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US-Filmkritiker ärgert sich zurecht über 3D-Filme

Auch Wim Wenders übt Kritik an vielen 3D-Produktionen.



Auf der letzten Berlinale war Wim Wenders 3D-Film "Pina" über das weltberühmte Wuppertaler Tanztheater einer der Höhepunkte. Dabei hatte der Meister lange gezweifelt, ob das Einfangen von Tanzbewegungen mit der Kamera überhaupt dem Thema gerecht werden kann. Die komplexen Bewegungen des Tanzes sind zwar auf der Leinwand schön anzuschauen, doch wer den ganzen Raum des Tanzes der Bühne erfassen will, muss in die Tiefe gehen, ohne den Zoom zu benutzen. Dazu bietet sich die Steadicam an, ein Schwebestativ mit dem der Kameramann den Bewegungen des Tanzpaares auf den Schritt genau folgen kann.

Gepaart mit der Errungenschaft des dreidimensionalen Films, ist der Zuschauer nicht mehr Betrachter von der Ferne, sondern befindet sich mitten drin im Tanzgeschehen. Die Technik dafür musste der Regisseur jedoch erst selbst erfinden. Neben den klassischen Dolly- und Kranfahrten wurden zwei besonders leichte Kameras auf ein Spezial-Rig montiert, um das Steadicam nicht allzu schwer werden zu lassen. Die Bewegungen des Kameramanns wären sonst eingeschränkt gewesen. Auf keinen Fall darf bei 3D-Aufnahmen das Teleobjektiv oder der Zoom benutzt werden, denn dann bekomme man Kopfschmerzen, weil die Kameraansichten physisch unangenehm werden. Das menschliche Auge wurde auch nicht mit einem Fernglas ausgestattet.

Deshalb hält Wim Wenders auch nichts von dem seit diesem Jahr im Fernsehen übertragenen dreidimensionalen Fussballübertragungen, von denen sich die großen TV-Hersteller wie beispielsweise Sony viel erhoffen. Dabei kommen "Kasperlefiguren" heraus, sagte Wenders in einem Interview. Die Entwicklung des 3D-Kinos sieht der Autorenfilmer deshalb mit Ernüchterung. Nach dem ersten Meisterwerk von Camerons "Avatar" sei "nur Mist" herausgekommen, der von der Technik her weit unter der vorgegebenen hohen Latte der 3D-Referenz "Avatar" liegt. Auf der CinemaCon, der größten Kinomesse der Welt, die vom 28.-31. März 2011 in Las Vegas stattfand, sagte sogar James Cameron, dass noch vieles am 3D-Erlebnis zu verbessern sei. Er plädierte nicht nur für eine Erhöhung der Bilderfrequenz von den üblichen 24 auf 48 oder gar 64 Bildern pro Sekunde, sondern bemängelte, dass zu viel an der Helligkeit der Projektorenlampen gespart würde.

Auch US-Filmkritiker Roger Ebert erklärt den 3D-Film für tot

Dunkel, flimmernd, Kopfschmerzen verursachend und verstörend - das ist das Fazit des Oscar-prämierten Cutters Walter Murch zum gegenwärtigen 3D-Kino. Murch schrieb das in einem Brief an den Filmkritiker Roger Ebert, der deshalb das Thema 3D für erledigt hält.

Zwei Koryphäen der US-amerikanischen Filmlandschaft sind sich einig: So wie 3D-Film heute funktioniert - also mit Brillen und Stereoskopie - kann das Prinzip eigentlich nicht gutgehen. Angestoßen hat die Debatte Roger Ebert mit seiner Kritik des 3D-Films "Green Hornet". Ebert besitzt in den USA für Filme annähernd den Status, den Marcel Reich-Ranicki in Deutschland in der Literaturwelt genießt.

Wie Reich-Ranicki auch, ist Ebert ein Freund deutlicher Worte. Eines seiner Bücher heißt etwa "Your movie sucks", frei übersetzt: "Dein Film ist Mist". Und nur mit einer Fußnote in der Kritik zu Green Hornet, bei der er 3D als einen Weg bezeichnete, "um für ein dunkles Bild extra abkassiert zu werden", rief Ebert den Schnittexperten Walter Murch auf den Plan.

Murch, der für Sound Design und Filmschnitt von "Der englische Patient" mehrere Oscars erhielt, stimmte Ebert in einem Brief zu, den Ebert veröffentlicht hat. Darin fasst er zwar nur zusammen, was Kritiker bei 3D-Filmen ohnehin schon lange bemängeln - anstrengend und zu dunkel -, aber Murch erklärt auch anschaulich, warum das so ist.

Wie auch Verteidiger von 3D-Filmen anerkennen, sind die Gewohnheiten des menschlichen Sehapparates. Dieses komplexe Zusammenspiel von Augen und Gehirn sieht unter anderem den Effekt der Schärfentiefe vor: Das, worauf der Betrachter seinen Blick richtet, ist scharf, was vor oder hinter diesem Schärfepunkt liegt, wird unscharf. In den Sehgewohnheiten sind also Schärfe und Distanz verknüpft.

