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Fazit des 64. Festival de Cannes 2011



Großes Interesse am Deutschen Empfang in Cannes.
Wie fast üblich, begrüßte Kulturstaatsminister Bernd Neumann die Gäste auf dem Deutschen Empfang in Cannes. Und doch war etwas anders, als im vergangenen Jahr, denn diesmal befand sich an seiner Seite auch der Direktor der Berlinale, Dieter Kosslik. Im letzten Jahr noch hatte sich dieser beschlossen, nach 27 Jahren regelmäßiger Anwesenheit auf dem größten A-Festival, Cannes einmal fernzubleiben. Auf einer Podiumsdiskussion der Internationalen Medienhilfe (siehe BAF-Blog vom 14. Mai 2010) verkündete er damals mit gewisser Häme, nicht noch einmal in Cannes jene Filme sehen zu wollen, die bei der 60. Berlinale 2010 in der Auswahlkommission durchgefallen waren.

Kein deutscher Film im Wettbewerb
Doch die 61. Internationalen Filmfestspiele in Berlin waren im Februar 2011 nicht durchweg gelungen, sodass von einigen Seiten mehr Kritik als sonst verübt wurde. Vielleicht ein Grund, sich wieder einmal in Cannes (11.-22. Mai 2011) umzusehen, ob hier manches besser gelingt. Dabei war im Vorfeld schon klar, dass diesmal kein deutscher Film im Wettbewerb laufen würde. Nur Andreas Dresens "Halt auf freier Strecke" in der Nebenreihe "Un Certain Regard" war eine der wenigen deutschen Produktionen, die mit Spannung erwartet wurde und viel Lob von den Kritikern erhielt. Auch in diesem Film waren kaputte Kindheiten von Jungs zu finden - das Leitmotiv des diesjährigen 64. Festival de Cannes; wenngleich die Seelenqualen der Kinder ihres totkranken Vaters nur indirekt und nicht vordergründig im Mittelpunkt des Films standen. Zentrales Thema waren sie aber in "Michel" des Österreicher Markus Schleinzer, der mit seinem Martyrium eines Zehnjährigen, der im Keller eines bunkerartigen Vorstadthauses von einem Pädophilen gefangen gehalten wird, tatsächlich am Wettbewerb teilnehmen konnte. Bei diesem Film sollten wohl die Erinnerungen an den hinlänglich bekannten Fall Natascha Kampusch wieder wach gerüttelt werden. Besser und wirklich überzeugend gelingen Jugendramen den belgischen Brüdern Jean-Pierre und Luc Dardenne in "Le gamin au vélo" (Der Junge mit dem Fahrrad) schreibt der Tagespiegel. Der vom Vater in Heim gesteckte Elfjährige erzwingt seine Freiheit immer wieder durch Flucht. Sein Überlebenskampf imponiert jedoch und berührt.

Viele Koproduktionen mit deutscher Beteiligung
Insgesamt liefen in diesem Jahr immerhin zwölf Filme mit deutscher Beteiligung in den verschiedenen Festivalreihen, darunter erfreulicherweise auch in der Nachwuchssektion Cinefondation, so dass einem auch um zukünftige deutsche Entdeckungen in Cannes nicht bange sein muss, schreibt Blickpunkt Film. Der deutsche Film hat in den vergangenen zehn Jahren im Ausland "an Attraktivität deutlich zugenommen, was einerseits die zahlreiche Auszeichnungen belegen, andererseits an den internationalen Aktivitäten deutscher Produktionsgesellschaften liegt. Auch auf der Berlinale war ein Großteil der internationalen Wettbewerbsfilme in irgendeiner Weise mit deutscher Beteiligung entstanden. Dennoch betonte Kulturstaatsminister Bernd Neumann, dass nicht die Anzahl der Filme im Wettbewerb um die Goldene Palme entscheidend sei, sondern die konstante Präsenz der deutschen Filme, der deutschen Regisseure und deren Produktionsgesellschaften in Cannes. Allein letztere demonstrieren und verbürgen für die Qualität aus deutschen Landen. Immerhin sei der deutsche Film inzwischen mit über 20 Prozent Marktanteil auch im Inland beliebt, weshalb der Deutsche Filmförderfonds (DFFF) auch über 2012 hinaus in gleicher Höhe fortgesetzt werde.

