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Noch mehr Filmtipps im Mai 2017

Ergänzungen zu aktuell gestarteten Filmen und eine Vorausschau für nächste Woche.



"SHALOM ITALIA" von Tamar Tal Anati.
Ein Film über die Liebe zum Leben und das Überleben.
Seit 04. Mai 2017 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

"SHALOM ITALIA" beschreibt eine dokumentarische Reise. Die Brüder Emmanuel, Andrea und Bubi, der eigentlich Reuven heißt, kehren nach 70 Jahren an den Ort in den toskanischen Wäldern zurück, an dem sich als Kinder mit ihrer Familie vor den Nazis versteckten. Der über Monate andauernde Aufenthalt in der Höhle rettete ihnen das Leben. Bubi, mit seinen 74 Jahren der Jüngste der drei Männer, ist die treibende Kraft. Trotz aller Ängste, alte Wunden wieder aufzureißen, lässt ihn der Gedanke, Licht in das Dunkel seiner Erinnerungen zu bringen nicht los. Anfänglich wirkt alles ganz normal. Die Brüder finden eine behagliche Unterkunft, bereiten gemeinsam ihr Essen zu, genießen ihren Wein, plaudern miteinander, so, als seien sie ganz normale Touristen. Die Suche nach der Höhle stellt für die alten Männer eine nicht nur eine physische sondern auch eine immense psychische Belastung dar. Nach ihrer Auswanderung nach Israel ist es das erste Mal, dass sie sich den unterschiedlichen Splittern ihrer Erinnerung stellen. Jeder von ihnen auf seine ganz persönliche Art. Andrea (82): „Erst jetzt, Jahrzehnte später besitze ich den Mut, mich zu erinnern“.

Es geht um die Frage, welche Erinnerung hat bei den Überlebenden überlebt.

Auszug aus einem Interview im Presseheft mit der Regisseurin Tamar Tal Anati: ”¦ 1938 traten die Nazi-Gesetze in Kraft, die es Juden untersagte, Schulen oder Universitäten zu besuchen. Die Brüder wurden aus der Schule geworfen. 1943 klopfte nachts ein Mann an der Tür und warnte die Familie, sie müsse sofort fliehen, ihre Namen stehen auf einer Liste für den Zug nach Auschwitz am nächsten Morgen. In jener Nacht flohen sie in die Wälder der Toscana. Sie retteten sich von Unterschlupf zu Unterschlupf, bis sie ihr letztes Ziel erreichten, ein Dorf namens Villaa Sesta. Dort lag der Wald, in dem der Vater die Höhle herrichtete.

Trotz aller Tragik, gibt es durchaus humorvolle Momente, denn jeder von ihnen hat in seiner individuellen Erinnerung, Erlebnisse gespeichert, die für den Bruder total fremd klingen. Eine der schlimmsten Erinnerung ist, dass sie in der Höhle ganz still sein mussten. „Wir durften auf keinen Fall laut schreien“.

Der Film hinterlässt er ein starkes Mitgefühl. Das Leid dieser drei Männer ist auf subtile, unaufgeregte Weise deutlich spürbar. 

Ulrike Schirm


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"RÜCKKEHR NACH MONTAUK" von Volker Schlöndorff:
Der Film lief im Wettbewerb der letzten 67. Berlinale.
Seit 11. Mai 2017 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

1991 verfilmte Volker Schlöndorff Max Frisch‘s Roman „Homo Faber“ . Nun hat er sich die autobiografische Erzählung "MONTAUK" seines Freundes Max Frisch vorgenommen und einen Film daraus gemacht. Das Drehbuch schrieb er zusammen mit dem irischen Schriftsteller Colm Toibin. Ein Kammerspiel über verpasste Gelegenheiten, Literatur und das Leben mit seinen Höhen und Tiefen. Hauptrollen Stellan Skarsgard, Nina Hoss und Susanne Wolff. Gleich zu Beginn spricht Stellan direkt in die Kamera. „Es gibt nur zwei Dinge im Leben, die wichtig sind: Dinge, die wir bereuen, nicht getan zu haben und Dinge, die wir bereuen getan zu haben“. Dann ein Schwenk mit der Kamera und wir sehen den Schriftsteller Max Zorn (Stellan Skarsgard) in New York, wo er bei einer Lesung seinen neuen Roman vorstellt, Sätze aus seinem Buch, in dem er das Scheitern einer Liebe in dieser Stadt beschreibt.

