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Das neue europäische digitale Filmarchiv

Nicht einmal die Hälfte der produzierten Filme eines Jahres lagert in Archiven.

Untersuchungen haben gezeigt, dass vor allem im Dokumentarbereich viele Filme bei uns bisher noch nicht archiviert worden sind, sodass sich die Diskussion um eine Pflichtangabe, wie in anderen Ländern bereits üblich, erneut stellt. Wie können Dokumentarfilmer ihre Filme sichern? Ist eine Erhaltung des kompletten gedrehten Materials möglich? Wie wird in den Produktionsfirmen das Material gesichert? Besteht die Gefahr, dass dokumentarisches Material mittelfristig unwiederbringlich verloren geht, da es elektronisch gedreht wurde?

All diese Fragen stellten sich bei einer Tagung in Stuttgart Ende April, die wir im BAF-Blog am 9. April 09 angekündigt hatten und die auch knapp ein Jahr zuvor bereits Thema eines Expertengesprächs in Berlin waren. (Siehe BAF-Blog vom 17.7.08 und 15.6.08)

Inzwischen hat sich einiges getan und Untersuchungen des TÜV haben bestätigt, dass die Archivierung von Filmen auf Blu-ray Medien deutlich haltbarer ist, als auf bisherigen Medien. Auch im Bereich der Online-Archivierung wurde in den letzten Jahren deutlich aufgerüstet. Wichtige empfindliche Daten werden an verschieden Orten auf der Welt mehrfach gespiegelt auf Servern gelagert. Ein lokaler Crash soll auf keinen Fall irgendwelche Daten auf Ewigkeit löschen können. Regelmäßige automatische Backups auf immer neueren Systemen, die sich einer fortgeschrittenen Technik anpassen, sollen den nahezu unwahrscheinlichen Totalverlust minimieren.

Dennoch stellen sich grundsätzliche Fragen nach Aufgaben und Funktionen der Archive. Sollen sie die Filme in erster Linie bewahren und für die Zukunft sichern? Oder sollen sie die Filme vor allem zugänglich machen? Wie soll man mit der Vielfalt digitaler Formate und Techniken umgehen? Wie kann garantiert werden, dass die Träger mittelfristig noch abspielbar sind? Spezialisten waren sich bisher einig, dass das 35 mm-Negativ garantiert langfristige Speicherung ermöglicht, da Polyesterfilm kaum altert. Doch wer trägt die Kosten dafür? Und wie stabil bleibt die korrekte Farbwiedergabe nach Jahren der Aufbewahrung? Die Digitalisierung und das Internet bieten andererseits große Chancen für die Archive, ihre Kataloge und Bestände online zu präsentieren und so neue Nutzer zu erreichen.

Darüber hinaus ist die Rettung von Farbfilmen ein wichtiges Problem von Film- und Fernseharchiven in allen Ländern geworden. Tropische oder subtropische Klimata mit hohen Temperaturen und Luftfeuchtigkeit verkürzen die Haltbarkeit von Farbfilmen beträchtlich. Vor allem in den Ländern Asiens, Afrikas, und Lateinamerikas sind Verluste am nationalen Kulturerbe kaum noch zu vermeiden, wie Forschungsergebnisse der Zürcher Hochschule der Künste aufzeigen. (siehe BAF-Blog vom 16.8.08)

Bereits 1980 hatte die UNESCO auf ihrer 21. Generalkonferenz eine Empfehlung zur Rettung des Kulturgutes und der empfindlichen Filmarchive verabschiedet und die Regierungen auf ihre Verantwortung zur Erhaltung des Erbes an Filmen und Fernsehaufzeichnungen hingewiesen. Damals hatten langjährige wissenschaftliche Untersuchungen in einem Forschungsinstitut der UdSSR die günstigsten, d.h. auch die wirtschaftlichsten Parameter zur Langzeitlagerung von Farbfilmen ermittelt. Eine stetige Kühlung bei einer Temperatur von -7º C und eine relative Luftfeuchtigkeit von 25 Prozent ergab die besten Ergebnisse für das empfindliche Farbmaterial. Ein spezielles Schleusensystem sollte dafür sorgen, dass sich zu entnehmendes Material allmählich an die Außenbedingungen anpassen kann. Als eines der ersten Länder hatte die damalige DDR in dem neuen Kühlhaus in Berlin-Wilhelmshagen die russischen Versuche in der Praxis angewandt. Die positiven Ergebnisse wurden von der technischen Kommission der Internationalen Organisation der Filmarchive (FIAF) bestätigt. Allerdings war die stetige Kühlung nicht minder Energie verzehrend, wie die heutige Datenspeicherung auf Computern.

