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Freihandelsabkommen birgt Gefahr für unsere Kultur

EUROPAWAHL: Deutscher Kulturrat empfiehlt die Kultur aus dem TTIP auszuklammern.



Am Sonntag, den 25. Mai 2014, wählt Deutschland das Europaparlament. Andere Länder, wie Großbritannien und die Niederlande, waren bereits schon gestern wählen. Den Prognosen zufolge haben die Rechtspopulisten mit ihren anti-europäischen Kampagnen - anders als erwartet - in Holland zumindest eine große Schlappe erlitten.

In Deutschland stellt sich Martin Schulz von der SPD als Spitzenkandidat der europäischen Sozialisten für den Präsidentensitz der EU-Kommission bei der Europawahl zur Verfügung. Stärkster Kontrahent des überzeugten Europäers ist der Luxemburger Jean-Claude Juncker, der als Kandidat der europäischen Christdemokraten antritt. Beide Spitzenkandidaten traten ausführlich im deutschen Fernsehen schon in Erscheinung. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Was passiert mit unserer Kultur, wenn ein ganz anderer Kandidat den Präsidentenplatz einnimmt? Immerhin sind 28 EU-Staaten und rund 400 Millionen Wahlberechtigte aufgerufen, abzustimmen.

Auf der Tagessliste der EU steht nämlich das Freihandelsabkommen mit den USA. Seit Tagen werden zahlreiche Geheimverhandlungen um das »Transatlantic Trade and Investment Partnership« (TTIP) geführt. Niemand - außer wenigen Eingeweihten - kennt die genauen Inhalte.

Für Martin Schulz ist allerdings klar, dass der deutsche Kulturbereich unbedingt ausgeklammert werden müsste, wenn es nach ihm ginge. Ein vergleichbares Abkommen mit den Kanadiern ist bereits weit gediehen und die USA werden darauf drängen, die Vertragsklauseln der Kanadier als Blaupause für das TTIP mit den USA anzusehen. Besondere Gefahr für viele Dinge in unserem Alltag und insbesondere für den Kulturbereich birgt nämlich das im TTIP enthaltene Investitionsschutzabkommen. Das ermöglicht den US-Firmen ggf. Schiedsgerichte nach ihrem Gutdünken anzurufen, wenn ihnen mögliche Gewinne entgangen sind. Und darin liegt der 'Casus knacksus':

Beispiel Gen-Mais:
Beim Freihandelsabkommen soll jeder liberal Waren importieren können. Über kurz oder lang werden die USA darauf drängen in Europa Gen-Meis im großen Stil verkaufen zu dürfen. Da helfen dann auch keine deutschen Gesetze, denn ein freier Handel gilt für beide Seiten. Die deutsche Industrie drängt über ihre Lobbyisten die Kanzlerin dazu, das Freihandelsabkommen in jedem Fall zu unterschreiben. Die deutschen Automobilkonzerne wollen vereinheitlichte Normen, um ihre Exporte noch besser ankurbeln zu können.

Beispiel Buchpreisbindung:
Unsere neue Kulturstaatsministerin Monika Grütters hat dagegen große Bedenken. Doch ihre Stimme im Parlament hat wenig Durchsetzungsvermögen bei den schwergewichtigen Lobbyisten aus Industrie und Wirtschaft. Vor allem die deutsche Buchpreisbindung ist den großen US-Konzernen ein Dorn im Auge. Angeblich entgeht dem Versandhaus AMAZON ein unglaublicher Gewinn durch die deutsche Buchpreisbindung. Nach deren Meinung gehört dieser Relikt aus vergangener Tagen im Zeitalter der digitalen Verbreitung von Büchern, Filmen und anderen Medien, einfach abgeschafft. Die Befürchtung, dass auch im Filmbereich den Konzernen wie YouTube, Hulu, Netflix, Google und auch Amazon Gewinn entgeht, wenn weiterhin in Deutschland den Kinos das Recht auf Erstauswertung gewährt wird, wäre der logische zweite Schritt für die US-Konzerne, die oben genannten Schiedsgerichte anzurufen.