Wehmütig sucht er seine Exgeliebte Rebecca (Nina Hoss) auf, die inzwischen als renommierte Anwältin seit zwanzig Jahren in New York lebt. Trotz einiger Widerstände ihrerseits, verbringen sie ein Wochenende in Montauk, einem Fischerort am Ende von Long Island. Er ist getrieben von dem Gedanken den Schmerz der alten Wunde vielleicht doch noch durch eine gemeinsame Zukunft heilen zu können. Eigentlich könnte er glücklich sein. Ist er doch in Begleitung seiner attraktiven, wesentlich jüngeren, temperamentvollen Feundin Clara (Susanne Wolff) nach Manhattan gereist.

Rebecca, die ursprünglich aus Sachsen stammt, wurde von ihm verlassen. Zu ausschweifend waren seine Liebeleien zu anderen Frauen. Er, der allseits bewunderte Schriftsteller, widmete sich seiner Karriere und den damit verbundenen glamourösen Gegebenheiten, die Erfolg so mit sich bringt. Nach seiner Rückkehr aus Montauk muss er feststellen: Die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen.

Es ist schwierig, sich auf die Figur Zorns einzulassen. Ein Jammerlappen, triefend voller Selbstmitleid kommt er daher, fast feige stützt er sich auf seine Assistentin Lindsey (Isi Laborde), die er überredet, bei Rebecca anzurufen, um den Kontakt herzustellen, um dann später in Rebeccas schniekem Loft, volltrunken aufzutauchen. Weder interessiert er sich für Rebeccas jetziges Leben, noch dafür, was er Clara mit seinem Verhalten antut.

Schlöndorff hat in der Adaption „Rückkehr nach Montauk“ eigene Erfahrungen einfließen lassen. Auch er konnte sich nicht zwischen zwei Frauen entscheiden, eine Schwäche, die ihn noch heute belastet. Leider kommt die „Erzählung“ ziemlich zäh daher. Erfrischend die Figur der Clara, die von Susanne Wolff mit einer beeindruckenden Präsenz gespielt wird. Erfrischend auch die Figur der Lindsey, die Zorn klar und deutlich zu verstehen gibt, wie unmöglich sein labbriges Getue ist.

Ulrike Schirm


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"Jahrhundertfrauen" - 20th Century Women von Mike Mills.
Mit Annette Bening, Greta Gerwig, Elle Fanning, Lucas Jade Zumann.
Seit 18. Mai 2017 im Kino. Hier der Trailer:



Der Film über eine allein erziehende Mutter eines heranwachsenden Sohnes hat uns begeistert. Vor allem durch das überzeugend ehrliche und reif wirkende Spiel des jungen Nachwuchsdarstellers Lucas Jade Zumann, der nach einem Auftritt im Chicagoer stage musical "Oliver" und einer Rolle in dem Horrorfilm "Sinister 2" (2015) sowie in zwei Folgen diverser Netflix Serien, hier in seiner zweiten großen Kinorolle zu sehen ist.

Ulrikes Filmkritik:

2010 kam Mike Mills` Film „Beginners“ in die Kinos. Die Geschichte eines älteren Mannes, der am Ende seines Lebens das Wagnis seines „Coming-Outs“ eingeht. Diesen herzerwärmenden Film widmete Mills damals seinem Vater. Jetzt, 6 Jahre später, huldigt er mit „Jahrhundertfrauen" seine Mutter.

