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Die Leoparden Gewinner von Locarno

"Historia de la meva mort" des katalanischen Regisseurs Albert Serra gewann den Hauptpreis.



Festivalpräsident Marco Solari kann auch über das 66. Festival del film Locarno glücklich sein, denn die erste Ausgabe unter der Ägide des neuen künstlerischen Leiters Carlo Chatrian, einem gebürtigen Turiner, hat sich offensichtlich bewährt. Der Wettbewerb überzeugte mit Qualität und war eine (Film-)Reise wert wie lange nicht mehr.

Natürlich waren die vor allem die deutschsprachigen Medien an der Verfilmung von Charlotte Roches' Buch "Feuchtgebiete" interessiert. Es war zudem der einzige deutsche Beitrag im Wettbewerb, doch er überzeugte die Jury nicht. Die Romanvorlage des Buches galt als unverfilmbar. Handelte sie doch über die entzündeten Intimgebiete einer jungen Frau. Das jüngere Publikum der Open Air Veranstaltung auf der Piazza Grande applaudierte dennoch kräftig nach der Vorstellung, weil der Film ihren Zeitgeschmack traf. Ältere, langjährige Festivalteilnehmer zeigten jedoch eher gemischte Reaktionen. Hier der Trailer.



Bei einer international besetzten Pressekonferenz zum Film gab es sogar Stimmen, die Roman und Film pauschal als "ekelhaft" klassifizierten. Charlotte Roche, die Autorin der Buchvorlage, die zur Aufführung des Films nach Locarno kam, konterte: " Vor Jahrzehnten haben Frauen öffentlich ihre Büstenhalter verbrannt, um die Emanzipation voranzutreiben. Das muss man leider immer mal wiederholen." Sie ergänzte: "Ich bin sehr glücklich über diesen Film. Ich hatte ja bewusst entschieden, mich nicht einzumischen. Mein Vertrauen in David Wnendt und die anderen ist aufs schönste bestätigt worden."

Gleich am ersten Tag gab es stehende Ovationen für Christopher Lee in Locarno. Dem Ehrengast wurde zur Eröffnung des Festivals der »Goldene Leopard« (Pardo d'ore) verliehen, was der Open-Air-Veranstaltung auf dem Plaza Grande eine besondere Note verlieh.

Freiluftvorstellungen mit bis zu 8000 Menschen, selbst bei Regen: Das ist das Markenzeichen des Filmfestivals im malerischen Locarno. Bei dessen 66. Auflage hinterließ der deutsche Film also keinen besonders guten Eindruck. Doch das stimmt nicht ganz, denn Marc Bauder (29) erhielt für "Master of the Universe" die Auszeichnung für den Besten Film der Sektion »Semaine de la Critique« (»Woche der Kritik«). Der Regisseur wirft in seiner in deutsch-österreichischer Koproduktion entstandenen Dokumentation einen pointierten, kritischen Blick hinter die Kulissen des internationalen Bankgeschäfts.

Gewinner des Hauptpreisträger von Locarno
Den Hauptpreis des Festivals bekam statt des deutschen Favoriten "Feuchtgebiete" von Regisseur David Wnendt ("Die Kriegerin") oder des ebenfalls favorisierten französischen Wettbewerbsbeitrages "Gare du Nord" über die feinnervige Darstellung einer todkranken Frau, diesmal ein besonders schwieriger Film über die kunstvolle Begegnung zwischen Casanova und Dracula. "Historia de la meva mort" ("Die Geschichte meines Todes") des katalanischen Regisseurs Albert Serra überzeugte die Jury am meisten, obwohl bei dessen Galaaufführung in Locarno so viele Zuschauer das Kino vorzeitig verließen wie bei keinem anderen Wettbewerbsbeitrag. Die zweieinhalbstündige, bis ins Extrem gedehnte Folge von Tableaus aus den letzten Tagen Giacomo Casanovas verweigert sich rigoros allem, was Kino für den Normalkonsum ausmacht, schreibt die Neue Zürcher Zeitung. Die beste Beschreibung oder Kritik über den Film liefert übrigens unserer Meinung nach Sennhausers Filmblog. Hier der Trailer auf Kinozeit.