Anfang dieses Jahres ist unter www.filmarchives-online.eu ein Filmarchiv online gegangen, das 18 europäische Filmarchive auf einem zentralen Internet-Portal vereint. Das Projekt MIDAS, das "Filmarchives online" initiiert hat und von der EU gefördert wurde begann im Jahre 2007, doch erst nach Ende der dreijährigen Pilotphase sind Daten von allen 18 am Projekt beteiligten Archiven abrufbar. Nach und nach werden die Katalogdaten nun auch um digitalisierte Filme und Film Stills ergänzt. Der Anlass, ein solches Projekt in Angriff zu nehmen war vor allem die Tatsache, dass das kulturelle Filmerbe unseres Kontinents auf eine Vielzahl von Länder verstreut in einer Vielzahl von Archiven liegt und es bislang zeit- und personalaufwendiger und damit auch kostenintensiver Recherchen bedarf, um Filme zu lokalisieren.

Standardisierte Nutzungen der Archive von außen waren praktisch unmöglich und scheiterten nicht selten auch an sprachlichen Hürden. Die Erstellung einer gemeinsamen, mehrsprachigen, online zugänglichen Datenbank sollte die effektive und umfassende Verbreitung des Filmerbes sowohl für eine an Filmkultur interessierte Öffentlichkeit wie auch für die Film- und Fernsehwirtschaft maßgeblich erleichtern. Im Filmarchiv-Bereich besteht das grundlegende Problem, dass Archivbestände im Unterschied etwa zu Bibliotheken kaum standardisiert dokumentiert sind und Filmarchive somit über sehr heterogene Datenbankmodelle verfügen. Dies erschwerte die Verfügbarmachung der Daten im Internet in einem gemeinsamen Verbundkatalog erheblich. "Filmarchives online", koordiniert vom Deutschen Filminstitut in Frankfurt/Main hat sich diese Problems jedoch erfolgreich angenommen und schafft nun Abhilfe indem es 18 Partner aus elf Ländern versammelt. Die beteiligten Archive sind (mit Ausnahme von reelport.com) staatliche bzw. öffentlich geförderte, nicht-kommerzielle Institutionen:
Deutsches Filminstitut – DIF (Frankfurt) - Projektkoordinator
British Film Institute (London)
Bundesarchiv Filmarchiv (Berlin)
Cinémathí¨que Royale de Belgique (Brüssel)
Cineteca del Comune di Bologna
DEFA Stiftung (Berlin)
Deutsche Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen (Berlin)
Fondazione Cineteca Italiana (Mailand)
IWF Wissen und Medien gGmbH (Göttingen)
LICHTSPIEL Kinemathek Bern
Lietuvos Centrinis Valstybí¨s Archyvas (Litauisches Staatsarchiv, Vilnius)
Magyar Nemzeti Filmarchí­vum (Ungarisches Filmarchiv, Budapest)
Národní­ Filmový Archiv (Tschechisches Filmarchiv, Prag)
Nasjonalbiblioteket (Oslo)
Nederlands Filmmuseum (Amsterdam)
reelport.com (Köln)
Slovenska Kinoteka (Ljubljana)
Tainiothiki tis Ellados (Griechisches Filmarchiv, Athen)
Es umfasst rund 25 000 Filme aus den Bereichen Dokumentar- und Unterrichtsfilme, Wochenschauen, Reise- und Sportfilme sowie Werbe- und Animationsfilme. Dabei richtet sich das Portal in erster Linie an die wissenschaftliche Forschung sowie an die Filmbranche (hier besonders Produktionsfirmen, Fernsehsender und Regisseure). Der Schwerpunkt von "Filmarchives online" wurde bewusst auf dokumentarisches Material gelegt, da gerade dieses erfolgreich ausgewertet, d.h. nachgenutzt werden kann. Dazu kommt, dass der Anteil von dokumenatrischem Material in Filmarchiven ungleich höher ist als der Anteil an Spielfilm-Material, ersteres jedoch bisher wesentlich schwerer auffindbar war als letzteres.