Die großartige Annette Benning, (selber Mutter von vier Kindern) versucht als Alleinerziehende ihren Sohn am Ende der 70er Jahre zu einem aufrechten Mann zu machen. Es ist eine Zeit der kulturellen Umbrüche. Santa Barbara 1979. Wehmütig beobachtet Dorothea (Annette Benning) wie ihr alter Ford Galaxy auf dem Parkplatz vor dem Supermarkt in Flammen steht. In diesem Auto wurde Jamie Fields (Lucas Jade Zumann) vor 15 Jahren als neugeborener Säugling nach Hause gefahren.

Dorothea war damals bereits 40 Jahre alt und es wurde gemunkelt, ob sie nicht schon zu alt für ein Baby sei. 1924 wurde sie geboren, als sie ein Teenager war, brach der Zweite Weltkrieg aus. Sie verließ die Schule, um Pilotin zu werden. Der Krieg war beendet, bevor sie ihre Ausbildung abgeschlossen hatte. Jetzt arbeitet sie als Zeichnerin in einem Architekturbüro. Sie raucht Menthol-Zigaretten, angeblich sind die gesünder, sie trägt bequeme Birkenstockschuhe und liebt Hollywoodklassiker mit Humphrey Bogart und sie studiert mit Jamie die täglichen Börsenkurse. Ihren Sohn überschüttet sie mit viel fürsorglicher Liebe.

In ihrem großen Haus lebt auch noch die Punk-Fotografin Abbie (Greta Gerwig), die nach einer Krebsdiagnose aus New York geflüchtet ist, der Ex-Hippie William (Billy Crudup), der nicht nur das alte Holzhaus repariert sondern auch Autos wieder fahrtauglich machen kann, sowie die 17-jährige Nachbarin Julie (Elle Fanning), die sich Nacht für Nacht in Jamies Zimmer schleicht, um bei ihm zu schlafen, aber rein platonisch, Sex mit ihm, lehnt sie ab, denn das könnte ihre Freundschaft zerstören.

Jamie versucht sich immer mehr von seiner Mutter abzunabeln. Dorothea fühlt sich ihrem Erziehungsauftrag nicht mehr gewachsen und bittet ihre Mitbewohner um Unterstützung. Abbie nimmt den Teenager mit zu wilden Partys, fordert ihn auf, feministische Lektüre zu lesen und Julie erzählt ihm von ihren zahlreichen sexuellen Abenteuern.

Abbie fotografiert alles, was ihr gehört. Für sie, eine Art Selbstportrait. Ihre Haare färbt sie rot, in Verbundenheit zu Bowies „Mann, der vom Himmel fiel“ . Jede der drei unterschiedlichen Frauen, lässt nichts unversucht, Jamie zu einem überzeugten Feministen zu erziehen, auch wenn sie selber oft nicht weiterwissen und mit ihrem eigenen Gefühlschaos fertig werden müssen. Abbie scheut sich nicht, beim Abendessen vor versammelter Mannschaft über den Begriff Menstruation zu referieren.

Schauspielerisch erlebt der Zuschauer ganz grosses Kino. Annette Bening berührt zutiefst. Ganz, ganz großartig, Lucas Jade Zumann, der zwischen diesen liebenswerten Frauen „seinen Mann steht“ .

Wer aus welchen Gründen auch immer, nur ganz selten ins Kino geht, diesen Film darf man nicht versäumen. Auf meiner Liste der absoluten Lieblingsfilme steht er ganz weit oben. - Frauen, nehmt eure Männer mit, die können noch was lernen.

Ulrike Schirm


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"Rosemari" von Sara Johnsen: Ab 25. Mai 2017 im Kino.
Der Film lief im Wettbewerb der 58. Nordischen Filmtage Lübeck.
Hier der Trailer:



Elisabeths Filmkritik:

Die Gräben zwischen “Sturmhöhe” und “50 Shades of Grey” sind tief, aber nicht unüberwindbar. Unn Tove (Tuva Novotny) arbeitet für eine lokale Nachrichtenproduktion. Das heißt, sie und ihre Chefin Hilde (Laila Goody) befüllen das Sendeschema in der norwegischen Kleinstadt mit relevanten bis bulevardesken Reportagen. Hilde mag es eher publikumsnah, Unn Tove ist der ernste Typ, der von Sendeauftrag und Nivea spricht. Ansonsten schmeißen sie den Laden im Alleingang und sind gute Freunde.

