Skip to content

3 Außenseiter im Kino - darunter ein Cannes Gewinner

Aktuelle Filmkritiken von Ulrike Schirm über drei Independent Filme in den Arthaus-Kinos.



Leichter Kinostoff steht diesmal nicht zur Diskussion, nicht einmal wenn Harry-Potter-Star Daniel Radcliffe mit im Spiel ist. Der hat nämlich bei "Swiss Army Man" der Regisseure Daniel Scheinert & Dan Kwan wenig zu sagen, da er die ganze Zeit über eine Leiche spielen muss. Dennoch wurde der Film schon im Januar auf dem Sundance Festival frenetisch gefeiert.

Befremdlich dürfte - trotz seiner poetischer Bilder - auch Andrea Arnolds "American Honey" - der Jurypreisgewinner von Cannes 2016 - auf viele wirken. Die 18-jährige Hauptdarstellerin ist von einem Lebenshunger beseelt, der sie heraustreibt aus der White Trash-Hölle, in der ihr Vater sie ständig begrapscht und die Mutter längst abgehauen ist. Sie schließt sich einer Clique illustrer, junger, freakiger Zeitschriftenverkäufer an, die mit ihren tätowierten Muskelpaketen es ziemlich schwer haben, etwas im bürgerlichen Milieu zu verkaufen. Doch zum Schluss zieht sie ihr eigenes Ding durch und beweist dadurch, dass junge Frauen sich nicht unterordnen müssen.

Zum Schluss "Die Insel der besonderen Kinder" vom Visionär Tim Burton. Ein magisches Fantasy Kino, das die Kritikergilde entzweit. Die Einen lieben den Film - andere finden ihn blöd. Doch an den zahlreichen Einfällen ist eigentlich wenig auszusetzen, zumindest wenn man abschalten will, um sich nur im Kino zu amüsieren. Doch lassen wir heute Ulrike Schirm zu Worte kommen. Das nächste Mal dann vielleicht auch noch eine andere Meinung.

"SWISS ARMY MAN" seit 13.10.2016 im Kino

Hier nochmals der Trailer, den wir bereits an anderer Stelle vorgestellt hatten.



„Crazy, I´m fucking crazy”¦ rescue, I`m fucking rescue”¦ das ist der Zustand, in dem sich Hank (Paul Dano) auf einer einsamen Insel befindet. Kein „Freitag“ noch ein „Volleyball“ und der Strick, mit dem er seinem Leben ein Ende setzen will, hält auch nicht, was er verspricht. Dass ausgerechnet eine Leiche, die an Land geschwemmt wird, zu seinem „Retter“ wird, hätte Hank in seinen kühnsten Träumen nicht vermutet. Endlich ist da jemand, dem Hank seine spät pubertierenden Leiden erzählen kann. Manny (Daniel Radcliffe) ,der furzende Leichnam eignet sich bestens als Surfbrett, als Wasserspender und schießen kann man mit ihm auch. Was auf den ersten Blick, wie eine makaber, skurrile Komödie erscheint, zeigt den traurigen Seelenzustand eines Jungen, der an der Zivilisation mit ihren merkwürdigen Gesetzen scheitert und hilflos in eine Fantasiewelt flüchtet. In Manny findet er den  totalen Gegensatz. Die Wasserleiche entpuppt sich immer mehr zu einem Wesen, welches frei von jeglichen Zwängen, völlig ungehemmt seinen Gedanken freien Lauf lässt. Hank, der immer wieder tränenreich von seiner unerfüllten Liebe erzählt, verleitet Manny zu der fast kindlichen Frage „Is this crying? I don`t like crying. It makes me weird“.

Ein Film, der die Geister scheidet, muss nicht der schlechteste sein. Die Metapher und die merkwürdige Ästhetik ist nun mal nicht jedermanns Sache. Mir hat die außergewöhnlich erzählte Geschichte über Freundschaft, Einsamkeit und Zivilisationskritik gefallen. Vielleicht spielt sich ja alles nur in Hanks Kopf ab. Wer weiß das schon. Bizarr.

Ulrike Schirm

"AMERICAN HONEY" seit 13.10.2016 im Kino

Hier der Trailer, der merkwürdigerweise im selten gewordenen 4:3 Format gezeigt wird, was nicht nur im Format, sondern in der ganzen Machart ein wenig an "Mommy" des Frankokanadiers Xavier Dolan erinnert.



Irgendwo in einer dieser trostlosen amerikanischen Vorstädte. Die achtzehnjährige Star (Sasha Lane) ist mit ihren beiden kleine Geschwistern unterwegs. Einkaufen im abgelegenen Supermarkt. Das Geld ist knapp. Fasziniert beobachtet Star einen Jungen, der sich ziemlich wild aufführt, ihr zuzwinkert und dem Mädchen signalisiert, doch mit ihm zu kommen, den trostlosen Ort zu verlassen, Spaß zu haben und Geld zu verdienen. Star überlegt nicht lange, lässt die Geschwister in der prekären Familie zurück und steigt zu Jake (Shia LaBeouf) in einen Kleintransporter voller junger Leute, die sich auf den Weg machen Zeitschriften-Abos an Haustüren zu verkaufen. Alle sind gut drauf, singen und scherzen, für Star auf einmal eine völlig andere Welt, außerdem hat sie sich in den smarten Jake verliebt.

