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"Toni Erdmann" führt in den Arthouse-Jahrescharts

Rangliste nach Gesamtbesucherzahlen in den Kinos der AG Kino-Gilde.
UPDATE mit geschätzten Besucherzahlen für deutsche Filme bis 2016.




Im Frühjahr 2017 findet die Verleihung des DEUTSCHEN FILMPREISES findet statt. Am 16. März 2017 entscheiden die über 1800 Mitgliedern der Deutschen Filmakademie über die Nominierungen. Die Vorauswahl mit 27 Spielfilmen, sieben Dokumentarfilmen und sechs Kinderfilmen hatten wir am 12. Januar 2017 veröffentlicht und zugleich einige unserer Leser nach Ihren Lieblingsfilmen befragt.

Maren Ades Film "TONI ERDMANN", der zwar bei den European Film Awards im Dezember in fünf Kategorien punkten konnte, hatte sich weder bei den Golden Globes, noch bei den von uns befragten Personen an die Spitze setzen können. Wir sind gespannt wie der Film bei den Oscars im Februar abschneiden wird. Immerhin lag er bei den Arthouse-Jahrescharts mit rund 800.000 Besuchern an der Spitze der von ComScore/Rentrak und der AG Kino ermittelten deutschen Arthouse-Kinocharts des Jahres 2016.

Trotz des andauernden Hypes um "TONI ERDMANN" findet man den Film seit Beginn des Jahres 2017 nicht mehr an erster Stelle in den Programmkinos, sondern nur noch an fünfter Stelle (Stand: 9. Januar 2017), denn einige Kinos spielen den Film, wenn überhaupt, nur noch Sonntags in einer Matinée-Vorstellung.

Die ARTHOUSE-FILMHITS vom 5.1. - 8.1.2017:

1.) Paula - Mein Leben soll ein Fest sein: Regie: Christian Schwochow
Lebendiges Frauen-, Künstlerinnen- und Zeit-Porträt über Paula Modersohn-Becker

2.) Nocturnal Animals; Regie: Tom Ford
Amy Adams und Jake Gyllenhaal in einem intelligenten Thriller von Tom Ford

3.) Die Überglücklichen; Regie: Paolo Virzi
Zwei Frauen und der Zauber des Verrücktseins

4.) Love & Friendship; Regie: Whit Stillman
"Die schönste aller Jane-Austen-Verfilmungen." (FAZ)

5.) Toni Erdmann; Regie: Maren Ade
Mit 5 Europäischen Filmpreisen ausgezeichnet und Oscar-Hoffnung

6.) Florence Foster Jenkins; Regie: Stephen Frears
Meryl Streep als bester aller schlechten Sängerinnen

7.) Die Taschendiebin; Regie: Park Chan-wook
Erotischer Thriller mit rauschhaften Bildern aus Südkorea

8.) Einfach das Ende der Welt
Starbesetztes Familiendrama - ausgezeichnet in Cannes

9.) Paterson; Regie: Jim Jarmusch
Jim Jarmuschs minimalistisch-poetischer Film über einen stillen Menschen

10.) Gemeinsam wohnt man besser; Regie: Francois Desagnat
WG-Komödie aus Frankreich

In der deutschen BOX-Office des Jahres 2016 befindet sich "TONI ERDMANN" auch nicht unter den ersten 10 Filmen der Kinocharts, da er weniger als eine Millon Besucher vorweisen konnte. Zudem werden diese Charts leider fast nie von deutschen Arthouse Filmen bestimmt, sondern von Blockbustern und dem US-Mainstream-Kino in 3D angeführt. So schlecht kann es also gar nicht um den 3D-Film bestellt sein, wie manche befürchten. Aber immerhin konnte die deutsche Einwanderungs-Komödie "Willkommen bei den Hartmanns" von Simon Verhoeven mit mehr als drei Millionen Besuchern einen Achtungserfolg auf Platz sechs erzielen. Zu den kulturellen Arthouse-Topfilmen zählt dieses Werk allerdings nicht.