Heutige 3D-Filme, so führt Walter Murch aus, zwingen dem Zuschauer aber eine Entkoppelung von Schärfe und Distanz auf. Der vor allem im klassischen Kino beliebte Effekt der geringen Schärfentiefe wird durch 3D nicht aufgegeben, aber die Filmemacher können nicht wissen, wohin der Zuschauer gerade blickt. Konzentriert er sich beispielsweise während einer Dialogszene - bei der die Protagonisten scharf gestellt sind - auf den Hintergrund, ist das für den Sehapparat sehr anstrengend.

Die eigene Zuordnung von Schärfe und Distanz ist durch das vorgegebene Bild nicht mehr möglich, denn sonst müssten bei diesem Beispiel die miteinander sprechenden Personen unscharf werden, und der Hintergrund scharf. Die beiden Bilder des stereoskopischen 3D zwingen dem Zuschauer aber scharfe und unscharfe Bereiche sowie Entfernungen von Bildelementen zueinander auf.

Technikfans widersprechen

Walter Murch schließt sein Schreiben an Ebert mit den Worten: "Also: Dunkel, flimmernd, Kopfschmerzen verursachend und verstörend. Und teuer. Die Frage ist: Wie lange dauert es, bis die Leute das bemerken und der Sache überdrüssig werden?". Roger Ebert hält dies für die letzten Worte zum Thema 3D und schreibt: "Der Fall ist abgeschlossen."

Eher technisch orientierte Beobachter widersprechen natürlich. So hält das Blog Crunchgear die Texte der beiden Filmexperten für eine "fehlgeleitete Verteufelung". Auch Crunchgear erkennt dabei aber das Problem von vorgegebener Schärfe und Distanz an, meint jedoch, dies liege am falschen Einsatz von 3D. In den letzten zwei Jahren habe 3D große Fortschritte gemacht, und die Filmemacher würden es noch nicht immer richtig verwenden, steht in dem Blog. Letztendlich würden die Nachteile des Verfahrens nur bei "schlechten Filmen" sichtbar, so Crunchgear. Auch Gerold Marks von dem Berliner Blog Digitale Leinwand.de widerspricht und mokiert sich über den US-Kritiker, der angeblich noch nie ein gutes Wort für 3D-Filme übrig hatte.

Da die Probleme bekannt sind, haben Forscher schon damit begonnen, 3D-Bildschirme zu entwickeln, die genau das verhindern sollen. Von der Marktreife sind solche Geräte aber noch weit entfernt. Das hält die Unterhaltungsindustrie aber nicht davon ab, immer mehr Filme und anderes Material in 3D zu produzieren, schreibt die Berliner Morgenpost am 28.01.2011 im ePaper ihres Online Archivs. Das ist auch wichtig, denn der 3D-Content ist noch recht dürftig. Dennoch sind Marktforscher der GfK überaus überrascht, dass nach jüngsten Erhebungen der Gesellschaft für Unterhaltungs- und Kommunikationselektronik (gfu), der Absatz von 3D-TVs mit insgesamt 187.000 Geräten, um ca. 30.000 Stück höher war als erwartet. Darüber hinaus sollen Initiativen zur Standardisierung von 3D-Brillen künftig auch Drittanbietern den 3D-Markt öffnen. Kunden könnten dann mit einer noch größeren Angebotsvielfalt und attraktiveren Preisen rechnen und vor allem 3D-Brillen in passender Sehstärke ordern. Außerdem hat Samsung bereits einen Prototypen gezeigt, der ohne Brille auskommen soll.

Trotz aller Diskrepanzen sind sich Blogger und Cutter in einem sogar einig: Walter Murch hält eine "gute Story" weiterhin für das Wichtigste, um den Zuschauer zu fesseln. Dieser Meinung war schon vor Jahrzehnten ein anderer Großer des Films, Alfred Hitchcock. Eines der berühmtesten Zitate des Regisseurs lautet: "Um einen tollen Film zu machen, braucht man drei Dinge: Das Drehbuch, das Drehbuch und das Drehbuch", schrieb auch Golem in einem Artikel am 25. Januar 2011, den wir hier auszugsweise veröffentlichten.

Noch sarkastischer schreibt der Tagesspiegel über den neuen Disney Film "Tron", der Anfang des Jahres zum Publikumsmagneten unter den 3D-Filmen avancierte. Die Story sei "missraten" und nicht einmal für Kinder von 12 Jahren verständlich. Doch das ist genau die Zielgruppe die Disney offensichtlich mit dem Film erreichen wollte. Aber dem wird der Film nicht gerecht, der einen Spagat zwischen anspruchvollem Cybergame í  la "Matrix Trilogie" und einem Kinderfilm darzustellen versucht. "Tron: Legacy" bombardiert den Zuschauer mit allem, was das aktuelle Kino so kann, führt aber nicht darüber hinaus, schreibt Sabine Horst am 26.01.2011 im Tagesspiegel.