Der Spezialpreis der Jury ging an den Filmessay "E Agora? Lembra-me" ("Und was nun? Erinnere mich"). Hierin unternimmt der aidskranke Portugiese Joaquim Pinto in nebulösen Bild-Ton-Montagen eine sentimentale Nabelschau. Ebenso überraschend ist der Preis für die Beste Regie an den Südkoreaner Hong Sangsoo für "U ri Sunshi" ("Unsere Sunhi"), einen Dialogfilm, in dem eine junge Frau in starr gefilmten Szenen von drei Männern nach ihrem Leben gefragt wird.

Den Preis als Beste Schauspielerin erhielt am Samstag Abend die US-Amerikanerin Brie Larson. Sie spielt in dem Jugendheimdrama "Short Term 12" eine engagierte Erzieherin. Die Ehrung als Bester Darsteller geht an den Peruaner Fernando Bacilio für seine Interpretation eines Justizbeamten in dem Gesellschaftspanorama "El Mudo" ("Der Stumme"), eine Gemeinschaftsproduktion von Peru, Frankreich und Mexiko.

Weitere Preisträger in Locarno
Der »Prix du Public« wurde auf der auf der Piazza Grande ausgelobt und ging an den kanadischen Film "GABRIELLE" von Louise Archambault. Hier der französische Trailer.



Das Filmmagazin »Variety«, das ähnlich wie bei der Berlinale als offizielles Organ des Festivals täglich berichtete, vergab seinen Preis ebenfalls auf der Piazza Grande an den US-amerikanischen Film "2 GUNS" von Baltasar Kormákur. Hier der Trailer auf YouTube.



Bereits ein paar Tage vor der Abschlussveranstaltung wurden auf dem Festival del film Locarno Preise des Industry Office vergeben. Das Carte Blanche Programm stellte Branchenvertretern in diesem Jahr sieben Filme aus Chile vor, die sich im Postproduktionsstadium befinden. "To kill a man" von Alejandro Fernández Almendras wurde mit dem Carte Blanche Preis in Höhe von 10.000 Schweizer Franken bedacht.

Die Jury, darunter Frédéric Boyer, der künstlerische Leiter des Tribeca Film Festival, begründete ihre Entscheidung wie folgt: "Auf ebenso spannende wie beklemmende Art und Weise konfrontiert der Film dieses vielversprechenden Nachwuchsregisseurs aus Chile die Zuschauer mit Fragen zu Schicksal, Entscheidung und Tragödie in der zeitgenössischen Gesellschaft."

Open Doors, der Koproduktions-Workshop des Festivals, richtete seinen Fokus in diesem Jahr auf Filmprojekte aus dem Südkaukasus. Von den vorgestellten Projekten wurden fünf mit Preisen bedacht, Stifter sind hier - wie bei Carte Blanche - u.a. die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit und das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten. Über 20.000 Schweizer Franken Produktionsförderung darf sich "See You in Chechnya" von Alexander Kvatashidze (Georgien/Frankreich/Estland/Niederlande) freuen. Entwicklungsförderung in Höhe von 15.000 Schweizer Franken gehen an "Abysm" von Oksana Mirzoyan (Armenien), Postproduktionsförderung (15.000 Schweizer Franken) an "Madona" von Nino Gogua (Georgien). Der Premio ARTE Open Doors (6.000 Euro) geht ebenfalls an "See You in Chechnya", der Premio CNC (7.000 Euro) an "Sleeping Lessons" von Rusudan Pirvelli aus Georgien.

In den letzten Jahren hatte das Festival Probleme, nach Cannes und vor Venedig große, aufregende Filme für seinen Wettbewerb zu finden. Kein anderes größeres Filmfestival in Europa hat in jüngerer Vergangenheit so viele Direktorenwechsel erlebt wie Locarno. Doch diesmal liefen vom 7. bis 17. August 2013 immerhin neue Filme des Rumänen Corneliu Porumboiu und des Koreaners Hong Sang-soo. Überzeugend waren auch die Dokumentationen, während bei den Spielfilmen Schwächen auszumachen waren. Außerdem sorgt Locarno selbst mit seiner touristischen Atmosphäre und der herrlichen Landschaft am Lago Maggiore für besonderen Familiensinn.

Link: www.pardo.ch
Quellen: Süddeutsche Zeitung | SRF | Blickpunkt:Film | Der Standard | Neue Zürcher Zeitung

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