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Vor der Morgenröte - Stefan Zweig in Amerika

Aktuelle Filmkritik: Vor der Morgenröte - ein Film von Maria Schrader.



Maria Schraders zweite Regiearbeit "Vor der Morgenröte", die sich mit der Zeit des jüdischen Schriftstellers Stefan Zweig im Exil beschäftigt, beginnt spröde, macht es den Zuschauern nicht leicht und fordert sie von Beginn an, anstatt sie zu umschmeicheln. Dabei ist das Thema hoch aktuell und brisant. Es geht um Flüchtlinge und um Ausländer in fremden Ländern wider den Willen.

Der Film war zwar selbst nicht für den Deutschen Filmpreis nominiert, hätte aber immerhin für Beste Weibliche Nebenrolle einen Preis gewinnen können. Deshalb stand Maria Schrader im Palais am Funkturm auf der Bühne beim Deutschen Filmpreis und wurde zu ihrer Regiearbeit befragt, zu der sie zusammen mit Jan Schomburg auch das Drehbuch geschrieben hatte. Auf der Flucht vor den Nazis hielt sich Stefan Zweig u.a. in herrlicher Umgebung in Brasilien auf.

Maria Schraders Antwort dazu über den Schriftsteller, wie sie ihn sah: "Als Jemand, der vor dem Auge das Paradies hat und im Kopf nur einen Albtraum sieht."

Zuvor schon hatte Iris Berben, Präsidentin der Deutschen Filmakademie, in ihrer Eröffnungsrede beklagt, dass offensichtlich schon wieder ein Rechtsruck durch Deutschland geht und die versammelte Filmgesellschaft sich mit einem Zeichen dagegen stellen sollte, wofür sie kräftigen Applaus bekam. Auch Kulturstaatsministerin Monika Grütters verkniff sich nicht einen Seitenhieb auf den Filmklamauk "Fack ju Göhte 2", der als publikumsstärkster Film des Jahres ausgezeichnet wurde. Darüber hinaus mahnte der bei den jungen Zuschauern so beliebte tunesisch-österreichische Hauptdarsteller Elyas M'Barek, dass dieser Film ohne Menschen mit ausländischen Wurzeln nicht zustande gekommen wäre.

Anlass für die Sorgen waren unter anderem aktuelle ausländerfeindliche Äußerungen von Pegida und auch AFD Mitgliedern, die sich - angesichts der bevorstehenden Fußball Europameisterschaft - über ausländische Fußballspieler in der deutschen Nationalmannschaft mokierten. Die beliebte Kinderschokolade hatte Kinderfotos der deutschen Nationalspieler abgebildet. Darunter auch von Spielern mit Migrationshintergrund wie Jerome Boateng, Mehmet Scholl und Ilkay Gündogan. In Berliner Klassenzimmern, in denen oft mehr ausländische als deutsche Schüler sitzen, werden die Bilder dagegen schon gesammelt und getauscht. Kinder lieben Fußball und ihre Nationalspieler, egal woher sie kommen, egal ob sie Özil, Khedira und Co. heißen. Doch einige Rechtsradikale provozieren weiter und keiner unternimmt etwas dagegen. -

- Stimmt nicht ganz, denn zumindest auf Facebook hatte Pegida einen Shitstorm gegen sich selbst ausgelöst. Und bei den LOLAs war die Parodie "Er ist wieder da" von David Wnendt angetreten, um uns mit ironischem Blick auf aktuelle Veränderungen in der politischen Landschaft hinzuweisen.

Kinderschokolade mit Kinderfotos der deutschen Nationalspieler (dpa)

In der Allgemeinen Frankfurter Sonntagszeitung (F.A.S.) wurde AFD-Vize Alexander Gauland mit den fremdenfeindlichen Worten zitiert: "Die Leute finden Boateng als Fußballspieler gut. Aber sie wollen ihn nicht als Nachbarn haben."

Daraufhin enthüllten Fans beim Länderspiel zwischen Deutschland und der Slowakei am Sonntag, den 29. Mai 2016, ein Plakat auf den Tribünen mit der Aufschrift: "Jerome sei unser Nachbar!"

Auf die Hetze der Rechtsextremen meldete sich wenigstens auch der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, Reinhard Grindel, zu Wort: „Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft ist eines der besten Beispiele für gelungene Integration. Millionen von Menschen in Deutschland sind stolz auf diese Mannschaft, weil sie so ist, wie sie ist“, sagte er am letzten Mittwoch, den 25. Mai 2016, im Trainingslager der Nationalmannschaft.

Hilflos in seinem selbst gewählten Exil muss sich auch Stefan Zweig im fernen Amerika gefühlt haben. Es verschlug ihm die Sprache. Zu groß waren seine Sorgen, zu groß die Angst, dass der lange Arm von Hitler nicht nur seine in Deutschland zurückgebliebenen jüdischen Freunde vernichtete, sondern auch ihn selbst noch erreichen könnte. Doch wehret den Anfängen, sonst erreicht uns vielleicht das gleiche Debakel noch einmal.

