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Weser-Kurier berichtet über Berliner Kiezkinos

Ein Redakteur der Bremer Tageszeitungen AG sah sich in Berlin um.



Tobias Langenbach stellt als Gastautor seinen Artikel, der am 12. Juni 2012 im Weser Kurier erschienen war, dem BAF-Blog zur Verfügung. Auf unsere Empfehlung sprach er mit mehreren Kiezkino Besitzern und wollte näheres über Berlins OFF-Kino-Szene erfahren, denn in Bremen ist eine Kinolandschaft mit alternativen Angeboten zum Hollywood Kino kaum noch zu finden.

Bei der zunehmenden Digitalisierung der Kinos werden die Inhalte nämlich ohne die klassischen 35-mm-Filmkopie in Kinoqualität via Satellit online oder von einem Datenträger projiziert. Die Verleiher sparen Geld, weil sie keine Kopien mehr benötigen. Doch die Multiplex-Kinos und den verhärteten Fronten zwischen den einzelnen Parteien.

Der Vorstandsvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Kino – Gilde deutscher Filmkunsttheater, Christian Bräuer, sieht aus qualitativer Sicht nicht unbedingt eine Notwendigkeit der Digitalisierung, aber: „Wenn die großen Ketten ihre Leinwände komplett digitalisieren, dann geraten die Kleinen auch unter Zugzwang, weil es dann keine analogen Kopien mehr geben wird.“ Im Extremfall könnte das eine „Marktbereinigung“ bedeuten, was auch wir vom BAF e.V. befürchten.

Da der europäische Autorenfilm (- für den auch der BAF e.V. steht -) und auch die Nachwuchsförderung ausschließlich in den kleinen Kinos stattfinden, könnten weitere Konzentrationstendenzen das Kulturgut Film nachhaltig bedrohen, schreibt das Medienforum NRW.

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Jenseits von Hollywood
Besonders Studenten erfreuen sich an Berlins Kiezkinos – doch die Zukunft der kleinen Filmtheater ist ungewiss.

Abseits der großen Hollywood-Streifen bieten kleine Kinos Unterhaltung für den eigenen Stadtteil – den Kiez. Gerade in der Hauptstadt Berlin ist die Szene bunt. Wie lange es die Kiezkinos noch gibt, ist allerdings ungewiss: Riesige Kinokomplexe locken mit Hightech-Ausstattung. Zumindest technisch müssen die Kleinen nachziehen – sonst droht das Aus.

VON TOBIAS LANGENBACH

Berlin. Dünne Lämpchen hüllen den Kinosaal in warmes Dämmerlicht. Die Wände sind ganz von rotem Stoff verhüllt, genau wie die schweren Säulen, die den Saal stützen. Der Vorhang gleicht einer Wolke, die sich vor die Leinwand geschoben hat. Es ist still, noch ist kein Zuschauer da, noch liegt der Geruch von frischem Popcorn nicht in der Luft. In diesem Raum, so scheint es, sind die plüschigen 50er-Jahre längst nicht vergangen.

Der Saal gehört zu den Eva-Lichtspielen im Berliner Bezirk Wilmersdorf – ein kleines Kino, durch die unscheinbaren grüngrauen Platten an der Außenfassade leicht zu übersehen. Abends jedoch leuchtet der elegante Neon-Schriftzug „Eva“ rosa in die Dunkelheit. Das „Eva“ gehört zu den sogenannten Kiezkinos. Gerade in der Hauptstadt Berlin ist die Szene lebendig und bunt, rücken Kiezkinos durch Festivals wie die Berlinale in den öffentlichen Fokus. Es sind Kinos für den eigenen Bezirk. Für das, was abseits der Hollywood-Blockbuster liegt: Dokumentarfilme, Kunststreifen und politische Filme auch aus dem Ausland.


Zahlreiche Nischenkinos in Berlin mussten bereits schließen. Das „Eva“ im Stadttteil Wilmersdorf hält sich trotz Konkurrenz.
FOTO: RALF HERZIG

Die meisten Kiezkinos sind alt. Die Eva-Lichtspiele begannen 1912 den Betrieb. Aber wie lange gibt es sie noch in einer Zeit, in der Kino-Paläste mit riesigen Vorführsälen, Luxus-Sesseln mit Getränkehaltern und bis zum Anschlag aufgedrehten Soundsystemen locken? Zudem sind manche Kiezkinos schwer zu finden: Wer ins „Eiszeit“ im Berliner Bezirk Kreuzberg will, muss Hinterhöfe und enge Treppenhäuser passieren. Nicht jeder findet den Weg.

