Skip to content

Gewinner von Cannes und eine beängstigende Meldung

Goldene Palme der 67. Internationalen Filmfestspiele von Cannes ging an den Streifen: "Winter Sleep" des türkischen Regisseurs Nuri Bilge Ceylan.



Das 67. Filmfestival in Cannes präsentierte schon am Anfang an der Croisette starke Beiträge im diesjährigen Wettbewerb: „Winter Sleep“, „The Homesman“ und „Saint Laurent“ sowie "Welcome to New York" und "Mr. Turner".

Der Gewinner der »Goldenen Palme«, "das türkische Filmepos 'Winter Sleep' (Kis Uykusu/Winterschlaf), das in den zum Weltkulturerbe gehörenden Höhlenwohnungssiedlungen in Kappadokien spielt, erzählt von einer Beziehungshölle inmitten der himmlischen Landschaft", gab die Jury um die neuseeländische Regisseurin Jane Campion gestern Abend, zum Abschluss der 67. Festspiele bekannt.

Am Vortag war bereits Wim Wenders mit dem Spezialpreis der Sektion »Un Certain Regard« für seine Doku "The Salt of the Earth" bedacht worden.

Überschattet wurde das Festival in Cannes allerdings von der Festnahme des ukrainischen Filmemachers Oleg Sentsov, der vom russischen Geheimdienst in seinem Haus auf der Krim festgenommen und offenbar in das Moskauer Gefängnis ausgeflogen wurde, in dem einst auch der Literatur-Nobelpreisträger Alexander Solschenizyn saß.

Die Situation sei „extrem beängstigend“, sagte Kirsten Niehuus, Geschäftsführerin des Medienboard Berlin Brandenburg, das Sentsovs aktuelles, international koproduziertes Filmprojekt „Rhino“ mit 100.000 Euro fördert: „Sein einziges ,Verbrechen’ besteht darin, dass er die Opposition gegen die Annektierung der Krim unterstützt“.

Auch der ukrainische Filmemacher Sergei Loznitsa ("Mein Glück"), der auf dem Filmfest in Cannes einen Dokumentarfilm über die Geschehnisse auf dem Maidan zeigte, forderte laut »Hollywood Reporter« die unverzügliche Freilassung seines Kollegen: "Oleg hat aktiv an den Protesten teilgenommen, nur deshalb wird er jetzt verfolgt."

Die EFA-Vorsitzende Agnieszka Holland, die sich zur Zeit des Festivals als Teilnehmerin der »Ukraine Thinking Together Conference« in Kiew aufhielt, sagte: „Wir wissen, dass jedes Mal, wenn Künstler von einem politischen Regime unterdrückt werden, dieses Regime zu einer Diktatur wird.“

Cannes hat auch in diesem Jahr wieder einen Skandal.
Wir erinnern uns: Im letzten Jahr wurde Lars von Trier wegen einer Sympathieäußerung über Hitler zur Persona non grata auf Lebenszeit ernannt. In diesem Jahr fand wieder ein Skandal statt, jedoch nur am Rande des Festivals.

Mit viel Sex wurde die Weltpremiere von Abel Ferrara's "Welcome to New York" gefeiert. In dem Drama erzählt der Regisseur die Geschichte eines der mächtigsten Männer der Welt, dem ein Sexskandal zum Verhängnis wird. Die Geschichte lehnt sich an die Sexaffäre um den ehemaligen Währungsfonds-Direktor Dominique Strauss-Kahn an, der über seinen Rechtsanwalt bereits Klage gegen die im Film aufgestellten Behauptungen erheben will. "Der Film sei 'Dreck' und 'wie ein Haufen Hundescheiße', um den man einen großen Bogen machen sollte", hieß es. Darsteller Gérard Depardieu (65), der neben Jacqueline Bisset die Hauptrolle spielt, kommentierte: "Er spiele die Rolle des früheren IWF-Chefs, weil er diesen für arrogant halte und deshalb nicht möge." Das Drama wurde in Cannes in einem Edelrestaurant und in einem Kino gezeigt, da das Werk von der Festivalleitung schon im Vorfeld abgelehnt worden war.

Altmeister des Films zeigten großartige Werke.
Altmeister Jean-Luc Godard konkurrierte mit seinem jüngsten Essayfilm "Adieu au langage" seit langem einmal wieder um die »Goldene Palme« - seine letzten Filme liefen in Cannes alle außer Konkurrenz. Diesmal musste der älteste Regisseur der Festspiele sich jedoch den Preis der Jury ex aequo mit dem jüngsten Regisseur des Festivals, dem 25-jährigen Xavier Dolan aus Kanada teilen.

Andere Filme, wie Mike Leigh's meisterliches Biopic über William Turner, schöpfen die ganze Kraft erst aus ihrer Länge und konnte vielleicht gerade deshalb einen Preis für den besten Darsteller erlangen. Langsamkeit, Verharren, Wiederholung, das Prinzip des Insistierens versetzen den Zuschauer in einen fast meditativen Zustand. "Mr. Turners" mäandernde Wanderung durch das sublime Leben des englischen Maler Malers verführte die Zuschauer in Cannes zu einer hinreißenden Reise bis hin zur Hoffnung auf einen Palmen-Favoriten. Kurzweilige zweieinhalb Stunden braucht Mike Leigh für das großartig vitale Lebensgemälde aus den letzten 25 Jahren des spätromantischen Künstlers – und erfindet dabei das heruntergekommene Genre der Berühmtheitsabfilmerei unerhört neu, schreibt Jan Schulz-Ojala im Tagesspiegel.

