erst einmal ablehnend. Sie fahren lieber ins Nachbardorf zum Arzt und als nach ausgiebigen Bemühungen sich doch mal zwei Brüder in Zantokos Praxis wagen, wollen sie nicht zahlen. Sie lachen ihn aus, sie würden dann doch lieber zu einem richtigen Arzt gehen. Zantoko muss sich also noch 'doller' anstrengen, um von der Dorfgemeinschaft akzeptiert zu werden. Da ist es dann auch nicht gerade hilfreich, wenn die Verwandtschaft und die Freunde aus Brüssel zu Besuch mit afrikanischer Lebensfreude und schillernden Kleidern in das Dorf einfällt. Autsch. Gerade dieses devote sich dem Dorflern anbiedern ist dann hier auch besonders auffällig. Hier muss sich Zantoko bemühen, damit seine Umgebung ihm gegenüber weniger rassistisch agiert. Das ist nicht unbedingt komisch. Die Lernkurve bei besagten Dorflern, ihm zu vertrauen steigt dabei nur sehr sehr langsam.

Damit nun Schwung in die Handlung kommt, wird ein zweiter Handlungsstrang eingebaut. Der Bürgermeister hat einen Kontrahenten, der praktisch alles tut, um bei der nächsten Wahl zu gewinnen. Das dorfpolitische, gesellschaftliche Hickhack ist jedoch so sporadisch und einfältig gesät, als Einmannfehde, bei der der amtierende Bürgermeister gar nicht kämpft und die Bauern absolut desinteressiert sind, dass der Konflikt einfach nicht von der Stelle kommt, stets Behauptung bleibt, bis der Herausforderer eine ganz fiese Nummer abzieht und damit den letzten Akt einläutet.

Für Zantokos Familie steht die Existenz auf dem Spiel. Für Seyolo gar sein Selbstbewusstsein, das immer und immer wieder angekratzt wird. Die Annäherung, deren Relevanz Mitte der 70er Jahre wohl eine ganz andere gewesen sein muss, hätte dabei durchaus Potential. Die Dorfgemeinschaft schloss ihren Arzt sehr wohl in seine Arme, und das zeigt eine rührende Szene. Heimat, Herkunft und Zugehörigkeit sind die Themen von “Bienvenue í  Marly-Gomont”, einem Feel-Good-Movie immerhin ohne Ausreißer ins faxenhafte. Aus Kamini Zantoko, der zuerst auch eine medizinische Laufbahn angestrebt hatte, wurde durch einen Rap über seine Provinz-Heimat nicht nur in besagtem Marly-Gomont, sondern Landesweit ein Star.

Elisabeth Nagy


Epilog (Pressetext)
„Die Geschichte beruht auf wahren Ereignissen aus den 1970er Jahren. Nachdem Seyolo Zantako wieder seinen Beruf ausüben konnte, kämpften die Bürger von Marly-Gomont mit einer Petition für seine französische Staatsbürgerschaft. Der Mann aus Kinshasa blieb bis zu einem tödlichen Autounfall am 30. August 2009 ein geachteter und beliebter Arzt und diente seinen Patienten mit ganzer Kraft. Ein Jahr vor seinem Tod wurde er mit der Verdienstmedaille der Picardie ausgezeichnet. Zu seiner Beerdigung versammelte sich das ganze Dorf, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Einem, der zu ihnen gehörte, Heimat und Freunde in der Fremde fand“.

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Während obiger Film, der auf einer wahren Begebenheit ruht, ganz annehmbar ist, auch wenn der Titel zunächst Negatives suggeriert, ist der zweite, nachfolgende französische Film richtig misslungen.

"ALLES UNTER KONTROLLE (Débarquement immédiat!)
von Philippe de Chauveron.
, Frankreich 2016, 87 Minuten; mit Mit Ary Abittan, Medi Sadoun, Cyril Lecomte u.a.; seit 20. April 2017 im Kino. Hier der Trailer:



Filmkritik:
Die Schlange vor dem Ausländeramt ist gewaltig. Was spricht dagegen, eine niedrige Wartenummer zu verkaufen? Akim feilscht gerade mit einem potentiellen Kunden, als die Polizei vorfährt und ihn einkassiert. Er hätte einer Oma die Handtasche klauen wollen. Das Delikt wirkt banal, aber wir sollen ihn nicht als Kriminellen sondern als harmlosen Halodri wahrnehmen, den man gern haben kann.

Fragen tun sich auf: Würde man sich als ein Ohne-Papiere-Flüchtling ausgerechnet vor den Augen der Behörden exponieren? Wenn er die Identität eines anderen Flüchtlings angenommen hat, warum dann von einem, der ganz offensichtlich auch keinen verlässlichen Status hat? Und wie genau findet die Polizei ganz konkret ihn an einer ganz konkreten Stelle? So viele Gedanken soll man sich gar nicht machen, immerhin ist das hier eine Komödie. Eben, es ist eine Komödie, die auf Pointen setzt und nicht auf Handlung und Figurenentwicklung.

Damit das Publikum weiß, womit sich Grenzpolizisten so durchschlagen müssen, werden in der nächsten Szene zwei Grenzbeamten in Zivil gezeigt, die aufgegriffene Illegale zurückführen. Da heult ihnen ein Mann die Ohren voll, er wäre gar nicht der, für den sie ihn halten. Verwechslung und so weiter. Bis ausgerechnet eine Reinigungskraft mit Migrationsanteil ihn erkennt und identifiziert. Damit ist schon mal klar. Diese Flüchtlinge sind unzuverlässig, illoyal, oder einfach trottelig oder unsensibel. Und sie lügen, so was von.

