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Filmfestspiele Cannes - deutscher Beitrag ausgezeichnet

Fipresci zeichnete Maren Ades Film "Toni Erdmann" mit dem Kritikerpreis aus - Ken Loach bekam die Goldene Palme für "I, Daniel Blake".



Bei den 69. Internationalen Filmfestspielen von Cannes wurden am Sonntag Abend, den 22. Mai 2016, die Hauptpreise verliehen. Im Wettbewerb um die Goldene Palme konkurrierten diesmal 21 Filme. Eine Jury um den US-Regisseur George Miller ("Mad Max: Fury Road") entschied über die Vergabe.

Bereits am Sonntagnachmittag wurde Maren Ades Tragikomödie "Toni Erdmann" über eine Vater-Tochter-Beziehung, die wir gestern ausführlich beschrieben haben, mit dem Kritikerpreis der internationalen Filmpresse (Fipresci) ausgezeichnet. Bei der Internationalen Jury ging der Film leer aus.

Mit der Goldenen Palme 2016 ist der Film "I, Daniel Blake" des britischen Regisseurs Ken Loach ausgezeichnet worden. Die Jury entschied sich für den fast 80-jährigen Altmeister der Filmbranche, der nach 2006, wo er mit dem historischen Drama "The Wind That Shakes the Barley" gewann, nunmehr seine zweite Goldene Palme in den Händen halten konnte. Überreicht wurde der Preis von dem australischen Schauspiel-Star Mel Gibson. In dem Sozialdrama geht es um den Kampf eines Schreiners um staatliche Unterstützung, nachdem er wegen eines Herzinfarkts nicht mehr arbeiten kann, von den Behörden aber kein Geld bekommt, sondern sich stattdessen in einem aussichtslosen Kampf gegen den Irrsinn der Ämter wiederfindet. Hier der Teaser:



Schon im letzten Jahr erhielt mit "La loi du marché - Der Wert des Menschen" des französischen Regisseurs Stéphane Brizé ein Film eine Auszeichnung, der sich insbesondere mit sozialen Themen befasst. So auch diesmal, denn als zweiter Film, der in diesem Jahr sehr kritisch den Slum in der Hauptstadt Manila beleuchtet, wurde als »Beste Schauspielerin« Jaclyn Jose für ihre Rolle in dem philippinischen Film "Ma´Rosa", des Regisseurs Brillante Mendoza ausgezeichnet. Auch diesen Film, der den Überlebenskämpfen der Ärmsten der Armen zeigt, hatten wir gestern ausführlich vorgestellt.

Als bester Schauspieler wurde Shahab Hosseini für den iranischen Film "The Salesman" ('Forushade') ausgezeichnet, Regie führte Asghar Farhadi. Hier ein Ausschnitt:



Den Preis für die beste Regie hat die Internationale Jury zu gleichen Teilen an Christian Mungiu aus Rumänien für "Bacalaureat" ('Graduation') und Olivier Assavas aus Frankreich für "Personal Shopper" vergeben.

Mitten drin im rumänischen Filz: "Bacalaureat".
Am neunten Tag, als viele schon wieder abgereist waren, zeigte der vormalige Goldene-Palme-Gewinner Cristian Mungiu (2007 für "4 Monate, 3 Wochen, 2 Tage"), der auch bei seinem Cannes-Besuch im Jahr 2012 für "Jenseits der Hügel" mit einem Drehbuch- sowie einem Darstellerinnenpreis reich belohnt worden war, sein "Bacalaureat", über den rumänischen Filz. Der Film ist sicher sehenswert, ihm fehlt aber die Strenge und Rigorosität und singuläre Vision der Vorgänger: Erstmals erkennt man in dieser Tragödie eines immer aufrechten Mannes, dessen mit Mühe aufgebautes Leben innerhalb von wenigen Tagen aufgrund eines aus Verzweiflung sehenden Auges begangenen Fehlers aus dem Leim zu gehen droht, das Plotting, das die Geschichte am Laufen hält. Hier der Trailer:



Romeo Aldea hat in einem rumänischen Dorf in der Provinz seine gesamte Existenz darauf ausgerichtet, dass seine 18-jährige Tochter bei den drei Abschlusstests überzeugt und damit den Notenschnitt schafft, um in England studieren zu können. Obwohl er längst eine Geliebte hat, spielt er ihr mit seiner lange von ihm entfremdeten Frau noch traute Familie vor. Am Tag vor der ersten Prüfung wird die Tochter beinahe vergewaltigt; trotz gebrochenem Handgelenk muss sie Tags darauf dennoch antreten - und versagt. Panisch, seine Mühen und Opfer könnten umsonst gewesen sein, lässt sich Romeo auf ein gefährliches Spiel ein, das eigentlich all seinen Überzeugungen widerspricht: Aber warum soll nicht auch einmal er von seinen Beziehungen profitieren?

Eigentlich ist die außer Kontrolle geratene Situation der Stoff für eine bitterböse Komödie der Sitten. Aber zum Lachen geht Mungiu auch in diesem Film in den Keller. Aber gerade weil sein Film so bemüht ist, bierernst ein Missgeschick auf das andere folgen zu lassen, um das Scheitern der Nach-Ceaucescu-Generation anhand des Schicksals eines ehemaligen Idealisten zu illustrieren und den nach wie vor unkontrolliert wuchernden Filz im Land anzuprangern, kann dieses bestenfalls funktional bebilderte Worst-Case-Szenario nicht seine volle Wucht entfalten, schreibt Thomas Schultze für Blickpunt:Film.