Die junge Chefin der Drückerkolonne besteht auf festen Regeln. Wer die meisten Abschlüsse vorlegt, bekommt auch das meiste Geld. Für Unterkunft und Essen wird gesorgt. Der schlechteste Verkäufer wird in der so genannten Loser- Night vor allen erniedrigt und bloßgestellt. Bei launiger Musik werden Motivationstänze durchgeführt. Star wird Jake zugeteilt, er zeigt ihr, wie man die jeweils  „richtigen Geschichten“ erzählt, um bei den wohlhabenden Kunden Mitleid zu erregen. Er ist der beste Verkäufer im Stall. Doch Star fühlt sich nicht wohl, es ist nicht ihr Ding, den Leuten irgendwelche Geschichten vor zu lügen, um Krystal  (Riley Keough) abends einen Packen Abschlüsse auszuhändigen. Immer öfter zieht sie alleine los und versucht es auf ihre ganz persönliche Weise. Doch irgendwie passt sie nicht in die Gruppe dieser exzentrischen Außenseiter. Als Krystal dahinter kommt, dass Jake und Star eine leidenschaftliche Affäre haben, hängt der Haussegen so richtig schief.

Doch Star hängt längst an dem Gemeinschaftsgefühl, was auf den langen Autofahrten zum Ausdruck kommt. Ein Haufen junger Leute, die nicht wissen, wo sie eigentlich hingehören, die über die verdammte Google-Welt schimpfen, die Mc Donalds scheiße finden und Gott sie mal am Arsch lecken kann.

Bei aller Tristesse gibt es Momente voller Melancholie. Wenn Star Jake fragt, wie er sich denn seine Zukunft vorstellt und er, völlig erstaunt antwortet: „Das hat mich ja noch nie jemand gefragt“. Einige Zeit später kramt er seinen geklauten Schmuck vor, mit dessen Erlös er sich seinen Traum erfüllen will. Immer wieder sieht man Star, wie sie mit Hingabe Insekten vor dem Sterben rettet.

Star klingelt mal wieder vor einer Tür, um ein Abo zu verkaufen. Ein kleines Mädchen öffnet, die Eltern sind nicht da. Star ist erschüttert, als sie bemerkt in welch einem verwahrlosten Zustand die Kleine und ihr Bruder sind. Sie geht los , um für die Kinder Lebensmittel zu besorgen. Das Lieblingslied des Mädchens”¦ “I kill children“.

Dank der poetischen Kraft ihrer Bilder hat es die britische Regisseurin Andrea Arnold ("Fish Tank") geschafft, drei Stunden wie im Fluge vergehen zu lassen. Sehenswert die junge Sasha Lane, die in ihrem eindringlichen Spiel Zerbrechlichkeit und dann wieder Kraft und Stärke auf fast dokumentarische Weise vermittelt. Auch Shia LaBeouf war lange nicht so gut , wie hier. Es waren ziemlich durchgeknallte Auftritte, mit denen er von sich reden machte. Doch nun ist er zurück, mit einer Rolle, in der er viel von seiner Persönlichkeit einbringen kann und vielleicht auch deswegen so echt rüber kommt. Kraftvolles Kino mit guter Popmusik.

Ulrike Schirm

"DIE INSEL DER BESONDEREN KINDER" seit 6.10.2016 im Kino

Hier der Trailer des Films, den man durchaus mit den verrückten Ideen der Tim Burton Verfilmung "Alice in Wonderland" vergleichen kann.



Kinomagier Tim Burton hat den Bestseller „Die Insel der besonderen Kinder“ von Ransom Riggs für die Leinwand adaptiert. Im Fokus steht der 16-jährige Jake (Asa Butterfild). Sein Großvater (Terence Stamp) erzählte spannende und bizarre Geschichten, von einer mysteriösen walisischen Insel, auf der sich Kinder mit außergewöhnlichen Fähigkeiten versteckt halten. Nach seinem Tod, will Jake unbedingt wissen, ob an den Geschichten etwas Wahres dran ist. Er macht sich auf die Suche und findet die Insel. Dort findet er heraus, dass die besonderen Kinder und ihre Beschützerin Miss Peregrine (Eva Green) in einer Zeitschleife gefangen sind. Es wiederholt sich immer wieder der 9. März 1943. Auch der Großvater lebte in seiner Jugend in diesem Heim, das im ersten Weltkrieg zerstört wurde und in einer der Zeitschleifen wieder aufgebaut wurde. Jake lüftet das außergewöhnliche Familiengeheimnis und wird dazu auserkoren, die Kinder vor den bösen Ungeheuern zu schützen, die Jagd auf sie machen, allen voran das Monster Barron (Samuel L. Jackson). Optisch ist die Gruselstory opulent umgesetzt. Es wimmelt von skurrilen Figuren, magischen Momenten und märchenhafter Fantasy, eine Art „X-Men“ für Kinder.

Neu ist der Plot gewiss nicht. Es geht wieder um Gut gegen Böse, einen jugendlichen Helden, der mit außergewöhnlichen Kräften gesegnet ist und der anfängliche Frieden trügt gewaltig. Burtons besessene Liebe zum Detail entschädigt für so manche Schwachstelle. Magisches Fantasykino ist es allemal.

Ulrike Schirm

Anzeige