In einem Interview mit der Zeitschrift Digital Fernsehen aus Leipzig erklärt Julia Welter, Sprecherin von "Filmarchives online" und dem deutschen Filminstitut (DIF) in Frankfurt am Main, dass die Recherche auf "Filmarchives online" sogar kostenfrei ist. Die Filmeinträge verweisen in allen Fällen auf den Lagerort der Kopie, d.h. die Kontaktdaten zum jeweiligen Archiv sind mit dem Eintrag abrufbar. Der Nutzer kann sich im Folgenden an das Archiv wenden, das über die Kopie verfügt, und wird im direkten Kontakt über entstehende Kosten informiert. Diese sind je nach Archiv und Nutzungsart unterschiedlich. Wichtig ist zu beachten, dass "Filmarchives online" eine Plattform ist, die lediglich die Katalogdaten der Filmarchive versammelt - die Anfragen werden aber von den einzelnen Archiven selbstständig bearbeitet.

Der Schwerpunkt wird zunächst auf dokumentarischem Material bleiben, jedoch finden sich schon jetzt teilweise auch Spielfilme auf dem Portal. Langfristig ist eine Erweiterung auf fiktionale Filme denkbar, derzeit aber noch nicht konkret. Eine entsprechende Öffnung des Portals für neue Rubriken muss von den beteiligten Partnerarchiven gemeinschaftlich beschlossen werden. Darüber hinaus steht das Portal neuen Zuliefern offen und mehrere öffentliche und private Archive haben bereits Interesse bekundet, ihre Bestände über das Portal abrufbar machen zu wollen. Es existieren bislang jedoch noch keine verbindlichen Zusagen. Um an "Filmarchives online" teilnehmen zu können, müssen einige Grundvoraussetzungen erfüllt sein. So ist vorab immer die die Frage zuklären, ob alle verzeichneten Filme vorhanden, verfügbar und auch benutzbar sind. Auch müssen alle Inhaltsbeschreibungen und/oder Schlagwörter nicht nur in der jeweiligen Landessprache sondern auch auf Englisch vorhanden sein, denn Hauptaufgabe der beteiligten Filmarchive ist es, Filmmaterial zu sammeln, archivieren, restaurieren und für nachfolgende Generationen zu erhalten. Zudem ist die Verfügbarmachung von Daten für die Archive kostenpflichtig, d.h. es fällt ein jährlicher Beitrag an, der unabhängig von der Anzahl der beigetragenen Daten paritätisch erhoben wird.

Digitalisierung findet in Bereich der Filmarchive erst seit Kurzem verstärkt statt, d.h. bislang war eine Zurverfügungstellung der Filme über das Internet o.ä. schon aus dem Grund nicht denkbar, dass Filme kaum digitalisiert vorliegen. Die europäischen Filmarchive konzentrieren sich derzeit stark darauf, die von ihnen verwahrten Archivalien (neben Filmen auch Fotos und Schriftgut) in digitalisierter Form der Öffentlichkeit über Online-Portale zugänglich zu machen.

So wird etwa im Rahmen des jüngst gestarteten Projekts "EFG - The European Filmgateway" ein solches Portal aufgebaut, das dann in ca. zwei Jahren auch die bis dahin zusammengeführten Daten und Digitalisate an "Europeana.eu", das wiederum Materialien europäischer Bibliotheken, Archive und Museen verfügbar macht, zuliefern wird.

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Lautarchiv der Berliner Humboldt-Universität:

Das Laut-Archiv der Humboldt-Universität zu Berlin wurde am 1. April 1920 als Lautabteilung an der Preußischen Staatsbibliothek gegründet. Den Grundstock des Archivs bildete zunächst eine Sammlung grammophonischer Aufnahmen, die während des Ersten Weltkrieges unter Federführung der Königlich Preußischen Phonographischen Kommission und unter maßgeblicher Beteiligung des Sprachwissenschaftlers Wilhelm Doegen in deutschen Kriegsgefangenenlagern entstanden war und die Sprach- und Musikaufnahmen in rund 250 Sprachen umfasste. Ab 1922 begann die Lautabteilung mit einer eigenständigen Sammeltätigkeit, deren vorrangiges Ziel in einer umfassenden Dokumentation deutscher Mundarten bestand. Aber auch Aufnahmen fremder Sprachen und Dialekte wurden angefertigt, sofern sich die Möglichkeit dazu bot. 1934 wurde die Lautabteilung als Institut für Lautforschung an die Berliner Humboldt-Universität überführt und gehört heute zum musikwissenschaftlichen Seminar. Seit 1999 werden die systematische Erschließung des Bestandes und die Digitalisierung historischer Aufnahmen fortgesetzt.

Weitere Links zu Archivierungsfragen:

Der "digitale Alzheimer" – wie retten wir unser kulturelles Erbe?
Offene Archive: Kulturelles Gedächtnis, wirtschaftliches Erinnern

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