Watch Trailer on YouTube.

Und Lutz Göllner ergänzt am 27.01.2011 im Tagesspiegel. „Tron: Legacy“ ist zu aufgebläht mit ernsten Themen: Holocaust, ein Gotteskomplex, ein verlorenes Paradies.

Medienboard-gefördert: Das Computerspielemuseum in Berlin

Passend zum Start des "Tron" 3D-Films eröffnete in Berlin auch Deutschlands erstes Computerspielemuseum mit einer ständigen Ausstellung. Auf 670 Quadratmetern können die Besucher die sechzigjährige Kulturgeschichte der Games buchstäblich nachspielen. Von „Pong" bis zu „Super Mario" können alle Meilensteine der Gamesentwicklung neu- und wiederentdeckt werden. „Computerspiele. Evolution eines Mediums" ist der Titel der weltweit einmaligen Ausstellung. Ziel ist unter anderem, das Thema Games einem breiten Publikum zu vermitteln. Das Medienboard Berlin-Brandenburg hat die Konzeptentwicklung des Museums gefördert.

Neben den tatsächlich spielbaren Games, künstlerischen Installationen und Originalexponaten - wie etwa der Brown Box, ComputerSpace, dem Atari 2600 oder der Xbox - geht es dem Museum auch um eine Auseinandersetzung mit dem zwiespältigen Verhältnis insbesondere der Deutschen zu Computerspielen.

Medienboard-Geschäftsführer Elmar Giglinger: „Die Gamesbranche hat Wichtiges zur Entwicklung der Medien beigetragen, technologisch wie inhaltlich. Dass ein Museum diese Geschichte und ihre Verdienste sichtbar macht, begrüße ich sehr."

Ein regelmäßiges Begleitmedium, das als Buch und als multimediale Publikation erscheint, gibt darüber hinaus einen umfangreichen Überblick über die Akteure und Leistungen der Gamesszene der Hauptstadtregion. Der Prototyp für diese hochwertige multimediale Museumsedition wurde ebenfalls vom Medienboard gefördert.

Computerspielemuseum
Karl-Marx-Allee 93a
10243 Berlin-Friedrichshain
Link: www.computerspielemuseum.de

Mehr unter Tagesspiegel vom 27.01.2011

Quellen: Medienboard | Golem | Morgenpost | Tagesspiegel | dapd


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Kommentare

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Spiele Roulette am :

Genialer Comment, dies wollte ich schon mal ausdrucken, wusste nur niemals wie man das zu Papier bringen konnte .

Dietrich Reisler am :

Großartiger Artikel! Zwei Zitate möchte ich dabei besonders hervorheben und kommentieren:

"So wie 3D-Film heute funktioniert - also mit Brillen und Stereoskopie - kann das Prinzip eigentlich nicht gutgehen."
-> Dem stimme ich zu. Allerdings ist Stereoskopie zurzeit noch in einem Prozess der Entwicklung und verbessert sich immer wieder. Nach dem gigantischen Erfolg von Camerons "Avatar" wollen alle auf den Zug mit aufspringen und in vielen Fällen ist dies von vornherein zum Scheitern verurteilt. Ich erinnere mich noch letztes Jahr als "Kampf der Titanen" (2010) in den Kinos lief und und Jeffrey Katzenberg zurecht über den Film hergezogen ist: "We've seen the highest end of (3D) in "Avatar" and you have now witnessed the lowest end of it (in "Titans"). You cannot do anything that is of a lower grade and a lower quality than what has just been done on "Clash of the Titans." It literally is "OK, congratulations! You just snookered the movie audience." (http://latimesblogs.latimes.com/the_big_picture/2010/04/katzenberg-on-clash-of-the-titans-cheesy-3d-you-just-snookered-the-movie-audience.html)

Dennoch bin ich der Meinung, dass der 3D-Film auf gutem Wege ist. Unternehmen merken, dass man dem Publikum nicht alles zum Fressen vor die Füße werfen kann und der Effekt, dass viele Unternehmen auf den Zug noch mit aufspringen wollen, lässt nach.

____
"Auch Crunchgear erkennt dabei aber das Problem von vorgegebener Schärfe und Distanz an, meint jedoch, dies liege am falschen Einsatz von 3D. In den letzten zwei Jahren habe 3D große Fortschritte gemacht, und die Filmemacher würden es noch nicht immer richtig verwenden, steht in dem Blog. Letztendlich würden die Nachteile des Verfahrens nur bei "schlechten Filmen" sichtbar, so Crunchgear."
-> Zustimmung! Hinzufügen möchte ich noch, dass man das Problem der Zuordnung von Schärfe und Distanz bei stereoskopischen Filmen teilweise umgehen kann. Blickführung ist dabei der Schlüssel zum Erfolg. Wenn man es schafft den Blick des Zuschauers genau auf die Bildelemente zu lenken, die angesehen werden sollen, so würde man das genannte Problem teilweise umgehen. Teilweise, weil mit Sicherheit nicht alle Zuschauer dabei durchgehend mitspielen.

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