Die Folgen für unsere Filmwirtschaft kann sich jeder ausmalen. Die UCI-Kinokette hatte bereits gegen den sogenannten Kinogroschen geklagt, da sie eine Abgabe an der Kinokasse für unnötig hielten, da sie sowieso in der Mehrzahl nur US-Filme spielen würden. Das Verwaltungsgericht Leipzig und letztendlich auch das Bundesverfassungsgericht (siehe unseren Bericht vom 2. Februar 2014) sah die Sachlage anders und verurteilte UCI zur Zahlung. Doch bei einem Freihandelsabkommen, bei dem der Kultursektor nicht ausgeklammert wäre, würden die Karten neu gemischt.

Letztendlich würden sogar unsere stark subventionierten Theater und Opernhäuser unter TTIP in Gefahr geraten, denn die Amerikaner haben ein anderes Verständnis zur Kultur. Diese hat in den USA einen ganz anderen Stellenwert und wird oft durch den Begriff Civilisation ersetzt, was dem Wort eine andere Bedeutung gibt. Theater und Kino werden in den USA rein privatwirtschaftlich betrieben. Subventionen gibt es nicht. Filme werden nicht wie bei uns mehrheitlich durch Fördermodelle finanziert, sondern zu 95% von Produzenten in den USA getragen. Sogar der Regisseur ist dort dem Produzenten untergeordnet. Bei uns dagegen müssen Produzenten nur eine Eigenleistung von 5% erbringen. Der Rest kann durch Förderungen und Darlehen erfolgen. Dieses Ungleichgewicht könnten die US-Verleiher zum Anlass nehmen, ebenfalls über Schiedsgerichte dagegen vorzugehen, da sie möglicherweise darin Benachteiligungen für ihre Produktionen sehen.

Anderseits droht sogar Lohndumping. Die Babelsberger Studios werden zwar gerne an internationale Produktionen vergeben, doch die US-Majors rücken oft mit eigenem Personal an, die eigene Verträge mit ihren Auftraggebern abgeschlossen haben. Das gut ausgebildete Personal in Babelsberg hat dann das Nachsehen. Der neue Mindestpreislohn für Beschäftigte gilt aber nur für unsere Angestellten. Die US-Firmen müssen sich bei ihrem eigenem Personal nicht an unser Lohnniveau halten.

Es gibt noch viele weitere Beispiele. Asbesthaltige Werkstoffe, die bei uns verboten sind, dürfen in den USA außer in Schulen, weiter verbaut werden. Die giftigen Chemikalien, mit den Schiefergas - mit dem sogenannten Fracking - in den USA gefördert wird, sind bei uns nicht zugelassen. Und schließlich das US-Chlorhühnchen, dessen Importverbot zurzeit noch einer der Knackpunkte beim Freihandelsabkommen darstellt. Für die USA ist das nicht liberal und sie werden sich mit aller Macht dagegen sträuben.

Wir haben in den letzten Tagen zahlreiche Pressegespräche und Workshops zum TTIP beim Deutschen Kulturrat sowie ein Symposium in der Akademie der Künste besucht. Als Fazit empfehlen der Deutsche Kulturrat und Attac, das globalisierungskritische Netzwerk, den Abbruch der Verhandlungen und einen Neustart mit einem alternativen Verhandlungsmandat, denn die Geheimhaltungsstrategie von EU-Kommission und den Vertretern der USA zu TTIP geht ALLE an!

Der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann, sagte: "Kultur ist nicht verhandelbar! Wir brauchen einen Neustart der Verhandlungen mit entsprechenden Komplettausnahmen für den kultur- und Medienbereich und größtmöglicher Transparenz bei den Verhandlungen. Unsere kulturelle Vielfalt darf durch TTIP nicht wirtschaftlichen Interessen geopfert werden. Gegen Freihandel ist nichts einzuwenden. Jedoch muss er in demokratischen Bahnen verlaufen, transparent zu Stande kommen und dem Wohle aller und nicht einzelnen Unternehmen dienen. Wir müssen aufpassen, dass unsere Kultur aus rein ökonomischen Interesse nicht geopfert wird."

Weitere Infos beim Deutschen Kulturrat e.V.
Link: www.kulturrat.de

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