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EU-Komission beim Territorialprinzip unter Druck

Zahlreiche Unternehmen, Verbände und Einzelpersonen aus der audiovisuellen Branche fordern Einhalt beim geplanten Geoblocking-Verbot.



EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat es derzeit nicht leicht. Der Brexit der Engländer hat ihn kalt erwischt. Dabei sind seine vielfach ungeliebten Maßnahmen auf lange Sicht gar nicht so verkehrt gedacht. Entgegen der landläufigen Meinung regiert das europäische Parlament in Brüssel nicht von oben herab, sondern in Abstimmung mit den Vertretern der einzelnen Länder. Auch Deutschland oder Großbritannien konnten immer ihre Meinungen kundtun und meistens auch durchsetzen.

Im kulturellen Bereich sieht die Sachlage etwas anders aus. Nicht nur im Deutschen Kulturrat, sondern auch in der Bevölkerung ist die Meinung zum umstrittene Freihandelsabkommen, dem "Transatlantic Trade and Investment Partnership" (TTIP), das von der EU-Kommission und von der Bundesregierung gewollt und von der deutschen Automobilindustrie gefordert wird, deutlich negativ eingestellt. Derzeit ist die Stimmung gekippt und gegen TTIP gewandt.

Für die Automobilindustrie und vor allem für den finanziell unter Druck geratenen Volkswagenkonzern (VW) könnte eine Ablehnung von TTIP jedoch lebensbedrohlich werden. In diesem Falle wären nicht nur ein paar tausend Arbeitsplätze wie bei der derzeit gescheiterten Übernahme des Lebensmittelhändlers "Kaisers/Tengelmann" in Gefahr, sondern zigtausende Arbeitsplätze nicht nur bei VW, sondern auch bei den Zulieferern wie beispielsweise BOSCH. Eine Insolvenz bei VW würde Deutschland wahrscheinlich sogar in die Rezension stürzen.

Da auch die Film- und Medienbranche im Umbruch ist und mit TTIP die Amerikaner Oberhand über deutsches und europäisches Kulturgut in Einzelfällen erlangen könnten, wollte sich die EU-Kommission schon jetzt wappnen und plant ein Verbot von Geoblocking-Maßnahmen in der EU, um einen zeitgleichen und europaweiten Zugriff auf alle Video-on-Demand-Angebote (VoD) künftig zu ermöglichen. Damit will man einer Verkürzung des Kinozeitfensters durch die Amerikaner etwas wirksam entgegensetzen, um dem europäischen Film somit bessere Startchancen geben zu können. Doch dagegen wandte sich aufs Schärfste die Produzentenallianz.

Die bisherige zeitlich und örtlich differenzierte Auswertung audiovisueller Inhalte in verschiedenen Territorien Europas wäre dann durch die Verleiher nicht mehr möglich, schrieb die Allianz deutscher Produzenten - Film & Fernsehen (Produzentenallianz) in einer kritischen Stellungnahme zur EU-Entscheidung. „Sollte die EU-Kommission ihren Plan verwirklichen, zur Schaffung eines einheitlichen digitalen Binnenmarktes das Geoblocking zu verbieten, würde sie die Grundlage für die Finanzierung und Vermarktung europäischer Filme vernichten“, erklärte Alexander Thies, Vorsitzender des Gesamtvorstands der Allianz Deutscher Produzenten, im Juli letzten Jahres.

Laut EU sollte das Verbot des Territorialprinzips den Verbrauchern dienen, die selten die Möglichkeit haben europäische Koproduktionen, die zwar auf internationalen Festivals gezeigt werden, aber dennoch nicht in allen europäischen Ländern in die Kinos kommen, wenigstens ohne Schranken überall auf VoD-Plattformen in Europa sehen zu können. Die Idee dahinter, soll einerseits der Abschottung vor der US-Kinowirtschaft dienen, die immer stärker in den europäischen Markt dringt, anderseits den europäischen Filmen einen Vorteil bieten.

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die aktuelle Meldung, dass die Deutsche Filmakademie die Richtlinien zum Auswahlverfahren für den Deutschen Filmpreis 2017 modifiziert hat. Aufgrund europarechtlicher Vorgaben können künftig auch Filme europäischer ProduzentInnen und RegisseurInnen zugelassen werden, sofern die majoritäre finanzielle Beteiligung weiterhin bei einer Firma mit Sitz in Deutschland liegt.