Über sechs Jahre hat die Regisseurin an dem Film gearbeitet, um auch Bezüge zu Exil, Heimatverlust und Vertreibung geschickt einbinden zu können. Dass das Ergebnis aber so hochaktuell werden könnte, hat keiner geahnt. Da uns der Film über Stefan Zweig so zeitlos universell und in der Flüchtlingsdebatte passend und wichtig erscheint, baten wir gleich zwei Kritikerinnen uns ihre Meinung zu schreiben. Darüber hinaus möchten wir auf ein Interview aufmerksam machen, das unsere Kollegin Katharina Dockhorn in der Zeitung "neues deutschland" am 02.06.2016 mit Maria Schrader geführt hat.

Hier nachfolgend eine Filmkritik von Isolde Arnold:

Vor der Morgenröte - Stefan Zweig in Amerika
Deutschland/Frankreich/Österreich 2016, 106 Min., FSK ab 0 freigegeben.
Ein Film von Maria Schrader.

Inhaltsangabe & Details:
1934 befindet sich der österreichische Schriftsteller Stefan Zweig (Josef Hader) auf dem vorläufigen Höhepunkt seines kreativen Schaffens und die Literaturwelt liegt ihm zu Füßen. Doch seit der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland wird deren Einfluss auch in Zweigs Heimatland immer größer. Als dem überzeugten Pazifisten unerlaubter Waffenbesitz unterstellt und eine Hausdurchsuchung angeordnet wird, entschließt sich Zweig, der Situation auf dem europäischen Festland den Rücken zu kehren und ins Exil zu gehen. Sein Weg führt ihn zunächst nach England, wo er 1938 die Scheidung von seiner Frau Friderike (Barbara Sukowa) einreicht. Mit der jungen Lotte (Aenne Schwarz) findet er zwar neues Liebesglück, doch zu einem neuen Zuhause wird England dennoch nicht. Zweigs Wege führen ihn nach New York, Buenos Aires und schließlich nach Brasilien. Während ihm allerorts Gastfreundschaft und schon beinahe lästige Wertschätzung entgegengebracht werden, vermisst der Schriftsteller seine Heimat schmerzlich und kommt nicht zur Ruhe.

Wenn ich an meine Jahre zwischen achtzehn und dreißig zurückdenken will und mir vergegenwärtigen, was ich damals tat, so scheint mir, als ob ich diese ganzen Jahre einzig in der Welt herumgereist, in Kaffeehäusern gesessen und mit Frauen herumgezogen wäre. Mit bestem Willen kann ich mich nicht erinnern, jemals gearbeitet, jemals etwas gelernt zu haben. Dem widersprechen die Tatsachen.“ (Autobiographie Stefan Zweig 1922)

Der Film erzählt episodisch aus dem Leben Stefan Zweigs im Exil. Auf dem Höhepunkt seines weltweiten Ruhms wird er in die Emigration getrieben und verzweifelt angesichts des Wissens um den Untergang Europas, den er schon früh voraussieht. Die Geschichte eines Flüchtlings, die Geschichte vom Verlieren der alten und dem Suchen nach einer neuen Heimat. Kinostart ist ab dem 2. Juni 2016 in unseren Filmtheatern.

Der Film ist brillant besetzt: Josef Hader spielt Stefan Zweig, Barbara Sukowa seine erste Frau Friderike, Aenne Schwarz seine zweite Frau Lotte sowie Matthias Brandt den Berliner Verleger Ernst Feder.

Es ist ein ungewöhnlicher Film entstanden: Schlaglichtartig werden in einzelnen Kapiteln Stationen des Exils Stefan Zweigs fast in Echtzeit abgebildet und ganz detailliert Dinge gezeigt, die uns interessieren. Die innere Zerrissenheit Zweigs wird durch Josef Hader so herzzerreißend gespielt, dass einem der Atem stockt und die Gründe klar werden, warum Stefan Zweig seinem Leben selbstbestimmt ein Ende setzte.

Unbedingt ansehen, viele Entwicklungen der Gegenwart wird man dann mit anderen Augen betrachten!

I.A.

X Verleih bringt den Film am 2. Juni 2016 in die Kinos. Hier der Trailer:


Hier eine weitere Filmkritik von Ulrike Schirm, für die wir uns herzlich bedanken:

Stefan Zweig, geb. 28. Nov. 1881 in Wien, gestorben 1942 in Petrópolis, Bundesstaat Rio de Janeiro, Brasilien. Er stammt aus einer großbürgerlichen jüdischen Familie. In Wien und Berlin studierte er Germanistik und Philosophie. Religiös war seine Familie nicht. Er selbst bezeichnete sich als „Zufallsjude“. Sein Lebensstil war großbürgerlich geprägt. Er reiste viel und gern. Seine Ehe mit Friderike Zweig wurde 1938 in London geschieden. Der Kontakt zu ihr brach jedoch nie ab. Ein Jahr später heiratete er Charlotte Altmann, die ihn auf allen seinen Reisen begleitete. In der Nacht vom 22. zum 23. Februar 1942 nahm er sich das Leben. Er litt seit Jahren an Depressionen. Beinahe alle seine Werke enden in tragischer Resignation. Sein wohl bekanntester Roman: SCHACHNOVELLE.