Unn Tove ist dann doch nicht der Typ, der mit jedem gleich in die Kiste hüpft, aber ihr Liebesleben ist auch reichlich kompliziert. Sara Johnsens (“Vinterkyss”) Figuren sind komplex, widersprüchlich, mitfühlend, energisch. Johnsen legt die Mitte, das Herz des Filmes, auf die Frauenfiguren, wobei die Männer hier nicht weniger komplex sind, nur haben diese einen schwereren Stand. Sie müssen die Frauen nicht irgendwo abholen oder hinbringen, vielmehr müssen sie geduldig warten, bis die Frauen Ja sagen. In “Rosemari” ist es einfach mal die Grundlage.

Unn Tove liebt eigentlich Kristian (Peter Widht), sie heiratet aber einen anderen und die Gründe spielen keine Rolle. Bereits bei der Hochzeitsfeier verliert sie ihren Ehering beim Hände waschen. So etwas passiert. Dafür findet sie auf dem Boden der Toilettenräume ein gerade erst entbundenes Baby. Auch das passiert. Sie würde das Kind zu sich nehmen, wird aber vom Amt abgewiesen. Man würde sich schon kümmern, und ja, das Kind würde auch Liebe bekommen. Unn Tove lässt das Kind in der Obhut der Fürsorge und der Film springt 16 Jahre nach vorn.

Jetzt kommt Rosemari ins Spiel, herrlich herb von Ruby Dagnall gespielt, irgendwo zwischen “leckt mich” und total zerbrechlich. Nicht nur der Zuschauer ahnt, dass sie das Baby von einst ist. Sie hat mit 16 ihre Unterlagen bekommen und sucht nun nach ihrer Mutter. Die Adresse von Unn Tove ist ihr einziger Hinweis. Groß ist die Enttäuschung, als sie erkennt, dass Unn Tove nicht selbige ist. Doch Unn Tove, die Rosemari sofort richtig einordnet, will sich auch jetzt kümmern und wittert eine Story.

Johnsen lässt vier ganz unterschiedliche Frauentypen, die alle auch das Gegenteil von dem, was man von ihnen annimmt, in sich bergen, aufeinandertreffen und dekliniert die Fragen nach Zugehörigkeit, Liebe und Sex durch. Rosemari erfährt dabei Dinge, die sie tapfer aushält, bis es ihr doch noch jugendliches Gemüt kaum mehr aushalten kann. Das wirkt teilweise dick aufgetragen und ist doch nicht kitschig oder gar anzüglich.

Dabei ist auch Rosemaris Herkunft nicht unbedingt der Dreh- und Angelpunkt. Sie bestimmt jedoch, was sie aus ihrer Herkunft macht, wie sie diese annimmt und wie sie ihr zukünftiges Schicksal daraus ableitet. Dabei hat sie sicherlich noch alle Zeit der Welt. Mit jugendlichem Übermut funkt sie da auch schon mal in Unn Toves Leben rein. Immerhin hat auch sie Entscheidungen getroffen, die ihr Schicksal jederzeit in ganz andere Bahnen hätten lenken können. Hier bestimmt die Vergangenheit bei keiner der Figuren die Zukunft, sie alle haben etwas gelernt, sich entwickelt und nehmen schließlich das Gute und auch das nicht so Gute an. Woher sie kommen, welchen Weg sie nun beschrieben haben und wie es weitergeht, all das muss der Zuschauer erfühlen, die Antworten sind dabei nicht festgeschrieben.

Elisabeth Nagy


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