Viele bevorzugen das Heimkino
Etwa 50 Kiezkinos gibt es noch in Berlin, schätzt Wolf Friedel vom Berliner Arbeitskreis Film e.V. (BAF), dem Filmverband für Berlin und Brandenburg. Genau so viele mussten in den letzten Jahrzehnten zumachen. Demgegenüber stehen zwölf Multiplexkinos mit rund 200 Hightech-Kinosälen. Zu viel, um überleben zu können? Friedel ist sich sicher: „Kiezkinos sterben aus.“ Der Grund seien nicht alleine die großen Konkurrenten, die den unabhängigen kleinen Betreiber vom Markt fegen. Eine Rolle spiele auch der wachsende Technik-Standard zu Hause: riesige Flachbildfernseher, Dolby-Surround-Systeme, dazu die neuesten Filme auf DVD, Blue Ray oder aus dem Internet heruntergeladen. „Das ist auf Dauer billiger als die Kinokarte und bedeutet weniger Stress“, meint Friedel. „Wenn Kiezkinos überleben wollen, müssen sie Nischen finden.“

Programmkinos wird es immer geben“ hält der Betreiber der Eva-Lichtspiele Karlheinz Opitz dagegen. Auch er argumentiert mit der Nische: Wichtig sei, vom Kiez, seinen Bewohnern, seiner Mentalität, bestmöglich zu profitieren. „In Wilmersdorf leben viele ältere Menschen. Ich nehme Filme ins Programm, die ihnen zusagen.“ Filme mit dem Schauspieler Bruno Ganz sind beliebt. Gerade läuft ein Streifen über ältere Menschen in einer Wohngemeinschaft. Einmal die Woche zeigt Opitz einen Schwarz-Weiß-Film. Auch entscheidend: der Service. „Viele Gäste wollen Filmempfehlungen von mir“, sagt Opitz. „Dann nehme ich mir Zeit für einen Plausch.“

Das immer hinzubekommen, ist nicht einfach. Opitz beschäftigt sieben Mitarbeiter, montags und donnerstags macht er aber alles alleine: Kassieren, Tickets abreißen, den Film vorführen, saubermachen. Viel Arbeit. Verdient er da noch mit seinem Kino? Der Betrieb des Kinos kostet laut Opitz 8500 Euro im Monat. Mit eingerechnet sind Personal und Strom. „Ich kann gut vom Kino leben, sonst würde ich das alles nicht machen“, stellt Opitz klar.



Ist das „Eva“ ein Einzelfall? Das „Eiszeit“ in Kreuzberg wird von Suzan Beermann betrieben. Das „Eiszeit“ profitiere von der Gentrifizierung, einem Großstadt-Phänomen, bei dem die Mieten steigen, und langjährige Bewohner aus ihren Wohnungen verdrängt werden. Die Wohnungen wiederum werden renoviert und dann für mehr Geld weitervermietet. Kreuzberg gilt inzwischen als hip und angesagt. Junge Menschen kommen, viele von ihnen sind Künstler und Studenten. „Meistens sind es die neu Zugezogenen, die uns im Internet entdecken“, sagt Beermann. Besonders das ausgefallene Filmprogramm reizt die Kinofans. Beermann zeigt Filme aus dem Nahen und Fernen Osten sowie aus Lateinamerika. Bei den Kinobesuchern findet das Anklang, viele kommen aus dem Ausland. Außerdem organisiert die Betreiberin Diskussionsrunden mit angereisten Regisseuren.

Zu schaffen macht den kleinen Kinos auch die Technik: Klassische Filmrollen werden zwar immer noch verwendet, die Verleiher drängeln allerdings auf Digitalisierung. Um Fördergelder für den nötigen Umbau zu beziehen, muss ein Kino eine bestimmte Größe haben. Angeschafft werden muss ein neuer Projektor, oft auch eine Klimaanlage für Saal und Technik. „Gerade bei den kleinen Kinos fehlt da oft das Geld“, weiß Filmexperte Friedel. Das „Eva“ hat bereits umgerüstet, im Vorführraum steht ein riesiger, hochmoderner Projektor mit leuchtendem Display und Tastatur. Das „Eiszeit“ ist noch mittendrin. Es gibt einen Blue-Ray-Spieler, das größere, modernere Gerät kommt aber noch. „Wir müssen digitalisieren, wir können die Zeit ja nicht anhalten“, sagt Betreiberin Beermann. Beermann und Opitz scheinen ihre Nische gefunden zu haben. Andere Kiezkinos haben sich in Berlin zu einer eigenen Kinogruppe zusammengeschlossen – es scheint, als sei das Ende so schnell noch nicht gekommen. Doch wie es langfristig weitergeht, weiß niemand so recht.

Links: www.eva-lichtspiele.de | www.eiszeitkino.de
Quellen: Weser Kurier | Medien Forum NRW


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