Kristen Stewart sieht in "Personal Shopper" Gespenster.
Um Spannung pur ging es in Olivier Assayas' Wettbewerbsfilm, dem zweiten Regiepreisträger ex aequo. Der Franzose, zuletzt vor zwei Jahren in Cannes mit "Die Wolken von Sils Maria", hat einen Gruselfilm gedreht. Aber er hat ihn eben so gedreht, wie das Regiechamäleon seine Filme dreht: "Personal Shopper" ist ein hochmoderner Großstadtfilm, der wie zuvor schon "Demonlover" und "Boarding Gate" angesiedelt ist in der verlockenden Glamourwelt des internationalen, kosomopolitischen High-Fashion- und Hochfinanz-Jetset in dem alle nur die schicksten Klamotten tragen und jeder die neuesten iPhones und Applecomputer benutzt. Hier ist die attraktive Maureen zu Hause, gespielt von Kristen Stewart, eine Amerikanerin in New York, die für den A-Listen-Promi als Personal Shopper in den teuersten Boutiquen Outfits, Accessoires und Schmuck kauft - wenn man so will, ist sie der gute Geist, damit eine andere glänzen kann. Das ist die eine Seite. Aber Maureen hat außerdem auch seherische Fähigkeiten und hofft als Medium immer noch, in einem verlassenen Haus Kontakt mit ihrem vor drei Monaten verstorbenen Zwillingsbruder aufnehmen zu können. In einer brillant realisierten Gänsehautszene nimmt sie tatsächlich Kontakt mit einem beängstigenden Geist auf, der aber nicht ihr Bruder ist und ihr in der Folge auf Schritt und Tritt folgt. Hier der Trailer:


Man liegt nicht falsch, wenn man den raffiniert-komplexen, aber auch immer wieder frustrierenden Film als Assayas' Reimagination von "Bis das Blut gefriert" von Robert Wise betrachtet, nur dass die Wesen nicht in einem verwunschenen Haus ihr Unwesen treiben, sondern die zunehmend panischere Heldin auf ihren Kommunikationsplattformen terrorisieren, bis sich der virtuelle Horror schließlich in einer echten Bluttat manifestiert und Maureen an den Rand des Wahnsinns gebracht wird. "Personal Shopper" mag auf den ersten Blick willkürlich zusammengesetzt wirken, aber er steckt voller raffinierter Anspielungen und kluger Betrachtungen darüber, wie der moderne Mensch im Kommunikationszeitalter nur noch ein Schatten seiner selbst ist, ein Geist zu werden droht, der die wahre mit einer virtuellen, körperlosen Welt eintauscht: Gesichter sind in Facetime-Gesprächen nur schemenhaft zu sehen, Maureens Chefin ist in gewisser Weise auch ein Geist, niemals körperlich da und doch mit einer starken Präsenz. Und nicht zuletzt ist der Film, in dem Nora von Waldstätten und Lars Eidinger in Nebenrollen zu sehen sind, ein Showcase für Kristen Stewart, die nach ihrer Nebenrolle in "Sils Maria" hier nun in jeder Szene im Mittelpunkt steht - ein wahrer Superstar, ein Wesen nicht von dieser Welt.

Um galante Schönheit dreht sich der Film "The Neon Demon".
Kurz vor Schluss des Festivals greift Nicolas Winding Refn in "The Neon Demon" das Thema des Warencharakters in unserer so coolen Welt noch einmal aus einer anderen Perspektive auf. Doch bei zwei Filmen mit ähnlichem Horror-Sujet konnte nur einer gewinnen. So war die 16-jährige Jessie (Elle Fanning) aus Georgia, die im Film in Los Angeles die Top-Laufstege erobern will und auf die Eiseskälte der Model-Agenturen und Superfotografen trifft, nicht nur bei ihrer Bewerbung ziemlich aussichtslos, auch der Regisseur ging leer aus. Dennoch war "The Neon Demon" insofern bemerkenswert, schreibt Jan Schulz-Ojala aus Cannes für den Tagesspiegel, als der Film gar nicht erst versucht etwas Altmodischem wie einer Handlung oder gar Argumentation zu folgen, sondern die Leinwand wie ein von Geisterhand vorangeblättertes, überformatiges Modemagazin für den Netflix Konkurrenten Amazon Prime Video präsentiert. Hier der Trailer:



Festspiele in Cannes: Preisträger

• Goldene Palme / bester Film
"I, Daniel Blake" von Ken Loach

• Bester Schauspieler
Shahab Hosseini ("The Salesman")

• Beste Schauspielerin
Jaclyn Jose ("Ma' Rosa")

• Beste Regie (ex aequo)
Cristian Mungiu ("Graduation")
und Olivier Assayas ("Personal Shopper")

• Bestes Drehbuch
"The Salesman" von Asghar Farhadi

• Großer Preis der Jury
Xavier Dolan ("Juste la fin du monde")

• Kritikerpreis der int. Filmpresse
"Toni Erdmann" von Maren Ade

Link: www.festival-cannes.com/en.html
Quellen: Filmstarts | Blickpunkt:Film | 3Sat | DW | Tagesspiegel | ZDF

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