Auch jenseits von Cannes überzeugt der „Deutsche Film“. Beim fast gleichzeitig stattfindenden 15. Europäischen Filmfestival in Bukarest (11.-17. Mai 2011) wurde "Poll" von Chris Kraus als »Bester Film« vom rumänischen Publikum ausgezeichnet. Das historische Drama um ein junges Mädchen (Paula Beer), das am Vorabend des Ersten Weltkrieges den Untergang einer ganzen Welt erlebt, war in diesem Jahr u.a. bereits beim Deutschen Filmpreis mit vier Goldene Lolas und beim Bayerischen Filmpreis mit drei Pierrots ausgezeichnet worden sowie in Rom (Beste Regie; Beste Musik) und Tallinn (Beste Regie) geehrt. Mit inzwischen 120.000 Zuschauern läuft der Film seit 14 Wochen erfolgreich in den deutschen Kinos. Noch erfolgreicher aber ist die Komödie "Almanya - Willkommen in Deutschland" von Regisseurin Yasemin Samdereli, die dieser Tage den Sprung über die Marke von einer Mio. Kinobesuchern geschafft hat.

Eklat um Dogma-Regisseur Lars von Trier
Zu einem Eklat führte dagegen die Pressekonferenz des dänischen Dogma Filmers Lars von Trier, der nicht nur über seine deutschen Wurzeln sprach, sondern sich bei der Vorstellung seines Film "Melancholia" als Nazi outete. Später entschuldigte er sich für seine Äußerungen, da er weder judenfeindlich sei, noch den Zweiten Weltkrieg gut fand, dafür aber die bombastische Architektur von Albert Speer als Filmemacher liebt. Ob diese Äußerungen nun Marketing für seinen apokalyptischen aber gelungenen Film über den Weltuntergang im Angesicht eines herannahenden Killer-Meteoriten waren oder tatsächlich ernst gemeint waren, lässt sich nicht mehr erörtern.

Das Festival strich den Film nach der Vorführung zwar nicht von der Wettbewerbsliste aber erklärte den Regisseur zur "persona non grata" und verwies ihn vom Festivalgelände. Ein noch nie dagewesener Vorfall. Lars von Trier darf nunmehr keine Auszeichnung des Festivals persönlich entgegennehmen. Immerhin hatte er im Jahre 2000 mit "Dancer in the Dark" die Goldene Palme gewonnen. Bitter ist außerdem für ihn, dass sein Regisseur-Kollege Emir Kusturika, der als erklärter Großserbe und bekennender Verehrer der Kriegsverbrecher Karadžić und Milošević, in der Cannes Nebenreihe "Un Certain Regard" nicht nur als Jury-Präsident fungiert, sondern auch noch den französischen Ritterorden der Ehrenlegion erhielt. Dass Lars von Trier als labil gilt, ist hinlänglich bekannt. Die Ursachen mögen u.a. darin liegen, dass er von einem jüdischen Stiefvater großgezogen wurde, während sein leiblicher Vater, von dem er erst am Sterbebett seiner Mutter erfuhr, Deutscher war.

Zahlreiche Einkäufe zum Endspurt
Nachdem sich bis zum siebenten Tag unter den Journalisten kein eindeutiger Kandidat für die Goldene Palme herauskristallisiert hat, denn Alain Cavaliers "Pater" sowie Naomi Kawases "Hanezu no tsuki" erwiesen sich als schwere Geduldsbrocken, schwankten die Meinungen zwischen Sympathie für Aki Kaurismäkis "Le Havre" und Begeisterung für den schwarzweißen Stummfilm "The Artist" von Michel Hazanavicius. Es geht also auch ohne Effekthascherei und 3D-Kino, um ein Publikum zu verzaubern, während sich bei Terrence Malicks ultimativen Breitbild Epos "The Tree of Life" mit seinen bildschönen Naturaufnahmen einige kräftige Buh-Rufe mischten. Im Mittelpunkt des amerikanischen Films steht eine Familie im Texas der 50er Jahre. Ein autoritärer Vater (Brad Pitt) und drei aufbegehrende Söhne, von denen einer ums Leben kommt.