Jahresstatistik 2016:

1.) Platz mit 3.829.668 Besuchern "Zoomania" (3D) von Byron Howard, Rich Moore, Jared Bush

2.) Platz mit 3.816.049 Besuchern "Pets" (3D) von Yarrow Cheney, Chris Renaud

3.) Platz mit 3.796.791 Besuchern "Findet Dorie" (3D) von Andrew Stanton, Angus MacLane

4.) Platz mit 3.498.734 Besuchern "Rogue One - A Star Wars Story" (3D) von Gareth Edwards

5.) Platz mit 3.335.525 Besuchern "Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind" (3D) von David Yates

6.) Platz mit 3.297.200 Besuchern "Willkommen bei den Hartmanns" von Simon Verhoeven

7.) Platz mit 2.909.615 Besuchern "Ice Age - Kollision voraus!" (3D) von Mike Thurmeier, Galen T. Chu

8.) Platz mit 2.823.894 Besuchern "The Revenant - Der Rückkehrer" von Alejandro González Inárritu

9.) Platz mit 2.707.799 Besuchern "Deadpool" von Tim Miller
 
10.) Platz mit 2.362.378 Besuchern "Ein ganzes halbes Jahr" von Thea Sharrock

In den ersten Wochen des neuen Jahres wurde diese Liste schon wieder durch neue Filme kräftig verändert. Zum Start seines fünften Wochenendes holte sich "Rogue One: A Star Wars Story" weitere 15.000 Zuschauer und 175.000 Euro Kasse. Bis Sonntag, den 15. Januar 2017 sollte er abermals sechsstellige Besucherzahlen und etwa 1,2 Mio. Euro Umsatz geschafft haben. Gesamt passierte der Blockbuster damit aktuell die 3,7-Mio.-Besucher-Marke. Dicht auf den Fersen folgt ihm aber "Passengers", der derzeit täglich mit mehr Besuchern auftrumpfen kann und insgesamt bei rund 750.000 Besuchern liegt. Auch "The Great Wall" mit Matt Damon legte letzte Woche einen glänzenden Neustart hin und spülte mit 170.000 Besuchern knapp zwei Mio. Euro in die Kassen.

Einen interessanten ersten Tag hatte vorletzte Woche auch der Golden-Globe-Abräumer "La La Land", den Studiocanal vorerst nur in 115 Kinos startete: Damit lockte Damien Chazelles "La La Land" am vergangenen Wochenende knapp 140.000 Besucher (inkl. Previews 165.000) an und sicherte sich somit einen Bogey für mehr als 1.000 Besucher pro Kopie am Startwochenende. In den deutschen Kinocharts landete der Golden-Globe-Abräumer deshalb inzwischen auf Rang fünf und könnte dieses Wochenende die 200.000 Marke knacken. Für den am letzten Donnerstag in 87 Kinos neu gestarteten Oscar-Kandidat "Manchester by the Sea" sind 35.000 Besucher und 280.000 Euro Einspiel fürs gesamte Wochenende laut Blickpunkt:Film realistisch.

Viele sehenswerte Arthouse Filme erlangen meist gerade Mal zwischen 2.000 bis 20.000 Besucher, bevor sie wieder aus den Filmkunstkinos verschwinden. Gerade diese Filme bedürfen kräftigerer Marketing und Werbemaßnahmen, um erfolgreich sein zu können. Allerdings wird mit den Begrifflichkeiten Arthouse, Filmkunst, Programmkino und Independent jongliert, sodass keiner mehr genau weiß, was eigentlich gemeint ist. Eine wöchentliche Kinosendung des Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) könnte Aufklärung in den Mediendschungel bringen. Doch obwohl der öffentlich-rechtliche Rundfunk Informationssendungen als Programmauftrag hat, gibt es keine eigene Kinosendung mehr beim rbb. Dabei hat Berlin mit den Yorck-Kinos und den Indie-Kinos das größte Kinoangebot des unabhängigen Films in Deutschland, sodass der Überblick über neue gute Filme ohne fremde Hilfe fast zum Glücksspiel wird. Zumindest für jene, die nicht vom Fach sind, und nur selten ins Kino gehen.