Wie wir am 25. Juni 2016 in einem Bericht zur CineEurope, der Official Convention of the International Union of Cinemas schrieben, glaubt der US-Amerikaner Jeffrey Katzenberg, leidenschaftlicher Visionär des Kinos, ehemaliger Besitzer des Dreamworks Animation Studio und Koproduzent des nächsten 3D-Avatar-Films, dass die Konsumenten Premiumangebote nutzen wollen, also Filme gegen Aufpreis näher zum Kinostart auch zu Hause als Stream über Abo-Modelle per Subscription-Video-on-Demand (SVoD) zu sehen wünschen. Das schmeckt zwar den Kinobesitzern nicht, doch viele rüsten ihre Theater bereits mit bequemeren Mobiliar auf, um wenigstens älteres Publikum bei der Stange zu halten. Allerdings sind dadurch die Preise gestiegen. Ein Ticket im Berliner Premiumkino, dem Zoo Palast, kostet zwischen 11,- und 13,50 Euro und in der Astor Filmlounge am Kurfürstendamm sogar 16,50 Euro, während in den USA der durchschnittliche Preis für ein Kinoticket nur bei 8,73 US-Dollar liegt.

Zu den VoD-Marktführen in Deutschland gehört MAXDOME, ein Unternehmen der ProSiebenSat.1 Media SE. Dessen Angebot umfasst für durchschnittlich 4,- bis 5,- Euro pro Ausleihe für 24 Stunden aber hauptsächlich Blockbuster der letzten zwei Jahre und nur wenige Arthouse Filme und noch weniger preisgekrönte Dokumentationen. Ältere Werke und nicht synchronisierte Spielfilmfassungen aus anderen europäischen Ländern sind so gut wie gar nicht zu finden. Der Bedarf und das Interesse an diesen Filmen besteht aber vor allem bei der jüngeren Generation, die immer seltener ins Kino geht und statt dessen online Filme zu sehen wünscht. Die Marktlücke hat AMAZON bereits erkannt und bietet deshalb ein sehr preisgünstiges Studentenabo für sein PRIME Videoabruf an. NETFLIX hat zwar gerade seine erhofften Abonnenten-Zahlen deutlich verfehlt, doch mit dem Abschluss eines europäischen Freihandelsabkommens werden die Amerikaner in kurzer Zeit den Markt neu aufrollen.

Produzenten und Verleiher wenden sich gegen die EU-Pläne.
Nun mag sich europäische Film- und TV-Branche bei vielen Themen nicht immer einig sein - angesichts der angeblich marktbedrohenden Pläne der EU zeigte sie sich jetzt aber geschlossen und setzt sich für das Territorialprinzip ein: In zwei separaten Briefen vom 11. und 12. Juli 2016 appellieren aktuell weit über 100 Unternehmen und Einzelpersonen an Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, deutliche Nachbesserungen an der von der EU geplanten Satelliten- und Kabelrichtlinie vorzunehmen. In dem Schreiben wird einmal mehr dargelegt, wie wichtig die territoriale Lizenzvergabe als maßgeblicher Finanzierungsbaustein der Branche ist.

Unter den Unterzeichnern finden sich unter anderem Produzenten, Verleiher, Kinobetreiber, Filmexporteure, Drehbuchautoren sowie Förderer, Sendervertreter, technische Dienstleister, Vertreter Videowirtschaft und Spitzenverbände wie die SPIO und die MPA. Vertreter eines Sektors also, der laut dem Brief für jährliche Umsätze von 97 Mrd. Euro steht, europaweit mehr als eine Mio. Beschäftigte in Lohn und Brot hält und pro Jahr um ca. zwei Prozent wächst - und damit derzeit schneller als die EU-Gesamtwirtschaft. Dabei wird nicht zuletzt darauf verwiesen, dass das Ziel einer breiteren Verfügbarkeit von Inhalten auch ohne massive gesetzgeberische Eingriffe erzielt werden kann.

In dem Schreiben heißt es: "Unsere Industrie begrüßt die Möglichkeiten ausdrücklich, die im digitalen Zeitalter durch neue Technologien [...] geschaffen werden, um den Wünschen der Konsumenten nach Auswahl, Vielfalt und Qualität nachzukommen. Die Zahl der audiovisuellen Dienste, die Millionen von Nutzern mit hochwertigem Content versorgen, wächst europaweit beständig - und das auf eine Art und Weise, die den kulturellen und sprachlichen Unterschieden Rechnung trägt. Einfach ausgedrückt, können Konsumenten über mehr Endgeräte und auf unterschiedlichere Arten als je zuvor auf immer mehr Content zugreifen - und dieses Wachstum wird sich fortsetzen."