Was tut es da zur Sache, dass jeder hinterfotzige, freche Illegale zwar verschlagen, aber doch immerhin und gerade deswegen mit Intelligenz ausgestattet ist. Während die beiden Beamten als Trottel gezeichnet werden. Mit der Schattierung, dass der französisch französische Beamte Guy (Cyril Lecomte) debil und dauergeil daher kommt und der spanisch stämmige Franzose José (Ary Abittain) nur treudoof seinen Kollegen gewähren lässt.

José und Guy sind jedoch nicht das Traumpaar der Klamotte. José, der endlich seine Versetzung und damit Beförderung bekommen soll, muss noch eine letzte Tour nach Kabul machen. Es gilt, Karzaoui (Medi Sadoun) in seine vermeintliche afghanische Heimat zu bringen. Er ist das clevere Kerlchen aus der erste Szene und er schwört nun ebenfalls, dass es da eine Verwechslung gäbe, dass er keineswegs ne Oma ausrauben würde, er sei aus Algerien und wolle folglich dorthin zurück.

Guy is so blöd, dass sich die Story seiner nur bedient, um den kruden Plot noch weiter ins Abgeschmackte zu lenken. José und Akim, so heißt Karzaoui in Wirklichkeit, sind dagegen das ungleiche Paar, dass sich nicht nur annähert, und, das ist hier der Aufhänger, feststellt, dass sie Prinz und Bettelknabe, eigentlich auf austauschbaren Posten im Drehbuch stehen. Derart wählte das Filmteam um Regisseur Philippe de Chauveron auch die Darsteller aus. Sind wir denn nicht alle irgendwie gleich und was genau bringt das jetzt? Ach ja, Situationskomik, notfalls im Ekelbereich, Zoten und Geschmacklosigkeiten. Wer's halt mag.

Philippe de Chauveron hatte sich mit “Monsieur Claude und seine Töchter” in das Herz seines Publikums geschlichen und damit eben nicht entlarvt, wie rassistisch und homophob die französische Gesellschaft daherkommt, sondern sie darin eigentlich bestärkt. Aber, bei “Monsieur Claude” gab es noch eine Handlung und Tempo, während jetzt “Alles unter Kontrolle!” eher stümperhaft zusammengeklatscht wirkt. Es ist zwar schön anzusehen, wenn man in Malta, wo der Flieger wegen einer technischen Panne zwischenlanden muss, quer durch die alten Gassen rennen darf, aber zahlreiche Szenen sind wirklich nur auf die Punchline ausgerichtet und bringen exakt gar nichts als Schammomente. Man mag gar nicht hingucken, wenn der Beamten seinem Anvertrauten an einen Heizkörper auf dem Badezimmerboden ankettet, weil er ihm beim Schlafen stört. Als Ausgleich schüttet der den Beamten in einem Erotik-Nightclub Drogen in den Wodka. Nicht dass jetzt jemand darüber grübelt, warum Beamte sich so gehen lassen. Es wird ihnen doch auf übelste mitgespielt. Oder nicht?

Zu all dem Rassismus und den homophoben Einsprengseln gesellt sich auch noch eine Portion Frauenfeindlichkeit. Darunter macht man es halt nicht. Da zicken die Freundinnen, da ist jede Flugbegleiterin willig und weitere weibliche Rollen gibt es gar nicht erst. Die paar Stangentänzerinnen im Nachtklub mal nicht mitgezählt. José ist zu Hause mal wieder in Ungnade gefallen, weil er sich von Guy verleiten ließ, auf seinem Hotelzimmer Frauenbesuch zu empfangen. Wie gemein der Vorwurf ist, merkt man natürlich schnell, immerhin ist ihr Sohn, also sein Stiefsohn, auch auf seiner Seite und Frau ist nicht nur ungerecht, sie kann auch nicht kochen. Brüllend komisch. Nun kommt José die Beziehungstipps von Akim gerade recht. Man kann sich nicht ganz der Einschätzung verwehren, dass eine Beziehung eine Figur abrunden soll und ein Beziehungsknatsch die ansonsten dürftige Handlung aufbrauchen kann.

In all dem Murks steckt eine eigentlich interessante Pointe. Irgendwann landen José und Akim auf Lampedusa, während Guy von Drogen ausgeknockt auf Malta das Krankenhausbett hütet. Da nun beide keine Papiere bei sich führen, nachdem die Küstenwache sie aus dem Meer gefischt hat, nein, lange Geschichte, alles sollte man auch nicht verraten, nur so viel, es ist weder interessant noch komisch, gelten beide als Flüchtlinge. José bedarf jetzt Akims Schutz, um im Auffanglager klar zu kommen. Was einen guten von einem nicht guten Flüchtling unterscheiden, mit wie vieler Maß man Menschen einteilt und aburteilt, das wäre auch für eine Komödie tauglich gewesen. Die Mühe macht sich de Chauveron nicht mehr, die magische 90-Minuten-Komödienlänge steht vor der Zielgeraden, also verträgt man sich, söhnt sich aus, hilft einander, was immer die Handlung zu einem komödiantischen, sprich positiven Ende bringt. Läuterung und Versöhnung inklusive. All das wird so rasant abgewickelt, dass man dann doch merkt, dass da gar keine Story drin steckt. Schlimmer noch, man darf sich seiner Ressentiments bestätigt fühlen, während das Schicksal derer, die hier zum Affen gemacht werden, schlichtweg für das Einspielergebnis ausgenutzt werden. Das ist bitter.

Elisabeth Nagy

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