Immerhin ist mit fünf Filmen das europäische Kino relativ stark in den Top 10 vertreten. Von den 100 erfolgreichsten Filmen stammen 51 aus dem europäischen Ausland und 29 aus Deutschland. Mit Fatih Akins "Tschick" schaffte es sogar eine weitere deutsche Produktion den Sprung in die Top drei des Arthouse-Jahresrankings. Und Maria Schraders "Vor der Morgenröte" rundet auf Rang zehn den Erfolg des deutschen Arthouse-Films ab.

"Damit sind die Filmkunstkinos auch das Rückgrat der heimischen Filmwirtschaft", so Christian Bräuer, Vorsitzender der AG Kino, "denn viele Filme erreichen einen Großteil ihrer Besucher in den Mitgliedskinos des deutschen Filmtheaterverbands".

Wie die AG Kino betont, kommt ihren Mitgliedskinos auch beim Dokumentarfilm "eine herausragende Bedeutung" zu. So erzielen Dokumentarfilme teilweise bis zu 85 Prozent ihrer Besucher in Arthouse-Kinos, wo ihre Auswertung über einen langen Zeitraum stattfindet. Insgesamt konnten sich die Arthouse-Kinos vom zweistelligen Besucherminus im Gesamtmarkt nach Angaben der AG Kino absetzen und verzeichneten nur leichte Rückgänge.


Nachtrag:
Die Gesamtbesucherzahl in den deutschen Kinos ist im Vergleich zum Superjahr 2015 in 2016 deutlich gesunken, auf vom Film-Fernseh-Fonds Bayern vorläufig geschätzte 115,8 Millionen, auch die Zuschauerzahl für deutsche Filme ist auf nur 22,3 Millionen im letzten Jahr drastisch zurückgegangen. Das sind gerade mal 19 Prozent der Besucher, die für deutsche Filme ins Kino gekommen sind. Die Zahl der deutschen Kinostarts konnte dagegen einen einsamen Rekord von 256 Neustarts im Kino vorweisen. Das sind pro Monat mehr als 20 brandneue deutsche Filme, also ca. 40 Prozent mehr als im Vorjahr. Gewiss sind viele Dokumentationen unter diesen Filmen, die im Fernsehen keinen Unterschlupf mehr finden und ihr Heil im Kino suchen müssen, was auch von den engagiertesten (Programm-)Kinobetreiber nicht ansatzweise gemeistert werden kann. Insgesamt hat ComScore 769 Neustarts 2016 gemessen, auch das ist schon ein Anstieg von fast 30 Prozent, der nicht mehr das erhoffte Publikum erreicht. Und in den Zahlen sind die Mainstream-US-Blockbuster, die ebenfalls Zuschauerverluste einfuhren, nicht einmal enthalten.

Als Problem sieht die AG Kino die "unverändert steigende Filmflut". So stieg die Zahl der Filmstarts im Arthouse-Bereich seit 2012 von 595 um über 25 Prozent auf mehr als 740 im vergangenen Jahr an. Durch diese "Inflationierung in den Kinos" führt nach Ansicht der AG Kino dazu, "dass jeder einzelne Film an Aufmerksamkeit verliert, Publikum und Presse die Übersicht verlieren und sich am Ende die wirklich kinotauglichen Qualitätsproduktionen nicht mehr durchsetzen können".

Manch kulturell hochwertiger Film, der deutlich weniger als 10.000 Besucher erreicht, muss deshalb leider schon als Flop an der Kinokasse bezeichnet werden. Dazu gehört auch die am 12. Januar 2017 gestartete amerikanische Indiesensation "Hell or High Water", die in Deutschland auf wenig Interesse stößt und mit 1500 Zuschauern und mit 11.000 Euro Einspiel am ersten Wochenende nur Platz 18 belegte.

Quellen & Links: www.agkino.de | www.programmkino.de | www.insidekino.com | Blickpunkt:Film | Süddeutsche Zeitung | Spiegel

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