Die Pläne der EU-Kommission, wie diese sie Anfang Dezember 2015 skizziert habe, würden ein erfolgreiches, aber doch fragiles System untergraben und somit nicht nur die kulturelle Vielfalt, sondern die Beschäftigten der Branche bedrohen. Durch die Ausweitung des Anwendungsbereichs der Satelliten- und Kabelrichtlinie und damit die Abschaffung des sogenannten Geoblockings, würden die Rechteinhaber beim grenzüberschreitenden Zugriff in paneuropäische Lizenzmodelle gezwungen. Wie von den Studien belegt sei, würde dies den gesamten Markt der Herstellung und Verbreitung von Filmen, TV-Projekten und Sport-Content verteuern - und damit auch den Konsumenten - massiv schaden.

Gerade bei einem kulturell so wichtigen Bereich wie der audiovisuellen Industrie müssten derartige politische Entscheidungen auf Basis solider, belastbarer Analysen erfolgen. Das Fehlen überzeugender Daten, die für die Pläne der Kommission sprächen, gesetzgeberischen Handlungen jedoch klar entgegenstehen, würden der Industrie auf offensichtliche Weise schaden. In Anbetracht dieser Tatsachen appelliere man an die EU-Kommission, das Territorialprinzip im audiovisuellen Sektor zu bewahren. Mit einem Brief ähnlichen Inhalts wenden sich auch 15 hochrangige Vertreter europäischer Privatsender an Jean-Claude Juncker.

Die EU-Kommission ist allerdings schon immer der Ansicht gewesen, dass Konkurrenz in der EU den Markt belebt und letztendlich die Produkte preiswerter macht. Somit steht Aussage gegen Aussage.

Links: Zu den beiden (englischsprachigen) Schreiben in kompletter Länge hier und hier.

Nachtrag:
Der Verband Privater Rundfunk und Telemedien e.V. (VPRT) prognostiziert im Pay-TV und Video on Demand Bereich (VoD) für 2016 ein weiteres Umsatzwachstum. Bereits von 2014 auf 2015 stieg der Umsatz um ca. 12 Prozent auf 2,5 Milliarden Euro in Deutschland bzw. 2,7 Milliarden Euro, wenn Österreich und die Schweiz hinzugerechnet werden. Die Umsätze von Pay-TV und Paid-VoD sind damit seit der erstmaligen Erhebung durch den VPRT im Jahr 2012 insgesamt um 30 Prozent gestiegen. Nutznießer sind natürlich auch Produzenten und Verleiher.

"Das gesamte Bewegtbildangebot entwickelt sich über die verschiedensten Plattformen rasant. Exklusiver Content und die Kontrolle der Rechtekette der Inhalte sind ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg. Dieses vielfältige Pay-TV- und Pay-TV-on-Demand-Angebot überzeugt immer mehr Menschen", so der Verband in einer Mitteilung vom 21.07.2016.

Diese Meinung vertreten auch die Walt Disney Company GSA , NBCUniversal International Networks und die FOX Networks Group, die maßgeblich an den Umsatzsteigerungen involviert waren.

Verwunderlich ist allerdings die Meldung vom 22.07.2016, dass der französische Vivendi Konzern seinem deutschen SVoD-Service Watchever zum Jahresende 2016 aufgeben will. Erst im Frühjahr hatte Vivendi eine strategische Allianz mit dem italienischen Mediaset-Konzern geschmiedet, um eine Art europäisches Netflix zu schaffen. Allerdings blieb der Marktanteil von Watchever angesichts der Dominanz von Amazon, Netflix und Maxdome im deutschen SVoD-Markt im niedrigen einstelligen Prozentbereich, obwohl zahlreiche TV-Hersteller wie z.B. Panasonic, die entsprechende Watchever-APP auf aktuellen Flachbild-Fernsehern mit Internetanschluss bereits installiert hatten.

Die VPRT-Studie "Pay-TV in Deutschland 2016" können Sie hier herunterladen.

Quelle: Blickpunkt:Film | EU-Kommission | ots - news aktuell

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