Im Februar 1934. Der Österreicher Stefan Zweig fürchtet nach einer Hausdurchsuchung die Verfolgung der braunen Brut. Er emigriert nach London. Nach der Machtergreifung der Nazis wurden seine Bücher in Deutschland verboten. Einige Zeit später dann auch in Österreich.

In ihrem Film VOR DER MORGENRÖTE erzählt Maria Schrader in sechs Kapiteln die jeweiligen Stationen Zweigs im Exil. Er, ein Schriftsteller auf dem Höhepunkt seines literarischen Schaffens wird in die Emigration getrieben, voller Verzweiflung bei dem Gedanken des Untergangs Europas. Ein Flüchtling, der seine Heimat verliert , auf der Suche einer neuen.

Im August 1936 wird ihm zu Ehren ein gigantischer Empfang gegeben. Bewegt hält er eine eindrucksvolle Rede. Für ihn stellt sich dieses Land als ein Ort der Zukunft dar, ein Land, indem das friedliche Zusammenleben verschiedenster Rassen möglich ist. September 1936, Buenos Aires.

Schriftsteller aus 50 verschiedenen Nationen treffen sich, um über den aufkommenden Faschismus in Europa zu diskutieren. Ehrengast Stefan Zweig.

Januar 1941, Bahia, Südamerika. Zweig befindet sich auf Vortragsreise durch Südamerika. Immer an seiner Seite seine Frau Lotte ( Aenne Schwarz ). Der Besuch beim Bürgermeister verläuft jedoch ziemlich peinlich. Was gut gemeint ist, entblösst sich als Geschmacklosigkeit.

New York, 1941. Eiseskälte. Hier trifft er seine geschiedene Frau Friderike (Barbara Sukowa) wieder. 20 Jahre lebten sie zusammen. Friderike, eine toughe Persönlichkeit, die mit ihrem freizügigen Geist und ihrem selbständigen Verstand Stütze und Schutz geboten hat. Ganz das Gegenteil von der treuergebenden Lotte, die den Luxus des Reisens genießt. Friderike macht ihm unmissverständlich klar, wie privilegiert er doch sei und das er durch seine Beziehungen viel mehr dafür tun könnte, Freunden in Europa die Ausreise zu ermöglichen. Er solle daran denken, was mit denen geschieht, die in Deutschland ausharren müssen. Schmerzlich wird ihm bewusst, wie stark er die Unterstützung seiner Ex vermisst. Von Wut und Ohnmacht gebeutelt wird ihm klar, dass fast sein gesamtes Vermögen in England verloren ist. Um Bürgschaften leisten zu können, fehlt ihm das Geld. Er trifft den Verleger Ben Huebsch ( Stephen Singer), der ihn ermutigt sein biographisches werk DIE WELT VON GESTERN fertig zu stellen.

Petrópolis, November 1941. Stefan und Lotte Zweig beschließen an diesem Ort zu verweilen.

Was für ein Zufall. Unverhofft trifft er Ernst Feder ( Matthias Brandt) ehemaliger Ressortleiter des „Berliner Tageblatts“. Auch er ist mit seiner Frau in Petrópols ansässig geworden. Es ist Zweigs sechzigster Geburtstag. Feder schwärmt von der paradiesischen Landschaft und der Abgeschiedenheit von allem üblen Geschehen. Doch für Zweig haben Feders Worte keinen Trost. Seine Depressionen werden durch die Schuldgefühle sich in Sicherheit zu bewegen nur verstärkt. Eine furchtbare Verzweiflung hat sich eingeschlichen.

Lotte und Stefan Zweig haben in dieser Nacht ihr Leben beendet. Man findet sie in inniger Umarmung auf dem Bett im Schlafzimmer.

Feder liest aus dem auf deutsch verfassten Abschiedsbrief: „Ich grüße alle meine Freunde! Mögen sie die Morgenröte noch sehen nach der langen Nacht! Ich, allzu Ungeduldiger, gehe ihnen voraus“.

Josef Hader glänzt in der Rolle Zweigs. Er lässt subtil erkennen, wie zerrissen Zweig letztlich war. Ein Getriebener der die politischen Ereignisse nicht verkraften konnte, der vielleicht erkannt hat zu schwach zu sein, um sich vehement dagegen zu stellen.

Ulrike Schirm

Quellen: Filmstarts | Mittelbayerische | F.A.S. | ZDF | Isolde Arnold | Ulrike Schirm

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