Oliver Dahan's groteske Hommage an Grace Kelly alias Gracia Patricia, die tags zuvor unter dem Titel "Grace de Monaco" als Eröffnungsfilm lief, war danach kaum noch einer Rede wert.

Weitaus besser schnitt "Saint Laurent" von Bertrand Bonello ab. Es ist bereits das zweite Biopic über den grandiosen und dennoch zerbrechlichen Modeschöpfer binnen Jahresfrist nach Jalil Lespert's "Ives Saint Laurent". Der Wahrheit näher kommen wird vielleicht nur derjenige, der beide Filme über den drogensüchtigen Modeschöpfer gesehen hat. Bonello inszeniert den Meister weniger fragil als Jalil Lespert. Doch dafür endet bei Bonello das glanzvolle Leben von Yves als immer frenetischerer (Drogen-)Rausch sowie als leidenschaftliche Reise in die Einsamkeit.

Den Längenrekord im Cannes-Wettbewerb, hielt mit 196 Minuten, Nuri Bilge Ceylan's „Winter Sleep“ – und viele Beobachter waren über das anatolische Familien- und Gesellschaftspanorama ebenso begeistert wie über Leigh's Maler-Hommage. Der 55-jährige Regisseur seziert in dem Film in mehr als drei Stunden die Lethargie der türkischen Intellektuellen. Der Filmemacher widmete seinen Preis "den jungen Menschen in der Türkei und denjenigen, die im vergangenen Jahr ihr Leben verloren haben".

In "Winter Sleep" betreibt der reiche, ehemalige Schauspieler Aydin (Haluk Bilginer) ein Hotel in der kappadokischen Höhlenlandschaft. Seine junge Frau Nihal (Melisa Sözen) vertreibt sich den – langen – Winter mit örtlichen Charity-Projekten, außerdem leistet ihr die schlecht gelaunte - weil frisch geschieden - Schwester Necla (Demet Akbag) Gesellschaft. Sie alle sind aus Istanbul an dieses Ende der Welt geraten, und als sich wachsende Spannungen mit den Dörflern einstellen, verliert auch das Binnenverhältnis des Trios seine Balance.

Der Film wurde mit Sonys hochauflösender F65 Kamera gedreht, die über einen neuen Super35 CMOS-8K-Sensor verfügt und demzufolge fantastische Landschaftsbilder liefert. Hier ein Interview mit kurzen Film-Ausschnitten:



Ein anderer Beitrag kam aus den USA. Regisseur und Hauptdarsteller Tommy Lee Jones singt und tanzt nachts auf einer Missouri-Fähre in „The Homesman“. Die amerikanische Siedler-Story feiert die Rückkehr der unsteten Trapper. In der Mitte des Films hält das Drehbuch allerdings eine dicke Überraschung vor, die manch schwächeren Film locker ins Abseits schoß. Einen Preis bekam der Film allerdings nicht. Hier der Trailer:



Wim Wenders in Cannes Nebenreihe mit "The Salt of the Earth".
Mit standing ovations wurde auch die Premiere von Wim Wenders neuer Dokumentation "The Salt of the Earth" in der Nebenreihe »Un certain regard« gefeiert und später auch mit einem Preis belohnt. Es ist eine Hommage an den brasilianischen Fotografen Sebastiao Salgado (70), der seit Jahrzehnten um die Welt reist und die prekäre Lage der Menschen in Krisengebieten dokumentiert. Der 68-jährige Wenders drehte den Film zusammen mit Salgados Sohn Juliano.

Der Herzschlag für soziale Belange war in vielen Filmen zu spüren, mögen sie politisch oder weniger politisch sein, gelungen oder weniger gelungen. Das künstlerisch diesmal nicht gar so homogen glänzende Festival triumphiert aber mit seinen europäischen und kulturellen Werten. So wirkt Ken Loachs „Jimmy's Hall“ zwar nicht ganz so wuchtig wie sein vor acht Jahren mit der Goldenen Palme ausgezeichnetes irisches Kriegsdrama „The Wind That Shakes the Barley“. Doch der Freiheitskampf der irischen Geschichte wird auch diesmal fortgesetzt.

Weitere Preise des Festivals.
Der Große Preis der Jury, die zweitwichtigste Auszeichnung des Festivals, ging an das Sozialdrama "Le Meraviglie" der Italienerin Alice Rohrwacher. Der Brite Timothy Spall (57) wurde für seine Leistung in Mr. Turner von Mike Leigh als bester Schauspieler ausgezeichnet. Die US-Amerikanerin Julianne Moore (53) gewann für ihr Spiel in "Maps to the Stars" von David Cronenberg die Trophäe als beste Schauspielerin.

Der Preis der Jury unter Leitung von Jane Campion ging zu gleichen Teilen an "Mommy" von Xavier Dolan (Kanada) und "Adieu au langage" von Jean-Luc Godard (Frankreich). Als bester Regisseur wurde der Amerikaner Bennett Miller für seinen Film "Foxcatcher" ausgezeichnet. Das beste Drehbuch schrieben die Russen Andrej Swjaginzew und Oleg Negin für "Leviathan". Als bester Kurzfilm wurde "Leidi" von Simon Mesa Soto aus Kolumbien geehrt.

Zusammenfassung mit Filmausschnitten in 3sat.
Eine Zusammenfassung der 67. Internationalen Filmfestspiele von Cannes gibt es im Kultursender 3sat am Montag Abend, den 26.5.2014 um 22.25 Uhr in der Sendung »Kulturzeit extra«.

Link zum Festival de Cannes: www.festival-cannes.com
Quellen: Die Zeit | 3sat | Der Tagesspiegel | Arte | Sony

Anzeige