Den starbesetzten Abschlussfilm des Festivals sicherte sich die Senator Entertainment AG auf dem Filmmarkt in Cannes. Neben dem Erwerb von Christophe Honorés "Beloved", der den Bogen vom Paris der 1960er Jahre bis ins heutige London spannt und in den Hauptrollen Catherine Deneuve, Chiara Mastroianni, Ludivine Sagnier und Milos Forman präsentiert, konnte sich der Filmverleih schwerpunktmäßig zahlreiche weitere europäische Filme sichern.

Die ersten Preise
Eine der ersten Gewinnerinnen, die gestern Abend bekannt gegeben wurden, war die Berlinerin Doroteya Droumeva. Die Nachwuchsregisseurin und Studentin der Deutschen Film- und Fernsehakademie, erhielt den mit 15 000 Euro dotierten Hauptpreis des Kurzfilmprogramms "Cinéfondation" für ihr 30-minütiges Werk "Der Brief". Der Film handelt von der jungen Frau Maja, deren Leben durcheinandergerät als sie erfährt, dass sie schwanger ist.

Der Österreicher Karl Markovics wurde für sein Spielfilmdebüt "Atmen" in der Nebenreihe "Quinzaine des réalisateurs" mit dem Verleiher-Preis "Europa Cinemas Label" als bester europäischer Spielfilm ausgezeichnet. Das Drama handelt von einem 19-jährigen Freigänger einer Jugendstrafanstalt, der keine Familie hat. Doch dann stößt er im städtischen Leichenschauhaus auf eine Tote, die seinen Nachnamen trägt und begibt sich auf die Suche nach seiner Mutter, der er noch nie begegnet ist.

In der Sektion "Un certain regard" konnte Andreas Dresen mit seinem Krebsdrama "Halt auf freier Strecke" überzeugen. Der 47 Jahre alte Regisseur teilt sich den Hauptpreis allerdings mit dem Koreaner Kim Ki-duk, der für sein autobiografisches Werk "Arirang" geehrt wurde.

Die ökumenische Jury ehrte außerdem den Wettbewerbsbeitrag "This Must Be the Place" des Italieners Paolo Sorrentino. Darin macht sich Hollywoodstar Sean Penn als einstiger Rockstar auf die Suche nach einem Nazi-Verbrecher. Der Film "Le Havre" des Finnen Aki Kaurismäki erhielt eine lobende Erwähnung.



Die Goldene Palme von Cannes
Gewinner der "Goldenen Palme" wurde - wie nach den opulenten Bildern des hier eingefügten YouTube Trailers und sechs Jahre Schnitt beinahe vermutet - das mystische Familiendrama „The Tree of Life“ von Terrence Malick, mit Brad Pitt als Vater dreier Söhne in der Hauptrolle, von denen jedoch der Jüngere stirbt.

Als beste Schauspielerin wurde am Sonntagabend an der Croisette Hollywoodstar Kirsten Dunst für ihre Rolle in Lars von Triers "Melancholia" geehrt. Als bester Schauspieler wurde der Franzose Jean Dujardin für sein Wirken in dem Schwarz-Weiß-Film "The Artist" ausgezeichnet. Der Große Preis der Jury - in diesem Jahr unter Vorsitz von Robert De Niro - ging zu gleichen Teilen an den türkischen Krimi "Once Upon a Time in Anatolia" von Nuri Bilge Ceylan und an das Sozialdrama "The Kid with a bike" von den belgischen Brüdern Jean-Pierre und Luc Dardenne. Der Däne Nicolas Winding Refn nahm für den US-Actionfilm "Drive" - mit Ryan Gosling - die Palme als bester Regisseur entgegen. Der Jury-Preis ging an die französische Gesellschaftsstudie "Polisse". Die israelische Gelehrten-Tragikomödie "Footnote" gewann die Palme fürs beste Drehbuch. Die Goldene Kamera für den besten Erstlingsfilm ging an den argentinischen Film "Las acacias" von Pablo Giorgelli.

Link: www.festival-cannes.com

Quellen:
dpa | Blickpunkt:Film | Tagesspiegel | Medienboard | Badische Zeitung | Stern


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